Deutsche U-21 will EM-Titel holen:Kindermund tut Wahrheit kund

Lesezeit: 3 min

Mit einem 1:0 gegen Tschechien hat sich die deutsche U-21-Nationalmannschaft für die Fußball-Europameisterschaft 2006 qualifiziert. Jetzt zeigt der "besondere Jahrgang" ungewohnte Ambitionen: Die Jung-Kicker wollen den Titel. Dabei war Deutschland noch nie U-21-Europameister.

Ulrich Hartmann

Der Trainer Dieter Eilts ist 40 Jahre alt. Er kennt sich aus in der Branche und weiß, was man sagen darf und was nicht. "Die Mannschaft hat viel Potenzial", sagte er am Dienstagabend, "aber ob das zum EM-Titel reicht, ist eine andere Frage." Eilts ist professionell vorsichtig. Seine jungen Nationalspieler sind das nicht. Marvin Matip ist 20 Jahre alt, und aus ihm spricht die pure Begeisterung, wenn er sagt: "Bei der EM kann es für den ganz großen Coup reichen." Christian Schulz, 22, sagt: "Wir fahren nicht dahin, um nur gut auszusehen, wir haben das Potenzial zum Titel." Und Stefan Kießling, 21, sagt: "Bei der EM lassen wir es richtig krachen!"

Das Tor zur EM: Nando Rafael bejubelt sein Siegtor im Spiel der deutschen U21 gegen Tschechien. (Foto: Foto: dpa)

Tat Kindermund da Wahrheit kund? Oder waren die Juniorenfußballer nur vom Erfolg berauscht, nachdem sie sich im Rückspiel der EM-Playoff-Partie gegen Tschechien mit einem 1:0-Sieg durch ein Tor von Nando Rafael für die Endrunde qualifiziert hatten? Dieter Eilts lächelte, als er von den Reaktionen seiner Spieler erfuhr. "Es ist in Ordnung, wenn die Spieler träumen", sagte er, "ich hoffe nur, es werden keine Albträume."

Wohlige Erinnerungen

Noch nie waren deutsche Fußballer U-21-Europameister. Noch nie hat der Deutsche Fußball-Bund nachhaltig demonstrieren können, dass er eine konstante und nutzbringende Jugendarbeit verrichtet. Oft schon hat Deutschland diese EM-Endrunde der U-21-Junioren verpasst, fast immer erwies sich der Nachwuchs aus Südeuropa als versierter. Diesmal ist das anders. Es heißt, der aktuelle deutsche Jahrgang sei ein besonderer. Es heißt außerdem, der Trainer Dieter Eilts sei "ein super Trainer und ein toller Kumpeltyp", wie die Spieler sagen, und die Kombination aus beidem erlaubt Visionen, zu denen junge deutsche Fußballer bislang selten berechtigten.

Deutschland wird vom 26. Mai bis zum 6. Juni kommenden Jahres in einem noch unbekannten Land bei der Endrunde der acht besten kontinentalen U-21-Mannschaften antreten und sich dabei den Titel zum Ziel nehmen. Die Spieler, die fast alle reichlich Erfahrung in der Bundesliga gesammelt haben, sind stark genug, clever genug und selbstbewusst genug, um sich Großes vorzunehmen.

"Es ist ein besonderer Jahrgang"

Bemerkenswert ist, dass diese Elf wohl gut genug für den EM-Titel ist, obwohl sie ihre besten Spieler längst an Jürgen Klinsmanns A-Team hat abgeben müssen. Podolski, Schweinsteiger, Jansen, Huth und Sinkiewicz könnten alle noch in der U21 spielen, doch selbst ihr Abzug hat das Juniorenteam kaum geschwächt. "Es ist ein besonderer Jahrgang", sagen viele der Spieler. "Obwohl wir gegen die Tschechen zwei Mal nicht überragend gespielt haben, haben wir uns souverän qualifiziert", sagt Eilts. "Die Mannschaft hat Charakter und wird diesen auch bei der EM zeigen."

Nur ist der Charakter ein launischer Begleiter. Ihr wahres Gesicht hätte die deutsche Elf am Dienstagabend erst dann zeigen müssen, wenn Tschechiens Kapitän Vaclav Sverkos vom Bundesligisten Mönchengladbach in der ersten Halbzeit wenigstens einen seiner beiden Sololäufe auf das deutsche Tor mit einem Treffer abgeschlossen hätte. Dann wäre der deutsche 2:0-Sieg aus dem Hinspiel zu einem fragilen Vorsprung geworden. Doch Sverkos vergab alle Chancen.

Die Abwehr als Schlüssel zum Erfolg

"Ich war im Strafraum zu schlecht", sagte er hinterher, "und Michael Rensing war zu gut." Der Torhüter vom FC Bayern gilt als Garant für den Erfolg. Er hat in beiden Spielen gegen die starken Tschechen kein Gegentor zugelassen. Seit 408 Minuten hat die deutsche Mannschaft keinen Gegentreffer mehr bekommen. Elf der 14 Spiele unter Trainer Eilts hat das Team gewonnen und drei mit einem Remis beendet. "Wir sind vor allem stolz darauf, dass wir in den zwölf Qualifikationsspielen nur fünf Gegentore bekommen haben", sagt Marvin Matip. Die Abwehr war der Schlüssel zum Erfolg. Anders als im A-Team von Jürgen Klinsmann ist die Defensive die Stärke der Junioren: die Abwehr und der effektive Sturm. Das weckt wohlige Erinnerungen an die Zeiten früherer großer, deutscher Nationalmannschaften.

Der gebürtige Angolaner Nando Rafael von Hertha BSC Berlin hat am Dienstag sein viertes Tor im sechsten Länderspiel erzielt. Das ist eine herausragende Quote. Deshalb hat Mike Hanke vom VfL Wolfsburg nach dem Spiel sogar darüber lachen können, dass er selbst den Ball in der 83. Minute aus drei Metern nur gegen die Latte donnern konnte. "Das war Kunst", sagte er und schüttete sich aus.

Mit derlei Defiziten kann die abwehrstarke Truppe bislang gut umgehen, dennwie sagte doch der Kölner Verteidiger Matip: "Man sagt doch: Stürmer gewinnen Spiele, aber die Abwehr gewinnt Meisterschaften!" Gegen solche Weisheiten hat nicht einmal mehr Dieter Eilts etwas einzuwenden.

© SZ vom 17.11.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: