Darts:Flucht durch die Hintertür

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„Wenn du zwei Jahre in Serie in der ersten Runde verlierst, bist du ein Amateur. Dann gehörst du nicht mehr in dieses Spiel“: Raymond van Barneveld geht mit seiner WM-Leistung hart ins Gericht. (Foto: Bradley Collyer/dpa)

Bei seiner letzten WM-Teilnahme verabschiedet sich der frühere Titelträger Raymond van Barneveld bereits in der ersten Runde. Anschließend ist der Niederländer untröstlich.

Von Sven Haist, London

Nichts konnte Raymond van Barneveld mehr trösten, nicht einmal die aufmunternden Gesten seiner Fans, der sogenannten "Barney Army". Mit leerem Blick, hängenden Schultern und stetigem Kopfschütteln verließ van Barneveld die Bühne des Dartssports, die in den vergangenen Jahrzehnten immer auch seine gewesen ist. Seine ganze Körperhaltung verriet, dass er vor allem eins wollte: einfach so schnell wie möglich weg.

Vor einem Jahr hatte der Altmeister aus Den Haag angekündigt, nach dieser Weltmeisterschaft abzutreten. Nun war es eine Erstrundenniederlage gegen den Amerikaner Darin Young, mit der die einzigartige Laufbahn des Niederländers endete. Durch eine Hintertür flüchtete van Barneveld, 52, aus dem Alexandra Palace in London, dem Eldorado des Darts. Für immer.

Als ob der fünfmalige Weltmeister (nur Phil Taylor liegt mit 16 Titeln vor ihm) mit diesem schmerzhaften Abgang gerechnet hätte, verabschiedete er sich bereits vor dem Spiel von seinem Publikum. Auf dem Weg zum Podium konnte er die Tränen kaum zurückhalten, mehrmals schaute er verlegen an die Decke. Die 2500 Zuschauer feierten ihn zum Soundtrack der Einlaufhymne "Eye of the Tiger" von Survivor, die zu seinem Markenzeichen geworden ist. Gerührt verneigte sich van Barneveld vor seinen Anhängern. Zu gern hätte er ihnen und sich selbst noch einmal bewiesen, mit der Weltspitze mithalten zu können.

Nach seinem frühen Ausscheiden verschlug es van Barneveld regelrecht die Sprache. An seiner Wortkargheit konnte jeder erkennen, wie sehr ihm seine eigene Leistung zu schaffen machte. Ob er seine Emotionen beschreiben könne? "Nein." Was ihm gerade durch den Kopf gehe? "Nichts." Eine Botschaft an die Fans? "Ich habe schlecht gespielt." Statt eines Abschiedsgrußes geißelte sich van Barneveld für seinen letzten Auftritt. Das 1:3 gegen Young kam für ihn, der nur zwischen Erfolg und Misserfolg unterscheidet, einem Gesichtsverlust gleich, gerade nach der Auftaktpleite im Vorjahr: "Wenn du zwei Jahre in Serie in der ersten Runde verlierst, dann bist du ein Amateur. Dann gehörst du nicht mehr in dieses Spiel. Das werde ich mir niemals mehr verzeihen."

Bereits im März hatte van Barneveld in einer Übersprunghandlung nach einem verlorenen Spiel seinen sofortigen Rückzug verkündet, ihn tags darauf allerdings wieder revidiert. Auf der Pressekonferenz ließ er später durchblicken, dass seine Erwartungen an sich selbst im Nachhinein vielleicht zu groß gewesen sein könnten.

Eine 2009 diagnostizierte Diabetes-Erkrankung erschwerte van Barnevelds Leben, seit etwa fünf Jahren kommen Depressionen hinzu. Am umfangreichen Turnierkalender, der sich mittlerweile von Australien über Asien und Europa bis nach Amerika erstreckt, ist seine Ehe zu Bruch gegangen. Vor anderthalb Jahren wurde seine Frau zu Hause Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls, während er auf Reisen war. Darüber hinaus hat auch die Anzahl der Niederlagen im Verlauf der jüngeren Vergangenheit seine Selbstzweifel verstärkt. Sein letzter Turniersieg gelang ihm im Sommer 2014, in der Weltranglistenliste ist van Barneveld auf Platz 40 abgerutscht.

Seiner Beliebtheit hat das nicht geschadet, im Gegenteil: Als früherer Postbote stieg van Barneveld - wie es das Klischee beim Darts verlangt - aus den Niederungen des sozialen Lebens ins Rampenlicht auf. Nach seinem ersten Weltmeistertitel 1998, für den er 32 000 Pfund kassierte, ließ er seinen ursprünglichen Beruf zugunsten des Darts ruhen. Spätestens nach dem dramatischen WM-Sieg 2007 über Taylor im Sudden Death gehört van Barneveld zum Inventar des Pfeilwerfens.

Während seiner großen Zeit vor einem Jahrzehnt gelangen ihm fünf perfekte Spielabschnitte, in denen er jeweils den Ausgangswert 501 mit neun Darts auf 0 herunterspielte. Ebenfalls unvergessen ist sein Achtelfinalsieg vor vier Jahren gegen den Weltranglistenersten Michael van Gerwen. Mit einem Wurf auf die Doppel-18 entschied er eine der höchstklassigen Partien der Darts-Historie für sich. Just dieses Lieblingsfeld verfehlte van Barneveld nun in seinem finalen Spiel dreimal nacheinander - sonst hätte er in der Auseinandersetzung mit Young einen Entscheidungssatz erzwungen.

Bei seiner Verabschiedung im Ally Pally wurden ihm noch einmal all seine Erfolge vorgelesen - und das Lob zuteil, dass er mit seinem Charisma geholfen habe, den Dartssport großzumachen. "Habe ich das?", fragte van Barneveld sarkastisch. Die Antwort kam postwendend von seinen Fans: indem sie ihm ein letztes Mal ausgiebig zujubelten.

© SZ vom 16.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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