Contra Völler-Rücktritt:Schade, dass er geht

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Von Bernd Graff und Martin Peter

Ein Rückblick: Juni 2000. Der deutsche Fußball durchleidet eine seiner bittersten Stunden. Blamabel das Auftreten der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Belgien und den Niederlanden. Ein Punkt, ein Tor. Deutschland schied aus. Als Gruppenletzter. Der deutsche Fußball war am Boden. Für viele schon unter der Erde. Die Ära Ribbeck, die niemals eine war, ist beendet.

Von Beileidsbekundungen am offenen Grab bitten wir abzusehen. (Foto: Foto: dpa)

Doch wer sollte folgen? Außer Daum war niemand in Sicht. Und der war unabkömmlich. Der DFB suchte Unterstützung und fand sie bei den Spitzenteams der Bundesliga. Und auf einmal stand er da, wie Phoenix aus der Asche: Rudi Völler, Sportdirektor bei Bayer Leverkusen, wurde der neue Teamchef.

Obwohl er - wie Beckenbauer - nicht einmal eine Trainerlizenz und noch kein Spiel als Trainer auf der Bank verbracht hatte, war allen klar: Rudi wird es richten. Schlagartig war wieder Hoffnung da. Zu Recht, wie sich schnell herausstellte. 4:1-Sieg gegen Spanien zum Einstand. Zwei Monate später ein 1:0 in der WM-Qualifikation in England.

Die Nationalmannschaft war auf dem Weg zur WM, einer sehr erfolgreichen. Die Mannschaft wurde gefeiert - und mit ihr der Trainer. Er wurde zum Sympathieträger, fast zum Messias: "Es gibt nur ein Rudi Völler."

Zu sehen war eine vollkommen andere Mannschaft, eine mit Selbstvertrauen, die sich wieder Respekt verschaffte. Mit Völler kam das Glück zurück, vergessen das blamable Ausscheiden bei der EM.

Und trotzdem: Viel geändert hat Völler nicht. Konnte er auch gar nicht. Die Spieler blieben ja im Grunde dieselben. Allein seine Anwesenheit, sein Auftreten und nicht zuletzt sein Umgang mit der Mannschaft veränderten alles. Ein Kumpeltyp, hörte den Spielern zu, machte ihnen Mut, gab ihnen Selbstvertrauen, formte eine Mannschaft mit Teamgeist.

Und jetzt soll er nicht mehr da sein? Ist er nicht mehr da. Unbegreiflich! Die Ära Völler zu Ende. Bleibt die Frage, wer es denn besser machen soll? Vor allem: Wer es besser machen kann? Hitzfeld? Daum? Oder etwa Breitner? Wie gesagt, mit Völler geht die Hoffnung.

Die Hoffnung, dass sich etwas Grundlegendes ändert im deutschen Fußball: Hoffnung auf eine Sprengung der verkrusteten Strukturen und der Hierarchie alter Männer - und eine wirklich konsequente Jugendarbeit in den Vereinsmannschaften.

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

Leute! So war das nicht gemeint! So haben wir das nicht gewollt. Rausfliegen aus der EM und Völlers Abschied im Doppelpack. Das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Das erste schon, das zweite nicht. Ja doch: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat gekickt, dass der Herr erbarm. Und natürlich wussten wir immer schon, dass die Deutschen in den vergangenen Jahren, etwa bei der letzten WM, nur mit Losglück und dem Pech der Anderen dahin kommen können, wo die Säulenelf des deutschen Fußballs 1974 einmal gestanden hat.

Es ist doch seit Jahren kein Fußballgeist mehr in diesem teutschen Querpass-Land. Und das fällt gerade dann auf, wenn man andere europäische Mannschaften, die gerade bei der EM so beherzt auftreten, sieht, wie etwa die namenlosen Griechen und natürlich Tschechien, die fantastischen Ergebnisdreher.

Wenn man zurückdenkt - haben wir dasselbe nicht auch schon vor zwei Jahren über die US-Boys und Japaner und Koreaner und all die anderen NoNames gesagt, die es mit ein wenig Pech nicht in das Finale schafften, in das das deutsche Team sich irgendwie rein gerumpelt hat? Kein Blendwerk, keine Augenwischerei das. Wir haben es insgeheim doch immer alle gewusst.

Als die Deutschen vor vier Jahren aus der EM gekickt wurden, sah man deutsche Fans die niederländische Grenze passieren. Sie hielten Transparente in Händen, auf denen "Schämt Euch" geschrieben stand. Denn: man hielt dieses Ausscheiden für "vorzeitig" - ganz so, als ob es unverdient gewesen und nur der Faulheit von Fußball-Millionären geschuldet gewesen wäre. War es nicht. Denn nicht erst seit heute wissen wir: Da war nichts unverdient: Sie können´s nicht (mehr) so wie die anderen.

Hören wir doch mit dem Augenzwinkern auf, mit diesem "Wir machen´s eben wieder fuchsschlau, wenn die anderen nur mitspielen."

Auch jetzt wieder: Hätten die Holländer denn nicht genauso grottenschlecht gegen Lettland spielen können wie wir? Nein, haben sie nicht, warum hätten sie auch? Tatsächlich ist das ja aber immer schon Teil des deutschen Kalküls, und es ist absoluter Blödsinn. Spiele werden auf dem Rasen gewonnen und nicht auf den Strategie-Zetteln von neunmalklugen Funktionären, die nur das Konstellationspech der Anderen ausbaldowern wollen. Deutschland muss seine Spiele endlich wieder selber gewinnen - aus Losglück und den Kahn-Titan allein entwickelt man im internationalen Vergleich keine Perspektive mehr. Das reicht dann einfach nicht.

Denn im Ergebnis steht: Spielerisch kann Deutschland im Augenblick nicht mithalten. Darüber täuschen gerade auch die Jungen Wilden nicht hinweg, die übermotiviert, aber schlecht bedient dazu verdammt sind, an der Strafraumgrenze rumzuhampeln. Und die so genannten Veteranen? Die Altgedienten - die Deutsche Bank? Warum wohl spielt das deutsche Team seit Jahren nur wie der Rasen geschnitten ist, immer quer. Und parallel zur Torlinie, zu ihr aber in sicherer Entfernung? Wir sehen es doch: Weil es eben nicht weiter geht. Im Augenblick nicht: Ein jegliches hat und braucht eben seine Zeit. Aber dann ...

Und darum sind die personellen Konsequenzen, die Rudi Völler nun gezogen hat, verständlich - aus seiner Sicht. Aber wenig hilfreich für den deutschen Fußball: Wen denn hätte er bitte aufstellen sollen? Er hat ja sogar Volkes Stimme nachgegeben und ein Überaufgebot an Frischfleisch gebracht, nachdem die üblichen Verdächtigen (Klose, Bobic) sich selber gründlich verschlissen haben. Wen also würde ein Trainer Hitzfelddaum als Alternative bieten? Eben.

Und auf die Fernseh-Interviews mit dem wandelnden Schirmständer Hitzfeld oder dem Ichsachma-Daum wollen wir, jetzt im Ernst, überhaupt erst gar nicht warten.

© SALOMO, Prediger 3, 1-13 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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