Deutsche Bilanz:Boote und Pistolen

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Das Olympia-Team gewinnt deutlich mehr Goldmedaillen als 2012 und zeigt in den Mannschaftssportarten eine aufsteigende Form - Schwimmen und Leichtathletik bereiten aber Sorgen.

Von René Hofmann

Weniger Medaillen als erstrebt, deutlich mehr Gold als vor vier Jahren in London, auffallende Erfolge in den Mannschaftssportarten und zunehmender Zorn darüber, wie wenig in anderen Ländern gegen das weiter grassierende Doping unternommen wird: Die Rio-Bilanz des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) fällt gemischt aus.

Mindestens 44 Medaillen sollte die deutsche Olympia-Mannschaft bei diesen Sommerspielen sammeln. Der DOSB wollte vorführen: Der deutsche Sport ist seit London nicht schlechter geworden. Ganz wird dieses Ziel nicht erreicht. Beim Empfang der Heimkehrer am Dienstag in Frankfurt, zu dem Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesinnenminister Thomas de Maizière erwartet werden, gibt es trotzdem einiges zu feiern.

2012, als die deutsche Expedition bei der Rückkehr mit dem Kreuzfahrtschiff von London nach Hamburg übersetzte und bei der Gelegenheit die Bordbar der "MS Deutschland" arg ramponierte, hatte es elf Goldmedaillen gegeben. In Rio waren es 17. "50 Prozent mehr Goldmedaillen - mit diesem Schicksal würden viele gerne tauschen", sagt DOSB-Präsident Alfons Hörmann, der die Republik ja gerne in ein "Sportdeutschland" verwandeln möchte, wie er immer wieder erklärt.

Auf dem Weg dorthin kam seine Organisation in Brasilien aber nicht wirklich weiter. Selbst dort, wo es lief, zeigte sich, dass es zunehmend an der Breite fehlt. Die Zahl der Platzierungen bis zu Rang acht ist rückläufig, was der DOSB als Alarm-Zeichen wertet. "In den Finals haben die Topleute ihre Chancen sehr gut genutzt. Aber künftig brauchen wir mehr Kandidaten, die es unter die besten acht schaffen können", konstatiert der erstmals in diesem Amt bei Sommerspielen wirkende Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig.

Spiele der Spiele: Die Hockey-Frauen gehörten zu den zahlreichen deutschen Mannschaften, die Medaillen aus Rio mit nach Hause brachten. (Foto: David Rogers/Getty )

Nur wer im Endlauf dabei ist, kann auch gewinnen. Vor allem die Schwimmer und die Leichtathleten bekamen das in Rio noch einmal vorgeführt. Beide Verbände blieben hinter den Erwartungen zurück, auch hinter den eigenen. Zahlreiche Athleten blieben nicht nur weit hinter den Medaillenrängen, sondern auch hinter den eigenen Bestmarken. Dass beide Verbände die zunächst angedachten Qualifizierungsnormen aufgeweicht hatten, wertet DOSB-Sportchef Schimmelpfennig rückblickend als wenig hilfreich: "Die Gunst der Stunde hat niemand genutzt."

Ein Lob erging an die Schützen. Diese hatten nach den für sie medaillenlosen London-Spielen ihren Verband umgekrempelt und geschaut, wie bekommen wir welchen Medaillenkandidaten fit für Olympia? In Rio gab es dreimal Gold (Barbara Engleder und Henri Junghänel mit dem Kleinkalibergewehr, Christian Reitz mit der Schnellfeuerpistole) und einmal Silber (Monika Karsch mit der Sportpistole). "Ziel, Strategie, Plan, Umsetzung": An diesem Modell könnten sich andere orientieren, findet Schimmelpfennig.

Das Gold für das Beachvolleyball-Duo Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, die sich zu Beginn des Olympiazyklus den einstigen Trainer und den einstigen Manager des Londoner Gold-Duos Julius Brink und Jonas Reckermann gesichert hatten, sieht Schimmelpfennig als Beleg, dass derlei Konsequenz auch anderswo funktionieren kann. Als vorbildlich nennt er auch die Reiter und ihre Selbsteinschätzung.

Drei bis fünf Medaillen hatten diese angepeilt, wobei die Plaketten in den Mannschaftswettbewerben als gesetzt galten. Am Ende wurden es sechs Medaillen, womit die Reiter neben den Kanuten (sieben Medaillen) wieder einmal zu den eifrigsten Glanzstück-Sammlern gehörten.

Der Sportdirektor spricht von "Spielen der Spiele": Fast alle Mannschaften waren erfolgreich

2020 in Tokio werden Softball, Karate, Skateboarden, Surfen und Sportklettern olympisch. Viel, das ahnt Schimmelpfennig bereits, wird für ihn in diesen Sportarten nicht zu holen sein. "Wir werden uns mit den Verbänden jetzt mal unterhalten", sagt er defensiv. Für Sportdeutschland brächte es wohl mehr, sich mal mit dem IOC zu unterhalten, ob 2024 in Paris, Rom, Budapest oder Los Angeles nicht noch ein anderer Wettbewerb neu ins Programm rutschen könnte: einer, der Pferde, Boote und Pistolen kombiniert. Das käme den sportdeutschen Stärken sehr entgegen.

Daneben seien es dieses Mal vor allem "Spiele der Spiele" gewesen, so Schimmelpfennig. Gold für die Fußball-Frauen, Silber für die Fußball-Männer, Bronze für die Hockey-Frauen und die Hockey-Männer, selbst die Handballer, vor vier Jahren gar nicht qualifiziert, brachten diesmal Bronze mit nach Hause. Allen Spielsport-Mannschaften, die es nach Rio schafften, boten sich Medaillenchancen. Für Alfons Hörmann hat das einen äußerst positiven Aspekt: "Es werden rund 150 Medaillengewinner nach Deutschland zurückkehren, das ist jeder dritte im deutschen Team."

Aus dem Team werden allerdings auch einige heimkehren, die sich betrogen fühlen dürfen. Auf den Siegerlisten der Schwimmer, der Leichtathleten und vor allem der Gewichtheber stehen viele, die bereits positive Doping-Proben abgaben. Mancherorts sei der Wettbewerb so verseucht, dass es aussichtslos sei, sich ihm mit sportdeutschen Möglichkeiten zu stellen, sagt Sportchef Schimmelpfennig: "Im Gewichtheben sind wir erst wieder konkurrenzfähig, wenn der internationale Anti-Doping-Kampf erfolgreich ist."

Vor Beginn der Spiele hatte der DOSB nicht nur ein Ziel genannt, sondern einen Zielkorridor eröffnet. Der reichte bis zu 71 Medaillen, was ziemlich verwegen war. Für die nächsten Spiele soll dieses Vorgehen nun überdacht werden. Aus dem für den Sport zuständigen Bundesinnenministerium ist zu hören, eine Wettervorhersage, am nächsten Tag werde es zwischen 15 und 25 Grad warm, helfe ja auch keinem.

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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