Darmstadt gibt nicht auf:Höher als der Mount-Everest

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Zeitreise: Aytac Sulu (Weiß), in der vergangenen Spielzeit mit sieben Treffern, feiert gegen Mainz seine späte Torpremiere in dieser Saison. (Foto: Hasan Bratic/dpa)

Nach dem 2:1 gegen Mainz freut sich Trainer Frings über das Lob der Gäste, weiß aber auch, dass der Klassenerhalt in weiter Ferne ist. Sein Appell: "Mutig bleiben - es ist sowieso alles vorbei."

Von Tobias Schächter, Darmstadt

Als Martin Schmidt die bittere 1:2-Niederlage seines FSV Mainz 05 beim SV Darmstadt 98 analysierte, platze sein Trainerkollege Torsten Frings auf dem kleinen Podium im Pressekonferenzkabuff fast vor Stolz. Jeder Satz von Schmidt zauberte ein kleines Lächeln in das Gesicht von Frings. Der Mainzer Trainer sang ein Loblied auf die Leistung der Darmstädter, die seinen Spieler als "Vorbild" dienen solle. Er habe die ganze Woche in Wort und Bild vor dem Gegner gewarnt, aber entweder habe er undeutlich gesprochen, oder seine Profis ihm nicht zugehört, ätzte der Schweizer: "Die Darmstädter hatten von der ersten Minute eine Aggressivität und Leistungsbereitschaft - wir nicht." Frings bedankte sich artig für die warmen Worte und gab zu: "Das geht runter wie Öl."

Endlich wieder einmal gewonnen: Den Lilien tut dieses Gefühl richtig gut, nachdem der Abstand des Tabellenletzten ans rettende Ufer nach zuletzt guten Leistungen, aber immer wieder knappen Niederlagen immer größer geworden war. Und auch die drei Punkte gegen Mainz brachten keine wirklich signifikante Verbesserung, Frings gab zu: "Die Tabelle sieht immer noch beschissen aus."

Angesichts von nur 15 Zählern und elf Punkten Rückstand auf Werder Bremen auf Rang 15 und acht Punkten Abstand auf den Hamburger SV auf Relegationsrang 16 wirkt Frings' folgender Bergsteiger-Vergleich nur ein bisschen übertrieben. "Den Berg, den wir besteigen müssen, ist höher als der Mount-Everest."

Darmstadts einzige Chance: Sioe haben keinen Druck mehr

Die Chance auf die Rettung und ein neues Fußball-Wunder in Südhessen sind bei noch zehn ausstehenden Spielen und dieser Ausgangsposition tatsächlich weiter eher theoretisch als praktisch. Vielleicht aber liegt darin ja auch eine Chance, zumal die Mannschaft nicht den Eindruck macht, als habe sie sich aufgegeben. "Wir wollen jedes Spiel gewinnen, aber wir sind Darmstadt 98 und gewinnen mal nicht eben sieben oder acht Spiele in der Bundesliga", weiß Frings.

Endlich gingen die Darmstädter einmal früh in Führung, Aytac Sulu erzielte nach einer Ecke von Mario Vrancic sein erstes Saisontor per Kopf (5.). Und die Mainzer, die die ersten 20 Minuten auf dem eigentlich sehr gut bespielbare Rasen eher herumstolperten, schenkten den Lilien noch einen zweiten Treffer: Andre Ramalho stellte Jerome Gondorf im Strafraum ein Bein - den Strafstoß verwandelte Sidney Sam zum 2:0 (12.). Im weiteren Spielverlauf ließen sich die Darmstädter trotz schwerer Rückschläge den Sieg nicht mehr nehmen. Der Mainzer Anschlusstreffer fiel mit der letzten Aktion vor dem Pausenpfiff, als Robin Quaison den Ball nach einem Lattenkopfball von Pablo de Blasis über die Linie drückte.

Mainz ist zurück - im Abstiegskampf

"Ich habe in der Pause an die Mannschaft appelliert, sie soll mutig bleiben - es ist sowieso alles vorbei", erzählte Frings. Vielleicht ist es ja tatsächlich hilfreich, wenn die Mannschaft sich selbst nicht jede Woche noch zusätzlich unter Druck setzt. Gegen die schwachen Mainzer retteten sie auch in Unterzahl die Führung über die Zeit, Vrancic war nach 59 Minuten nach gelb-roter Karte vom Platz geflogen. Kurz vor dem Abpfiff wurde auch der Mainzer Kapitän Stefan Bell nach wiederholtem Foulspiel von Schiedsrichter Frank Willenborg vorzeitig in die Kabine geschickt.

Mainz 05 befindet sich mit 29 Punkten nun im Abstiegskampf. Sportdirektor Rouven Schröder ärgerte sich über eine "unakzeptable erste Halbzeit". Wie schon bei der Heimniederlage gegen Bremen habe es Mainz wieder nicht geschafft, sich "von unten abzusetzen", nörgelte Schröder, und Trainer Schmidt fordert: "Wir müssen den Kampf annehmen." Die schwankenden Leistungen seiner Elf erklärt er so: "Wir sind eben kein Spitzenteam. Wenn bei uns nicht jeder an sein Leistungslimit geht, gewinnen wir kein Spiel."

Am nächsten Wochenende gegen den FC Schalke stehen die Mainzer unter Erfolgsdruck. Die Mannschaft, die in der Vorrunde noch in der Europa-League gespielt hat, muss die Situation im Abstiegskampf nun schnell annehmen. In Darmstadt verzettelten sich die Spieler in Nebenschauplätzen und haderten oft mit dem Schiedsrichter. "Die Situation haben wir uns eingebrockt, niemand sonst", sagt Schmidt.

Die Lilien hingegen freuten sich über ihren Sieg auch deshalb, weil sie in einem Sondertrikot angetreten waren, das den vor einem Jahr an Krebs gestorbenen Fan Jonathan Heimes erinnert: "Du musst kämpfen", stand darauf. Die Darmstädter haben dieses Motto von Heimes verinnerlicht. Torsten Frings verspricht: "Hier gibt sich keiner auf - auch, wenn wir wissen, dass es eine unmögliche Situation ist."

© SZ vom 12.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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