Das deutsche Tennis in der Krise:"Da fehlt die Vision, das Heißsein"

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Daviscup-Teamchef Patrick Kühnen kritisiert die Einstellung der deutschen Profis zu ihrem Beruf.

Von Jörg Marwedel

Es hatte etwas von einer Flucht, als Andre Agassi, 35, nebst Ehefrau Stefanie Graf und den Kindern Jaden Gil und Jaz Elle am frühen Dienstagabend zum Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel eilte. Nur weg von diesem unwirtlichen Ort, der ihm so wenig Freude bereitete, weil "mein Körper nicht gut reagiert auf diese kalten Temperaturen".

Und tschüß: Andre Agassi unterliegt in der ersten Runde und ist froh, aus dem kalten Hamburg weg zu sein. (Foto: Foto: AP)

Und es war der Höflichkeit geschuldet, dass der achtmalige Grand-Slam-Gewinner nicht aussprach, was wohl jeder der 13 000 Zuschauer ahnte -- dass die klare Erstrunden-Niederlage gegen den Spanier Fabricio Lopez sein letzter, trauriger Auftritt in Hamburg gewesen ist.

Gerade zwei Tage hatte Agassi die Rolle als PR-Lokomotive ausgefüllt und die Veranstalter des Tennis Masters am Rothenbaum beglückt. Zwei Tage lang hatte der Boulevard das schillernde Tennispaar Agassi/Graf zum Stadtgespräch gemacht und aufgezählt, wo Ehefrau Stefanie einkaufte (am Jungfernstieg), wo die Familie mit den Kindern tobte (in einem überdachten "Spielparadies") und wo sie das Abendessen einnahm (auf dem Hotelzimmer).

Nun war der liebenswerte, alternde Popstar fort, und übrig blieb nur ein Thema: der verheerende Zustand des deutschen Tennis, der sogar die Zukunft des Traditionsturniers gefährdet, weil sich ohne germanische Hoffnungsträger nach den großen Fernsehsendern auch die Sponsoren abwenden könnten.

Bis auf Nicolas Kiefer waren sämtliche Spieler des Deutschen Tennis Bundes (DTB) bereits in Runde eins ausgeschieden -- die schlechteste Bilanz in 113 Jahren Rothenbaum-Geschichte.

Und es blieb Daviscup-Teamchef Patrik Kühnen vorbehalten, dies zum Anlass für eine scharfe Generalkritik zu nehmen. Kühnen wählte einen kleinen Konferenzraum im DTB-Gebäude, um mit den Spielern abzurechnen, die ihr Desaster zuvor mit den kuriosesten Gründen erklärt hatten.

Florian Mayer hatte den Krach der vielen Kinder am Kid's day für sein Aus gegen Mario Ancic verantwortlich gemacht, Tommy Haas den Wechsel seines Schlägers und "zu viel Druck" für die Niederlage gegen Dominik Hrbaty, und Rainer Schüttler hatte nach seiner erneut schlechten Leistung gegen Andreas Seppi behauptet, der Italiener habe den Vorteil gehabt, in der Qualifikation schon Matchpraxis zu sammeln.

Kühnen mag solche Ausreden nicht länger gelten lassen, und seine Worte erinnerten an die schmerzhaften Debatten, die seit langem auf fast allen gesellschaftlichen Ebenen über deutsche Probleme im internationalen Wettbewerb geführt werden.

Nüchtern stellte der frühere Daviscup-Gewinner nicht nur fest, dass "unsere Aushängeschilder sportlich zurzeit nicht besser sind". Er machte auch eine tiefe Mentalitätskrise für die Misere verantwortlich. Mangelnde Selbstkritik bis hin zum "Offenbarungseid" hat er erkannt und von seinem Trainerkollegen Ulf Fischer berichtet, der als Betreuer von Florian Mayer "momentan auf verschlossene Ohren" treffe, weil der Aufsteiger des vergangenen Jahres auf Ratschläge reagiere "wie ein bockiges Pferd".

"Bis hier", stünden ihm Diskussionen um Schläger, Kälte und Geräuschkulisse, sagte Kühnen, es fehle "der Zug" bei den deutschen Profis. Niemand nutze etwa die Möglichkeit, erfahrene ehemalige Spieler zu kontaktieren, um etwas über deren Erfolgsrezepte zu erfahren. "Andere junge Spieler aus den anderen Nationen arbeiten mehr", beendete Kühnen seinen Appell und monierte, nur "Kaffeetrinken nach dem Training" reiche eben nicht: "Da fehlt die Vision, das Heißsein. Man muss Tennis leben."

Ausdrücklich hatte der frühere Profi auch "das Umfeld" der Spieler mit eingeschlossen. Manager etwa, welche die Selbstzufriedenheit ihrer Klienten oft mit verschuldeten und versäumten, ihnen mehr Realitätssinn und eine bessere Außendarstellung beizubringen.

Was nütze es da, wenn Mayer nach dem Aus "geflennt hat wie ein kleines Kind" oder Schüttler "wie ein Häuflein Elend in der Umkleide saß". Kühnens Analyse wird also nicht allen Beteiligten gefallen, und ob er damit eine späte, aber dringliche Auseinandersetzung eröffnet hat oder gegen eine Wand läuft, wird sich bald zeigen.

Kaum anzunehmen allerdings, dass seine Kritik, die er vor dem World Team-Cup in Düsseldorf im Spielerkreis bekräftigen will, dort schon Früchte trägt.

Und ob sich damit die Perspektiven des wichtigsten deutschen Turniers retten lassen, ist ebenfalls fraglich. Für den gestrigen Mittwoch hatte sich eine Delegation aus Katar mit dem Tennispräsidenten Scheich Mohammad bin Faleh Al-Tani angesagt.

Die Kataris denken an eine 30-prozentige Beteiligung an der Rothenbaum-GmbH und haben bereits eine Werbebande der Telefongesellschaft Qtel am Centrecourt platziert. Von 2006 an sollen sie drei Jahre lang je eine Million Euro Sponsorengelder beisteuern.

Das ist erst einmal hilfreich, sicherte den Kataris aber die erste Option, falls das Turnier verkauft wird. Da wird es die Männer aus der Wüste kaum gestört haben, dass sie sich in Hamburg erst einmal kalte Füße holten.

© SZ vom 12.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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