Deutschland-Rundfahrt:Zügellose Kraftverschwendung

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Die diesjährige Route der Deutschland-Rundfahrt stellt hohe Anforderungen an die Radprofis.

Andreas Burkert

München - Georg Totschnig ist vor ein paar Tagen dort gewesen, und Hans-Michael Holczer, seinem Chef beim Team Gerolsteiner, hat der Österreicher hinterher erzählt, "dass es da einfach nur schweinisch hoch geht". Patrik Sinkewitz, der hessische Titelverteidiger der Deutschland-Tour, sah sich bereits vor der Tour de France die heikle Aufgabe an, und auch nach seinem Debüt bei der Frankreichrundfahrt möchte er sein erstes Urteil nicht revidieren.

Sinkewitz sagt: "Das ist schwerer als der Galibier." Sein im Nebenfach Streckenkunde bekanntermaßen nicht allzu fleißiger Berufskollege Jan Ullrich hat sich immerhin auf dem Papier das Streckenprofil angeschaut. Und Jan Ullrich sagt, selbst beim Anblick der gezackten Linien sei ihm "im ersten Moment schon etwas schlecht geworden".

Am Montag startet das deutsche Etappenrennen (bis 23. August) in der ehemaligen Residenzstadt Altenburg in Thüringen, 21 Teams gehen dann auf eine Reise von 1530 Kilometern. Ihnen stellt sich am Donnerstag auf der Königsetappe nach Sölden die mächtigste Erhebung des gesamten Radsportjahres in den Weg: der Rettenbachferner auf 2670 Metern Höhe.

Die Wahl des spektakulären Gipfels in den Ötztaler Alpen belegt den Anspruch der Deutschland-Tour, die erstmals seit der Wiederauflage vor sechs Jahren nach dem Heiligtum der Radsports stattfindet: Sie möchte sich allmählich der Bedeutung des französischen Spektakels nähern.

Renndirektor Kai Rapp findet sogar, die Deutschland-Tour müsse als langfristiges Ziel haben, in der Hierarchie den zweiten Rang hinter der Tour einzunehmen: "Warum sollen wir in Deutschland immer noch zum Giro nach Italien und zur Vuelta in Spanien beten, wo wir doch hier das beste und zahlreichste Publikum und zwei der besten Eliteteams haben?"

Den sportlichen Nachweis werden vermutlich die von Rapp erwähnten Mannschaften liefern, die unter deutscher Flagge durchs Land strampeln. Das T-Mobile-Team bietet mit dem Tourdritten Ullrich und dem Gesamtfünften Alexander Winokurow zwei Hauptdarsteller des Metiers auf.

"Ein Großer wird gewinnen"

Team Gerolsteiner entsendet neben dem Toursechsten Levi Leipheimer und Etappensieger Totschnig sein komplettes Führungspersonal. Angesichts der schweren Prüfungen wie der Kletterpartie nach Sölden, der weiteren Bergankunft auf dem Feldberg sowie dem Zeitfahren von Ludwigshafen nach Weinheim sagt Holczer: "Diesmal wird kein no name gewinnen, sondern einer der Großen. Oder einer, der groß wird."

Jan Ullrich will sich diesem Druck und den schweren Prüfungen stellen. In den vergangenen Jahren brachte er sich bei der Deutschland-Tour stets in Form für den Saisonhöhepunkt in Frankreich, "doch diesmal muss ich hier nicht dosiert fahren, sondern kann mein Bestes geben".

Auch Hans-Michael Holczer freut sich auf die zügellose Kraftverschwendung, er sagt: "Ich bin happy mit diesem späten Termin, denn die Leute kommen mit ihrer Form aus der Tour - sie werden nicht mehr über den Knopf im Ohr hören, was nach der Rundfahrt noch kommt und wofür sie sich schonen müssen."

Außenseiter werden somit kaum ausgiebig zum Zuge kommen, ebenso nicht Sprinter wie Stuart O'Grady, weshalb T-Mobile und Gerolsteiner gleich gänzlich auf schnelle Männer verzichtet haben. Neben Ullrich und Winokurow vertreten der Australier Cadel Evans, Achter der Tour, sowie der dänische Bergkönig Mickael Rasmussen (Siebter) die bergfeste Prominenz; CSC dagegen kommt zwar mit Jens Voigt, aber offenbar ohne den Tourzweiten Ivan Basso.

Somit wird Jan Ullrich damit leben müssen, als Favorit für den harten Wettbewerb in seiner Heimat zu gelten. Vermutlich ist dies ohnehin der letzte Jahreshöhepunkt für ihn, ein Start bei der WM in Madrid (20. bis 25. September) ist jedenfalls nicht vorgesehen, wie Betreuer Pevenage andeutet: "In dieser Hinsicht ist er eher zurückhaltend." Sein Athlet, der am heutigen Samstag zum 80.

"Rund um die Hainleite" in Erfurt (15.30 bis 17.30 Uhr/MDR) antritt, wird sich also noch einmal restlos verausgaben können. Das Publikum ist groß (die ARD überträgt täglich mehrere Stunden) wie auch die Erwartungen, schließlich endet die Rundfahrt in Bonn vor der Firmenzentrale des Teamsponsors.

"Nach der Tour ist die Deutschland-Tour für uns das wichtigste Rennen, ein Sieg dort wäre für uns das Größte", betont Teammanager Olaf Ludwig. Und dann ergänzt er feierlich: "Das ist für uns eine zweite Tour de France." Womit Ullrich schon einmal üben könnte fürs nächste Jahr. Denn den Radprofi Lance Armstrong gibt es nicht mehr.

© SZ vom 13.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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