Deutschland vor dem Achtelfinale:Lemkes persönlicher Triumph

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Kein Durchkommen: Finn Lemke (links) und Hendrik Pekeler lassen den Kroaten Luca Sebetic nicht zum Abschluss kommen. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Die deutschen Handballer starten am Sonntag nach dem 28:21-Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Kroatien mit breiter Brust in die K.-o.-Runde. Die Defensive präsentiert sich in Hochform.

Von Joachim Mölter, Rouen/Paris

Jedes Mal, wenn der Ball am Tor vorbeiflog, ballte Finn Lemke beide Fäuste, verzerrte das Gesicht und schrie. Jedes Mal, wenn der Torhüter den Ball ablenkte, wenn er ihn festhielt, jedes Mal, wenn der Ball an den langen Armen der Abwehrspieler abprallte, wenn sie ihn irgendwie in die Finger bekamen - Lemke ballte und verzerrte und schrie. Jeder wie auch immer gescheiterter Angriff der kroatischen Handballer war ein persönlicher Triumph für den Abwehrchef der deutschen Mannschaft, und das sollte jeder wissen in der mit 5500 Zuschauern besetzten Kindarena von Rouen. Vor allem die Kroaten natürlich, die angesichts von Lemkes andauernden Machtdemonstrationen schließlich klein bei und das letzte Vorrundenspiel bei der WM in Frankreich am Freitagabend verloren gaben, 21:28 (9:13).

Damit geht die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) als unbesiegter Gruppenerster in die K.o.-Runde, in der sie am Sonntag (18 Uhr/handball.dkb.de) in Paris auf den Asienmeister Katar trifft. "Das ist schon ein großes Statement, mit sieben Toren Differenz zu gewinnen, auch wenn es die Kroaten am Ende haben schleifen lassen", fand Torhüter Andreas Wolff im Hinblick auf die Finalrunde. "Das Turnier kann anfangen", sagte Lemke: "Wir sind jetzt gerüstet."

Ungewohnt kleine Gegner

Das DHB-Team bestätigte mit seiner bislang besten Turnierleistung eindrucksvoll seine Ambitionen, erneut um eine Medaille zu spielen, so wie im vorigen Jahr bei der Europameisterschaft in Polen (Gold) und den Olympischen Spielen in Brasilien (Bronze). "Wir haben wie bei der EM und bei Olympia eine harte Abwehr gespielt", resümierte Wolff. In der Tat erinnerte am Freitag vieles an das grandiose EM-Finale von Krakau, als die deutschen Handballer die spanischen beim 24:17 mit einer betonharten Abwehr entnervten. Auch damals riss der erst im Turnierverlauf zum Abwehrchef beförderte Finn Lemke, 24, seine Kollegen mit, indem er jedes Mal überschwänglich feierte, wenn der Ball nach einem spanischen Angriff nicht im Tor gelandet war.

Dank der Leistungssteigerung seiner Vorderleute lief auch Andreas Wolff gegen Kroatien wieder zu Hochform auf. Von den wenigen Würfen, die Lemke und Co. durchließen, entschärfte er nochmal die Hälfte, was ihm die Ehrung als bester Spieler der Partie einbrachte. In den WM-Partien zuvor hatte Wolff nicht immer gut ausgesehen. "Wir standen besser zusammen als in den Spielen zuvor", erklärte Lemke. Da war der 2,10-Meter-Mann oft von 1,75 Meter kleinen Angreifern aus Chile oder Saudi-Arabien in die Knie gezwungen worden. "Es war schwer, sich darauf einzustellen", erklärte Lemke, "man hat selten so körperlich unterlegene Gegner." In der K.o.-Runde müssen sie so etwas nicht befürchten, da sind die Europäer fast unter sich, und selbst die Katarer spielen einen europäischen Stil mit groß gewachsenen, kräftigen Rückraumspielern.

Pekeler kommt schon nach 20 Minuten ins Spiel

Finn Lemke hat bei dieser WM, seinem dritten internationalen Turnier, eine neue Erfahrung gemacht. "Bei EM oder Olympia geht`s sofort los, da kann man sich keinen Ausrutscher leisten. Hier ging es in der Vorrunde eher darum, gegen die schwächeren Gegner den Fokus hochzuhalten." Das gelang nicht immer, aber schwächere Gegner gibt es jetzt nicht mehr: "Gegen die Besten der Welt zu spielen, ist immer eine Herausforderung, darauf freut man sich."

Die Motivation steigt, die Anspannung ebenfalls, und wenn man das Spiel gegen Kroatien gesehen hat, versteht man auch, warum Bundestrainer Dagur Sigurdsson am Donnerstag den Abwehrspezialisten Hendrik Pekeler aus dem Urlaub hat nachkommen lassen und dafür eine seiner zwei Wechselmöglichkeiten während des Turniers geopfert hat. Pekeler hatte nach EM- und Olympiastrapazen mit dem Nationalteam und Champions-League-Belastung mit seinem Klub ursprünglich eine Auszeit nehmen wollen, sich aber für den Notfall zur Aushilfe bereiterklärt. Am Freitag kam er schon nach 20 Minuten ins Spiel, weil Lemkes Nebenmann im Mittelblock, der Kieler Patrick Wiencek, angesichts der intensiven Abwehrarbeit nach Luft schnappte. Weil auch noch Julius Kühn (1,98) und Simon Ernst (1,95) die Zwei-Meter-Männer Lemke, Wiencek und Pekeler im Abwehrzentrum entlasten können, kann Bundestrainer Sigurdsson nun viel rotieren und immer frische Beine auf dem Parkett haben. "Wenn man weit kommen will, braucht man eine gute Abwehr", sagt Pekeler.

Glandorf bleibt bei seinem ersten kurzen Einsatz ohne Tor

Man braucht sie auch, "damit man zu leichten Toren kommt", findet Patrick Wiencek. Am Freitag nutzten die deutschen Handballer jedenfalls alle neun Chancen, die sich ihnen nach Ballgewinnen in der Defensive durch Gegenstöße boten - daraus resultierten also ein Drittel aller Treffer, eine stolze Quote. Wiencek, dem besten Schützen der Partie mit sechs Treffern, gelangen drei Tore bei besagten Schnellangriffen.

"Die Abwehr hat uns Sicherheit gegeben, da darfst Du dann auch mal einen Fehler machen vorne", lobte Sigurdsson sein Team. Weil seine Rochade mit Pekeler auf Anhieb erfolgreich war, verschmerzt er, dass seine zweite Personalie keine Wirkung zeigte: Am Donnerstag war auch Holger Glandorf zum Team gestoßen, der wurfgewaltige Linkshänder und Weltmeister von 2007. Dem 33-Jährigen merkte man indes an, dass er vor zweieinhalb Jahren schon zurückgetreten ist und sich erst in die Mannschaft finden muss; er blieb bei seinem kurzen Einsatz torlos. "Er kam in einer schwierigen Phase ins Spiel rein", sagte Sigurdsson, "da mache ich mir keinen Kopf." Solange die Abwehr um Finn Lemke und Hendrik Pekeler steht, muss Holger Glandorf im Angriff ja auch nicht zwingend treffen.

© SZ vom 22.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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