Deutsches Säbel-Team:Drei bleiben zurück

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En garde, prêt, voilà: In Bedrängnis versetzt Benedikt Wagner dem Olympiasieger Montano drei Treffer und holt EM-Gold für die deutschen Säbelfechter. (Foto: imago/EQ Images)

Die deutschen Säbel-Europameister setzen ihren Aufschwung fort. Doch nun steht dem Teamgeist eine harte Probe bevor. Denn die olympischen Regeln erlauben für Rio 2016 nur zwei Starter pro Nation.

Von Volker Kreisl, Montreux/München

Die Sache ist nicht witzig, und trotzdem berichtet Vilmos Szabo: "Die anderen lachen über mich." Die anderen, das sind die leidgeprüften Vertreter und Trainer des deutschen Fechtens, und wenn sie über die Sorgen des Säbelcoachs Vilmos Szabo lachen, dann schütteln sie dabei vermutlich den Kopf. Denn Szabo hat ja höchstens das, was man ein Luxusproblem nennt. Auch er muss über die absurde Lage etwas schmunzeln, aber dann wird er ernst: "Glauben Sie mir: Das ist eine sehr schwierige Situation für mich."

Es geht um Olympia 2016 in Rio de Janeiro, und während die anderen darum kämpfen, dass ihre wenigen guten Fechter an Degen und Florett überhaupt dabei sein dürfen, kämpft Szabo mit dem Überfluss. Weil im Männersäbel 2016 wegen der Rotationsregel keine Team-Medaillen ausgefochten werden, darf jede Nation nur zwei Einzelsportler nach Rio schicken. Szabo hat aber im Laufe der Jahre am Stützpunkt Dormagen hervorragend mit Talenten gearbeitet, nun ist eine Art Füllhorn für Jung-Säbler daraus geworden und regelmäßig springt ein neuer heraus.

Angefangen hat alles Ende der Nullerjahre mit Nicolas Limbach, als die schnellste, emotionalste und lauteste Fechtdisziplin schon lange keinen deutschen Spitzenmann mehr hatte. Limbach gewann unter anderem WM-Gold 2009, um ihn wuchs bald eine schlagkräftige Mannschaft, die 2014 Teamweltmeister wurde. Bei der Europameisterschaft in Montreux errang nun der Dormagener Max Hartung Silber, und ohne Limbach, der studienbedingt abreisen musste, holte das junge Team zum Abschluss auch noch Gold.

Fünf starke Säbelfechter sind es insgesamt, es gibt aber nur zwei Olympiaplätze, drei bleiben also zu Hause. Szabo ist zwar impulsiv, er will aber stets gerecht bleiben. Als Gewähr dafür kann er zwei Trümpfe vorlegen: die Weltrangliste und seinen Familiensinn. Die Weltrangliste ist objektiv und unbestechlich, sie lässt kein Ermessen zu: wer bis Ende März 2016 bester oder zweitbester Deutscher unter den ersten 16 ist, fliegt nach Rio. Außerdem, sagt Szabo, "sind die alle für mich ein bisschen wie Söhne". Sie kommen aus Dormagen, oder sind früh zum Stützpunkt gezogen, schon als Kinder haben sie mit ihm trainiert, das heißt, in der direkten Lektion zwischen Trainer und Schüler, täglich, stundenlang. Da entsteht natürlich zu jedem ein gleich enges Verhältnis. Das Problem ist nur: einer, Matyas, ist wirklich sein Sohn.

Szabo seufzt ein wenig bei dem Gedanken, aber nicht wegen der Benachteiligung der anderen, sondern wegen der Benachteiligung von Matyas: "Ich habe versucht, als Trainer auf keinen Fall einen Unterschied zu machen, aber dann war es das Gegenteil, Matyas hatte es schwerer." Durchgesetzt hat er sich dennoch. Im EM-Finale fochten die jungen Deutschen am Donnerstag gegen Titelverteidiger Italien, und Matyas Szabo, 23, steuerte zusammen mit Benedikt Wagner, 24, die meisten Treffer bei.

Vilmos Szabo fiebert also mit allen mit, er entkommt dem emotionalen Dilemma dieser Olympiaqualifikation nicht. Bildhaft dafür ist sein Coaching-Platz an der Planche, wo er in einem drei Quadratmeter kleinen Banden-Karree sitzt, und versucht, seine Emotionen zu kontrollieren, was ihm oft nicht gelingt. Fechttrainer sind nicht zu beneiden, sie sind ja machtlos im Karree - und trommeln sie auf die Bande oder schreien sie herum, dann kriegen sie die gelbe Karte und riskieren einen Trefferabzug ihres Schützlings. Höllisch war es für Szabo, als Wagner am Donnerstag in den Schlusssekunden wegen zweier strittiger Referee-Urteile zurücklag, sein Gegner beim 42:44 nur noch einen Treffer brauchte und auch noch Aldo Montano hieß. Also Olympiasieger und einer der erfahrensten und abgebrühtesten Säbelfechter ist. Aber Szabo bekam keine gelbe Karte mehr, er jubelte am Ende, denn Wagner entwickelte in hoher Bedrängnis erstaunliche geistige Klarheit und versetzte Montano drei Treffer nacheinander.

Es bleibt dem Trainer ja nichts anderes übrig, als seinen Säbel-Zöglingen in den kommenden Monaten alles selbst zu überlassen. Er kennt deren Willenskraft und Besessenheit, er war selber ein Säbelfechter, und mit diesem väterlichen, bewundernden Tonfall sagt er: "Das sind Fechter. Das sind alles Egoisten, das sind keine normalen Menschen!" Der Teamgeist sei ungebrochen, und doch stürze sich momentan jeder in diesen internen Wettstreit. Zwei reisen nach Rio, drei bleiben zu Hause, jeder holt daher das Beste aus sich raus. "Die üben alles", sagt Szabo, "nicht nur das körperliche Training, nicht nur die taktischen Varianten. Die suchen auch eine psychologische Schulung, die gehen zum Ernährungsberater."

Es ist tatsächlich ein Luxusproblem, und die harte Schule dieser Qualifikation wird ihnen gut tun, denn Luxusproblem und Konkurrenzkampf werden immer größer. Szabos nächste Zöglinge wurden soeben als Team U20-Europameister.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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