Deutschland - Tschechien:Endspiel gegen die B-Auswahl

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Tschechien will gegen die DFB-Elf ohne seine Besten antreten, doch liegt selbst in diesem Vorteil für Rudi Völlers Kicker noch eine gewisse Bedrohung.

Von Ludger Schulze

Das Hohe Gericht des Europäischen Fußballverbandes würdigte nur kurz den möglichen Einwand der Gegenseite und erklärte dann die Beweisführung im anstehenden Fairness-Prozess für nicht stichhaltig.

Unter Erfolgsdruck: Oliver Kahn (Foto: Foto: dpa)

Begründung: "Man kann die Tschechen nicht verurteilen, wenn sie Spieler schonen. Das haben die Franzosen bei der WM '98 und der EM 2000 auch gemacht. Danach waren die Spieler ausgeruht und haben das Turnier gewonnen", sprach der beisitzende Richter Gerard Houllier aus Frankreich, vor kurzem noch Trainer bei Dietmar Hamanns englischem Klub FC Liverpool, und derzeit bei der EM als Mitglied der Technischen Kommission der Uefa tätig. Einspruch? Abgelehnt.

Vorausgegangen ist dieser Verhandlung, die nie stattgefunden hat, die Ankündigung des tschechischen Trainer Karel Brückner, aus dem Diadem seiner Holland-Besieger die funkelndsten Juwelen im Safe zu lassen und mit Falsifikaten zum Rendezvous mit den Deutschen (Mittwoch, 20.45 Uhr, Lissabon, ARD live) aufzukreuzen.

"Ich werde Pavel Nedved und einige andere schonen. Wir haben schließlich viele gute Spieler im Kader", erklärte der Übungsleiter. Mit Fug und Recht kann man den zu erwartenden personellen Kahlschlag, wenn man beispielsweise mit der holländischen Elftal fühlt, als sittenwidrige Begünstigung der Deutschen betrachten.

Erinnerung mit Grausen an die EM 2000

Auch wenn nonchalante Gemüter keinen großen Unterschied zwischen Tschechien A und Tschechien B erkennen wollen. Nur - wenn das tatsächlich einerlei wäre, warum ist dann nicht die zweite Mannschaft die erste? Zum Seelenfrieden des Rudi Völler trägt diese Diskussion nicht das Mindeste bei.

Der Teamchef erinnert sich mit Grausen an die EM 2000, als die Knochen erweichende 0:3-Blamage gegen ein portugiesisches Bankdrücker-Sammelsurium nicht nur zur Entlassung seines Vorgängers Erich Ribbeck, sondern auch zu einer ausufernden Debatte über den Zustand der Gesellschaft am Beispiel von Fußball-Nulpen führte.

"Ja", sagt er, "wir brauchen da nur die Kassette von vor vier Jahren herausholen." Glücklicherweise zählen Vergleiche im Fußball nur bis zum Anpfiff des nächsten Spiels, und bei dem wird in Lissabon eine andere Mannschaft antreten, die nur durch vier Namen an die Rotterdamer Wir-tun-mal-so-als-ob-Fußballer erinnert: Kahn, Nowotny, Hamann, Ballack.

Rot oder schwarz, hopp oder top

Einer der Damaligen, Dietmar Hamann, erklärt den Unterschied: "Die heutige Mannschaft steht unter anderen Vorzeichen. Wir sind als Einheit gefestigt, haben eine Superstimmung. Und wir können es aus eigener Kraft schaffen."

Rot oder schwarz, hopp oder top, so sieht die Sache aus. Rudi Völler benennt den Sprung ins Ungewisse - hic Rhodos, hic salta - "ein Endspiel, ein klassisches k.o.-Spiel", nur ein Sieg ist keine Niederlage. "Wichtig ist, dass wir daran glauben.

Dass die Jungs, und ich kenne meine Jungs, alles tun werden, um weiterzukommen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer." Man darf darauf vertrauen, Brandverletzungen sind nicht zu befürchten. Denn: "Wenn es bei uns an irgendetwas nicht fehlt, dann ist es Charakter."

Traf diesmal nur lettische Beine: Torsten Frings (Foto: Foto: dpa)

Ein anderes Thema sind die gestalterischen Fähigkeiten, spielerische Phantasie und technische Umsetzung. "Alle versuchen, ihr Bestes zu geben", bestätigt der Teamchef, doch "hin und wieder reicht das eben nicht."

Zum Beispiel bei den Stürmern, die neben tonnenweise gutem Willen nicht viel einbringen in dieses Turnier. Hinderlich ist, dass gerade in ihrem Planquadrat wesentliche Spielentscheidungen getroffen werden, wie Völler, dem ehemaligen Torjäger, schmerzhaft bewusst ist.

"Wir müssen gegen die Tschechen darauf aus sein, Tore zu erzielen. Wir werden versuchen, Michael Ballack in die Position zu bringen, aus der er Tore schießen kann." Heißt: Rückkehr zur Ein-Stürmer-Taktik aus dem Holland-Treffen mit Ballack kurz hinter der Spitze.

Tore schießen! Gewinnen! Wieder abhaken! Schluss!

Es wird eine leicht modifizierte Elf den Kampf ums eigene Überdauern aufnehmen, der aus Vorsichtsgründen gegen Lettland geschonte Jens Nowotny (Knieprellung) übernimmt von Frank Baumann wieder das Abwehrkommando, und im offensiven Mittelfeld sollte Bastian Schweinsteiger den diesmal blassen Bernd Schneider (Völler: "Er hat nicht so gespielt, wie ich mir das vorstelle") ersetzen.

Auch wenn der Teamchef sich diesbezüglich jede Einmischung verbietet, wie folgender Dialog aus der gestrigen Pressekonferenz in Almancil zeigt.

Journalist: "DFB-Präsident Mayer-Vorfelder hat nach dem Spiel gegen Lettland gesagt: 'Ich bin ja nicht der Trainer, aber der Schweinsteiger hat mir gut gefallen. Ich könnte mir vorstellen, den auch mal von Anfang an zu bringen.'"

Völler: "Der erste Satz ist absolut richtig. Was hat er gesagt?"

"Ich bin ja nicht der Trainer."

"Das ist genau richtig."

Für differenzierte Erörterungen sieht Oliver Kahn nicht den richtigen Zeitpunkt. Der Kapitän bringt alle Fragen und Zweifel aus dem Lettland-Spiel auf eine simple Formel:

"Abhaken! Nicht rumjammern und auf das Endspiel gegen die Tschechen konzentrieren." Und mit Anpfiff: Tore schießen! Gewinnen! Wieder abhaken! Schluss!

© Süddeutsche Zeitung vom 21.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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