Deutsche Fechter:Langsam aufstehen

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Zarter deutscher Aufschwung in Leipzig: Degenfechterin Alexandra Ndolo. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Der deutsche Fechtsport lag nach den Olympia-Enttäuschungen vor einem Jahr am Boden. Das Abschneiden bei der WM in Leipzig deutet einen Aufschwung an.

Von Volker Kreisl, Leipzig

Ein eingespieltes Ritual vor Großmeisterschaften aller Art ist die Bekanntgabe des Medaillenziels. Die Summe der gewünschten Plaketten ist dann stets fein austariert. Sie soll ja Selbstbewusstsein ausdrücken, aber auch keine übermäßigen Erwartungen wecken. Eine oder zwei der runden Trophäen fordert aber meist noch der letzte kriselnde Verband, zumal bei einer Heim-WM. Anders die Gesandten des Deutschen Fechterbunds. Sie erklärten vor ihrer Weltmeisterschaft in Leipzig unisono und wie aus der Pistole geschossen: "Keine Medaillenvorgabe!"

Die Deutschen sollten hier frei fechten, und gemessen an den bescheidenen Erwartungen ist das Ergebnis beachtlich: Eine einzige Bronzemedaille wurde es am Ende, aber eins ist im Vergleich zu null eine erhebliche Steigerung. Weil der Bronzegewinner zudem Richard Schmidt war, ein bislang unbekannter, erst 25-jähriger Degenfechter und WM-Debütant, hat der Verband nun auch einen wichtigen Beleg dafür, dass die eigenen Reformen greifen.

Denn natürlich geht es auch bei den Fechtern wie bei allen kriselnden Sportarten in diesen Zeiten nicht um Detailerfolge, sondern um das große Ganze: Das Überleben in Zeiten einer teils weltfremden, medaillenfixierten Spitzensportreform. Eine Strategie bestünde darin, den Athleten gnadenlose Vorgaben zu machen und blinden Reformgehorsam zu zeigen; die andere darin, die Wahrheit, nämlich den eigenen K.o. anzuerkennen und etwas wirklich Neues zu versuchen. Nach dieser WM sieht es so aus, als sei den Fechtern das gelungen.

Ein Vorteil lag ja darin, dass der Tiefpunkt der selbstgemachten Krise schon vor den Spielen von Rio lag. Erstmals seit 60 Jahren war kein deutsches Fechtteam bei Olympia, weil die Substanz fehlte. Dass die vier singulären Rio-Reisenden jeder für sich fechtend ohne Medaille heimkehrten, war nur die Vollendung des Niedergangs. Im Hintergrund gingen zwar die typischen Interessenskämpfe weiter, es wurden aber auch schon Konsequenzen gezogen. Bei vier von sechs Waffen stehen neue Bundestrainer an der Planche, das starre alte System bekam Risse. Vor allem in den Degendisziplinen zählen nicht mehr alte Meriten, sondern es zählt das aktuelle Können. Insgesamt waren jetzt neun Debütanten bei der Weltmeisterschaft dabei, ehemalige Ersatzleute rücken in den Vordergrund. Zwar bemisst sich der Fortschritt noch nicht in Medaillen, aber auf den Plätzen dahinter.

Säbelfechterin Anna Limbach, 28, wurde Fünfte, die Tauberbischofsheimerin Anne Sauer (Florett) und die Leverkusenerin Alexandra Ndolo (Degen) jeweils Achte. Sie erwiesen sich in ihren Teams als neue Leitfiguren. Auch im Männerflorett, wo noch die alten Strukturen herrschen, überzeugte nur einer, der zwar 2016 EM-Bronze holte, den die Öffentlichkeit aber noch nicht kennt: Andre Sanita, 25, aus Solingen. Er hätte fast den Weltranglisten-Fünften besiegt und schaffte am Ende Platz acht.

Solche unscheinbaren Beste-Acht-Platzierungen sind in diesem Sport wichtig. Sie bringen die Ranglistenpunkte, die dem Fechter einfachere Wege durch das K-o.-Feld eröffnen. Es ist ein mühsamer Prozess, aber je früher er begonnen wird, desto schneller sammeln die Jüngeren Erfahrungen, weil sie nicht so schnell aus Wettbewerben ausscheiden und immer mehr höherklassige Gefechte absolvieren. In den Einzeln haben die Deutschen ihre Aufgaben erfüllt, als Teams aber manche Chance verpasst. Immerhin, die Degen-Frauen, die nach einem Sieg gegen Frankreich noch Fünfte wurden, und die Florettfechterinnen (4.) überzeugten.

Gegen Max Hartungs Blackout hilft auch keine System-Reform

Sven Ressel, der DFeB-Sportdirektor, hofft, dass die Flucht nach vorne, die sein Verband in den vergangenen Monaten angetreten hatte, auch bei den Reform-Entscheidern im DOSB Wirkung zeigt. Ob solche weichen Medaillen-Faktoren aber mitzählen, die nun in den Degenteams greifen, ist äußerst ungewiss. Dort herrscht nun wieder Konkurrenzkampf, und das Geschrei in der Coachingbox offenbart einen deutlich stärkeren Teamgeist. Zudem gibt es eine bessere Absprache zwischen dem Nationalteam und den Nachwuchstrainern in den Vereinen, der neue Männer-Bundestrainer Mario Böttcher setzt mehr auf Kommunikation als sein Vorgänger.

"Wir haben unsere Aufgaben gemacht", sagt Ressel. Die Zentralisierung der Fechter ist vielleicht eine intelligentere Form des Zusammenwirkens. Nach Tauberbischofsheim, Dormagen und Köln/Bonn müssen die Einzelnen nicht zwangsläufig übersiedeln, dennoch wöchentlich mehrere Tage trainieren. Ressel geht weiter in die Offensive und verlangt von den obersten Gremien sogar mehr Geld: "Andernfalls können wir das Training an den zentralen Stützpunkten nicht gewährleisten."

Nicht so geplant war in Leipzig der Umstand, dass die zarten Erfolge der Nachrücker auch deshalb heller strahlten, weil die erfahrenen Fechter (und Posterboys) enttäuschten. Florett-Olympiasieger Benjamin Kleibrink, 31, war nach seiner Rückkehr noch zu konditionsschwach, Florett-Vierfach-Weltmeister Peter Joppich, 34, fehlte die Dynamik seiner Erfolgsjahre. Womöglich täte auch dieser Gruppe ein verstärkter Konkurrenzkampf gut.

Die andere große Enttäuschung hat schlichte Ursachen. Dass Säbel-Europameister Max Hartung zunächst früh im Einzel rausflog und dann seinem Team mit einem 4:18-Einbruch den sicheren Einzug ins Viertelfinale vermasselte, lag an unnötiger Nachlässigkeit und an einem längeren Blackout. Dagegen hilft wohl keine System-Reform.

© SZ vom 27.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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