Curling:Herrlich uncool

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Bei der Curling-EM in Füssen treffen sich Düsseldorfer Griechen mit schottischen Laptop-Profis, warten auf den "Ice Super King" und hören "Morning has broken".

Eine Reportage von Lars Spannagel

Montserrat Marti wirft sich bäuchlings aufs Eis und kreischt lauthals. Ihr Curlingstein rutscht Richtung Zielfeld, die Spanierin brüllt abwechselnd "Si, si, si, si, si!" und "Nooooooo!". Ihre Mitspielerinnen mühen sich nach Kräften, sie schrubben mit ihren Besen über das Eis. Doch selbst das eifrigste Schrubben hilft nichts, Spanien wirft nach acht von zehn Spielabschnitten gegen Norwegen den Besen ins Korn, es steht 2:9, Aufholjagd zwecklos. Das dritte Spiel, die dritte Niederlage.

Schubsen, brüllen, schrubben: All das und noch viel mehr ist Curling. (Foto: Foto: ddp)

Im Training können die vier Freundinnen aus Barcelona nichts falsch gemacht haben - sie trainieren nie. In ihrer Heimat gibt es keine Eishalle, deshalb fahren sie nur vor Titelkämpfen zum Üben in die Schweiz oder nach Frankreich. Trotzdem haben sie sich als Landesmeister für diese Curling-Europameisterschaft in Füssen qualifiziert, die sechs anderen spanischen Frauenteams hinter sich gelassen. "Und wenn Madrid auf Barcelona trifft, geht es richtig zur Sache", sagt Marti, "das ist beim Curling nicht anders als beim Fußball."

Es geht um den EM-Titel und den Aufstieg - und den schieren Spaß

32 Männer- und 23 Frauenteams treten in Füssen gegeneinander an, es geht um die Qualifikation für die WM 2008 und auf längere Sicht um Olympiatickets für die Winterspiele 2010 in Vancouver. Curling hat durch die Fernsehübertragungen bei den vergangenen Olympischen Spielen einen kleinen Boom erlebt, in Füssen sind auch des Curlings eher unverdächtige Nationen wie Griechenland und Andorra am Start. In der A-Gruppe spielen bei Männern und Frauen je zehn Teams um den Titel, in der B-Gruppe nebenan in der kleineren Füssener Eishalle geht es um den Aufstieg - und um den schieren Spaß.

Charly Kapp stöhnt ein bisschen über die Flut der mittelprächtigen Teams. Der 62-jährige Füssener - gepflegter weißer Schnauzer und Igelfrisur - war 1991 Europameister, jetzt koordiniert er die freiwilligen EM-Helfer. Teams wie das der Spanierinnen machen ihm die Arbeit schwer: "Die Situation ist eigentlich kaum tragbar." Während Spitzenteams (zwei Kapp-Söhne spielen für Deutschland) maximal zweieinhalb Stunden für eine Partie benötigen, kann es in der Gruppe B auch eine Stunde länger dauern. "Die diskutieren oft sehr lange über jeden Stein", seufzt Kapp, "können sich nicht entscheiden, wie sie weiterspielen sollen." Charly Kapp, dem überzeugten Curler, merkt man aber auch an, dass er sich über jeden freut, der seinen Sport ausprobiert.

In der Männer-B-Gruppe curlt die griechische Nationalmannschaft, angereist aus Düsseldorf. Dort gründeten vier griechischstämmige Rheinländer nach den Spielen von Salt Lake City ein Team, um möglichst bequem zu Olympia zu kommen. Als sie merkten, dass man sich sportlich qualifizieren muss, war es schon zu spät: Vom Curling konnten sie nicht mehr lassen. "Die Technik ist schnell gelernt, die Arbeit mit dem Besen, die Standsicherheit auf dem Eis", erklärt Trainer Giuseppe Valentini, "aber die Feinheiten ..." Auch Valentini ist Düsseldorfer, doch als Nicht-Grieche darf er seine griechischen Kumpel nur trainieren.

