Damen-Tennis:Die Übergangs-Regentin

Lesezeit: 2 min

Lindsay Davenport beendet die russische Hegemonie in der Frauen-Tennisweltrangliste. Doch der Rücktritt der neuen Nummer eins naht schon.

Von Josef Kelnberger

Die Tennistour der Frauen ist in dieser Woche angekommen, wo sie derzeit zu Hause ist: in Moskau, beim Kreml-Cup. 1,3 Millionen Dollar sind ausgelobt bei diesem Turnier der obersten Kategorie, wie es der Deutsche Tennis-Bund gerade nach Katar verkauft hat.

Die neue Nummer eins: Lindsay Davenport. (Foto: Foto: AP)

Drei von vier Grand-Slam-Turnieren haben russische Spielerinnen (Anastasia Myskina, Maria Scharapowa, Swetlana Kusnezowa) dieses Jahr gewonnen, in den Top 10 der Weltrangliste steht neben den dreien auch Jelena Dementiewa, zweimalige Grand-Slam-Finalistin dieses Jahr.

Russische Harmonie

Und knapp dahinter drängen Vera Zwonarewa, Nadia Petrowa und Jelena Bowina heran, nicht zu vergessen Dinara Safina, Jelena Lichowzewa und als neuestes Talent die 18-jährige Vera Duschewina.

Eine russische Hegemonie zeichnet sich ab - und wem die Wachablösung zu schnell geht, der kann sich jetzt noch einmal an einer nostalgisch gefärbten Nummer eins orientieren: Lindsay Davenport, 28, eroberte gestern dank eines Sieges gegen Safina die Nummer eins der Weltrangliste.

Zum sechsten Mal in ihrer Laufbahn setzte sich Davenport an die Spitze, beginnend mit dem 12. Oktober 1998 hatte sie Rang eins insgesamt 37 Wochen inne. Ihr Aufstieg ist aber nicht der Beginn einer neuen Regentschaft, sondern der Anfang vom Ende ihrer Karriere, die zurückreicht bis in die Ära Steffi Graf.

Ein Jahr noch

Nächstes Jahr wird Davenport abtreten. Sie ist eine Regentin des Übergangs - begünstigt von einer Verletzung der Französin Amélie Mauresmo, die in Moskau nicht antreten konnte und ihren Platz an der Spitze, erobert ohne einen Grand-Slam-Titel, nach nur fünf Wochen wieder verlor.

In den vergangenen zwei Jahren wechselte die Nummer eins fünfmal. Und die Frage ist nun, ob sich irgendjemand wieder an der Spitze etablieren und der Tour ein Gesicht geben kann - so wie Roger Federer bei den Männern, der in Konkurrenz mit ein paar Rivalen, voran Andy Roddick, dominiert.

In einer solchen Konstellation hatte das Frauentennis seine Blüte, doch die dominierende Gruppe löste sich beginnend mit dem Rücktritt von Martina Hingis auf - bis hin zur Unübersichtlichkeit dieser Tage.

Ermattet vom Virus

Justine Henin und Kim Clijsters haben ihre Saison schon beendet, die eine ermattet von einer hartnäckigen Viruserkrankung, die andere lahm gelegt von einer Handgelenksverletzung. Die Belgierinnen haben ihre Körper und ihren Geist über die Grenze der Belastbarkeit hinaus getrieben - wie vor ihnen Venus und Serena Williams, die bloß mehr sporadisch in den Siegerlisten auftauchen.

Jennifer Capriati, so alt wie Davenport, hat - von Verletzungen und Erkrankungen geplagt - seit den US Open kein Turnier mehr gespielt. Andere US-Aspirantinnen für die Nummer eins? Fehlanzeige. Es zeichnet sich ein Albtraum ab für die vorwiegend in den USA beheimateten Vermarkter der Tour: Frauentennis ohne amerikanische Stars.

So wird Lindsay Davenport bei dem am 8. November beginnenden Saisonfinale die amerikanischen Hoffnungen tragen, in Los Angeles, wo sich schon in den vergangenen Jahren deprimierende Lücken auf den Rängen auftaten. Unter Aspekten des Marketings drängt sich am ehesten die in Florida beheimatete Wimbledon-Siegerin Maria Scharapowa als neue Regentin auf.

Die 17-Jährige hat gerade zwei nachrangige Turnier in Seoul und Tokio für sich entschieden, und verzichtet, sehr souverän, auf das Kräftemessen in Moskau. Favoritin des Publikums (zumindest des männlichen) ist sie auch so. Bei Internet-Wahlen zur Spielerin des Jahres 2004 gewinnt sie in den USA haushoch.

(SZ vom 15.10.2004)

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: