Deutschland-Tour:Anfänger gesucht

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Das neue Cervélo Team holt Tour-Sieger Sastre und hat Ambitionen - unter deutscher Leitung. Nach dem Aus der Rennställe T-Mobile und Gerolsteiner tut sich wieder etwas im Radsport.

Andreas Burkert

Gerry van Gerwen ist zwar kein richtiger Quereinsteiger, obwohl er eher zufällig in Besitz der Milram-Lizenz gekommen ist. Van Gerwen, 55, fuhr früher selbst Radrennen, "flach und bei Wind, da war ich gut drauf", sagt der 55-jährige Holländer. Trotz seiner Erfahrung haben ihn am Freitag bei der Deutschland-Tour nicht wenige für einen Anfänger gehalten, denn nach seinem PR-Gag in eigener Sache konnte der Rennstall angeblich nur dank der Gnade der Jury die vorletzte Etappe ins Osnabrücker Land in Angriff nehmen: Als Reminiszenz an den Sponsor, eine Molkerei-Genossenschaft, hatte Teamchef van Gerwen seine Profis in einem neuem Trikot im Kuh-Design starten lassen. Änderungen seien jedoch verboten und würden mit Ausschluss bestraft, bekam er zu hören. Van Gerwen gestand: "Das habe ich nicht gewusst."

Adieu CSC, willkommen Cervélo: Der Spanier Carlos Sastre wechselt überraschend die Mannschaft. (Foto: Foto: AP)

Gerüchte über Namen und Etatzahlen

Auch Gerard Vroomen, 37, ist Holländer und kein echter Neuling in der Szene, seit sechs Jahren ist der CSC-Rennstall mit Produkten seiner Radfirma unterwegs. Und dennoch nennt sich Vroomen einen "Außenseiter" und ergänzt, angesichts der Probleme des Radsports sei es "vielleicht ganz gut, dass es Leute von außen gibt, die sich mit ihm beschäftigen wollen". Zumindest an der Ernsthaftigkeit seines Projekts wird seit Freitag nicht mehr gezweifelt, denn das neue Cervélo TestTeam hat soeben den aktuellen Tour-de-France-Champion Carlos Sastre, 33, unter Vertrag genommen. Vroomen, seit einigen Jahren mit dem Spanier gut bekannt, sagt: "Carlos ist jetzt der Schlüssel unserer neuen Mannschaft."

Es tut sich demnach etwas im Radsport, dessen Fortbestand hierzulande nach den Doping-Skandalen, dem Aus für die Rennställe T-Mobile und Gerolsteiner sowie den derzeit miserablen TV-Quoten für die Deutschland-Tour bedroht ist. In Frankreich hat sich zudem Crédit Agricole verabschiedet, der langjährige Tour-Starter wird momentan wie Gerolsteiners Flotte abgewickelt. Dagegen werfen die Russen des Katjuscha-Teams mit ihrem Geld um sich, (der Kandidat Sastre widerstand), in Italien wird mindestens ein weiteres Team entstehen. Und vor einer Woche gab also Vroomens kanadisch-schweizerische Firma überraschend bekannt, neben dem Frauenteam Cervélo-Lifeforce künftig auch eine Männermannschaft aufbieten zu wollen.

Seitdem kursierten diverse Gerüchte über Namen und Etatzahlen der Neulinge. Sicher ist aber bisher neben Sastres Transfer und einer in der Schweiz beantragten Continental-Lizenz nur der deutsche Anteil am Projekt. Denn der künftige Teammanager Thomas Campana, 45, stammt aus Burscheid im Bergischen Land - und einer der vier Sportchefs wird Jens Zemke, 41, der zuletzt die Frauen-Equipe Nürnberger leitete.

"Fast einen Wettkampf im Antidoping"

Campana lebt inzwischen in der Schweiz und betreibt mit seiner Cycling United Racing das Cervélo-Frauenteam um Olympiasiegerin Kristin Armstrong. "Sechs bis zehn Millionen Euro" werde der Jahresetat betragen, sagt der Rheinländer, und für "mindestens vier Jahre" sei das Projekt gesichert, "wir brauchen keine anderen Sponsoren". International werde das Team ausgerichtet sein, betont er weiter. Nach SZ-Informationen soll Columbia-Profi Andreas Klier (München) kommen, auch Tour-Etappensieger Stefan Schumacher ist angeblich umworben. Er habe Optionen, äußert Klier, 32, Cervélo wäre jedoch im Falle eines konkreten Angebots "meine erste Wahl - denn das Konzept überzeugt mich".

Über dieses Konzept sagen Campana und Vroomen, es beinhalte natürlich auch Siege, "das gehört zum Radsport dazu". Und selbstverständlich werde man nun versuchen, mit dem Titelverteidiger bei der Tour de France starten zu dürfen. Doch Erfolg sei nicht der einzige Antrieb, betont Vroomen, denn Erfolgsstreben erzeuge großen Druck - und verleite zum Betrug. Seine Firma (die er 1995 mit dem Kanadier Phil White gründete) sei hingegen "an Produktentwicklung und technischen Rückmeldungen der Fahrer genauso interessiert" - der Radsport kehre quasi zu seiner Basis zurück. Das Ziel ergäbe sich allein aus der Zusammensetzung der neuen Sponsorengruppe; zu ihr gehören weitere Ausrüster und Zulieferer aus der Velobranche.

Ob der im Juli geadelte Tour-Champion Sastre "die richtige Figur für unsere neue Idee" (Vroomen) ist, wird sich zeigen. Bei CSC hat er, der seit 2002 für Bjarne Riis fuhr, überraschend keinen Vertrag mehr erhalten. "Bjarne hat wohl gesagt, die Zukunft liege bei anderen Fahrern", glaubt Vroomen. Teamchef Riis dürfte an die Brüder Andy und Frank Schleck denken, obwohl vor allem zu Letzterem bald Neuigkeiten über seine Verbindung zum Dopingarzt Fuentes eintreffen dürften. Und was sagt Vroomen zum Antidoping? "Wir wollen machen, was wir können", antwortet er und nennt die aktuellen Bestrebungen amüsiert "fast einen Wettkampf im Antidoping". Er versuche gerade herauszufinden, was der richtige Weg sei, "und wichtig sind natürlich die richtigen Fahrer und Betreuer". Er möchte Anfänger und Außenseiter bevorzugen.

© SZ vom 06.09.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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