Valentini schärft ihnen vor dem Spiel ein, nur einen kleinen Happen zu essen. Sekunden später steht einer der Spieler mit einem dampfendes Stück Pizza in der Hand vor ihm. Obwohl sie die ersten Partien verlieren, freuen sich die Düsseldorfer Griechen. Valentini schwärmt von der Qualität des Eises. Das Eishockeyfeld, auf dem sie sonst trainieren, sei dagegen der "reinste Kartoffelacker".

Damit die Steine perfekt flitzen, beschäftigen sich bei der EM 16 Leute mit dem Eis. Zwei Eismeister und 14 Gehilfen bereiten die Oberfläche curlinggerecht vor. Erst versprüht der Eismeister feine Tröpfchen, die auf dem Eis kleine Erhebungen, sogenannte Pebbles bilden. Die handliche rasenmähergroße Curling-Eismaschine Marke "Ice King Super" erledigt den Rest und schleift die Pebbles ab.

Die Spielgeräte werden zu allen großen Turnieren vom Curlling-Weltverband eingeflogen - eine kostbare und schwere Fracht. Die perfekt geschliffenen Granitstücke kosten 500 Euro das Stück und wiegen rund 20 Kilogramm. Das Rohmaterial der Original-Steine stammt von einer Insel namens Ailsa Craig vor der Südwestküste Schottlands - dem Mutterland des Curlings.

Hochkonzentriert: Die deutschen Spieler Andreas Kempf, Andreas Kapp und Andreas Lang (von links). (Foto: Foto: ddp)

Simon und Anne Martin blicken jeden Morgen auf Ailsa Craig, wenn sie zu Hause aus dem Fenster schauen. Dort im Südwesten Schottlands am Firth of Clyde fertigt der Juwelier Simon Schmuck mit Curlingmotiven aus Curlinggranit - Ailsite genannt -, in der Füssener Eishalle hoffen die beiden, dafür Abnehmer zu finden. "Man muss schon ein bisschen bekloppt dafür sein", gibt er zu. Bei der EM hat er erst wenige Stücke verkauft. Weder die Brosche in Form eine Curlers (Hose aus einer Perle, Jacke aus Diamanten, Curlingstein aus Lapislazuli, 1895 Euro), noch den Anhänger aus grünem Malachit in Form des Spielgeräts für 592 Euro. Nicht einmal die schlichten Manschettenknöpfe aus Ailsa-Craig-Granit zu 58 Euro gehen weg. Dabei zählt Simon Martin selbst Prinzessin Anne zu seinen Kunden.

Der Souvenirstand ein paar Schritte weiter bietet so uncoole Produkte an, dass es einem ganz warm ums Herz wird. Das Logo der EM findet sich auf Fingerhüten, Brieföffnern und Pillendosen wieder. Die größte Gemeinde potentieller Käufer haben die Schotten mitgebracht, ihr Fanblock besteht aus rund 20 mitgereisten Fans und ist zusammen geschätzte 1200 Jahre alt. Daneben analysiert der Trainerstab der Schotten die Taktik der Gegner mit Videokamera und Laptop. Profis sind auch die schottischen Curler nicht - die gibt es nur in Kanada.

"Jepjepjepjep!" schreit der Däne

Viele Fans verirren sich nicht in die Füssener Eissporthalle, ein paar hundert kommen aber jeden Tag. Eine VIP-Zone lockt mit fünf weißgedeckten Tischen und perfektem Blick auf die Spielfelder, bleibt aber meist leer. Für den nächsten Tag hat sich wenigstens eine Versicherung angekündigt, Betriebsausflug. Wer nah dran ist, kann Curling auch hören. In zehn verschiedenen Sprachen brüllen die Spieler durcheinander. Dazu hat jedes Team seine eigenen Laute. "Jepjepjepjep!" schreit der Däne, "Joaah, Joaah, Joaah!" macht der Schweizer. Übersetzt heißt es das gleiche: Entweder die Spieler an den Besen sollen schneller über das Eis schrubben. Oder sie sollen es bleibenlassen.

Am schönsten aber ist das Aufwärmen. Auf sechs Bahnen gleiten die besten Curlerinnen Europas tuschelnd über das Eis. Der Füssener Hallen-DJ spielt dazu "Morning has broken" oder "Ain't no sunshine when she's gone" oder "Nothing compares 2 u". Ganz leise, als könnte laute Musik den Zauber der Szenerie zerstören.

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