Pokalsieg:Der schönste Pokal der Welt

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Nach dem Final-Triumph gegen Chile haben die deutschen Fußballer das lange belächelte Turnier ganz arg lieb. Bundestrainer Löw ist sogar "megastolz" auf seine neuen jungen Siegertypen.

Von Philipp Selldorf, St. Petersburg

An Bord des Charter-Flugzeugs, das die Nationalelf aus St. Petersburg nach Frankfurt brachte, trugen viele Passagiere Sonnenbrillen. Als Zeichen einer kurzen, aber ausgelassen verbrachten Nacht waren sie wohl Bestandteil der offiziellen Kleiderordnung, und dass Julian Draxler demonstrativ sonnenbebrillt durch die Reihen vagabundierte, da und dort Hände schüttelnd und Reden führend wie ein Politiker auf Wahlkampftour, das ließ vermuten, dass er unter seinem DFB-Anzug immer noch die Kapitänsbinde angelegt hatte. Für deren feierliche Aufbewahrung wird wohl, das ist ebenfalls dringend zu vermuten, in seinem Elternhaus in Gladbeck eine Vitrine eingerichtet.

Außer dem Haufen seminüchterner Nationalspieler, Betreuer und breitschultriger Beschützer befand sich ein goldener Pokal im Flugzeug, der von DFB-Leuten bis in die letzte Sitzreihe durchgereicht und überall sehnlich erwartet worden war. Kein Fluggast ließ die Chance fürs Erinnerungsfoto aus. Der Confed Cup ist in Deutschland ausführlich belächelt und gering geschätzt worden; doch jetzt, da ihn ein Sondereinsatzkommando des Bundestrainers durch das 1:0 gegen Chile in Besitz gebracht hat, ist er eine Trophäe, mit der sich jeder gern sehen lässt.

21 Zeremonienmeister: Für die Auserwählten des deutschen Kaders gab es nach dem Confed-Cup-Finale eine rauschende Siegernacht in St. Petersburg.

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(Foto: AFP)

Zwei Legenden und ein glücklicher Stürmer: Timo Werner empfängt die Trophäe für den besten Torschützen neben Diego Maradona und Ronaldo (v.r.).

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(Foto: REUTERS)

Reingeschoben, Spiel gewonnen: Lars Stindl trifft zum Siegtor für Deutschland, Chiles Torwart Claudio Bravo ist machtlos.

Da der Pott nun unter uns ist, wollen wir ihn ehren und lieb haben - in diesem Sinne äußerte sich sehr spät am Sonntagabend im Stadion auch der Herr, der Montagfrüh in der ersten Flugzeugreihe Platz nahm: Reinhard Grindel, der DFB-Präsident, hatte in den Tagen und Wochen vor dem Turnierstart nicht viele Gelegenheiten ausgelassen, um die Veranstaltung für überholt und überflüssig zu erklären. Jetzt unterschied er fein zwischen Sport und Politik, er schwärmte vom spannenden Spiel, vom tollen Turnier und vom deutschen Kader, der wieder Weltmeister werden könne.

Bisher ruhige Zeitgenossen bescheren dem Bundestrainer Bier- und Sektduschen

Welche Wirkung so ein Erlebnis hat, ließ sich auch an Antonio Rüdiger beobachten. Der Verteidiger gehörte im harten Kampf mit Chile zu den wichtigsten Stützen, schon nach vier Minuten tat er sich mit einer großartigen Strafraum-Grätsche gegen Charles Aranguiz hervor. Ansonsten war der 24-Jährige während der Reise durch Russland vor allem durch Fernbleiben aufgefallen. Nicht auf dem Feld, wo er sich dank seines Förderers Jogi Löw in vier von fünf Spielen präsentierte. Sondern während der Aktivitäten im Mannschaftskreis. Rüdiger, bekennender Verfechter des Playstation-Sports, verweigerte sich nicht nur der gemeinsamen Freizeit im sonnigen Sotschi, er tauchte auch nicht am Hotel-Schwimmbad auf, und bei der Stadtrundfahrt durch St. Petersburg fehlte er sowieso. Aber beim Freudenfest auf dem Rasen gehörte er plötzlich zu den Vorzeige-Jublern und Zeremonienmeistern.

Ja, es ist nur der Confed Cup. Doch für die 21 Auserwählten, die ihn gewannen, ist es der schönste Pokal der Welt - und er lieferte den Anlass für zauberhafte Verwandlungen. Bei der Pressekonferenz nach der Partie lärmte es plötzlich hinter den Kulissen des Saales: "Campeones, Campeones, olé, olé, olé", wurde im Chor gerufen, und sicherlich waren nicht die schwer geknickten Chilenen die Urheber des Triumphgesangs. Ein paar Minuten später gaben sich die Sänger zu erkennen, indem sie mit einem Sekt- und Bierduschen-Überfall auf den Bundestrainer die Weltbühne zum Dorffestzelt umfunktionierten.

Als Rädelsführer ging vollbärtig Emre Can voran, im Gefolge Jonas Hector, Marvin Plattenhardt und Bernd Leno, die der aufrührerischen Gesinnung bis dahin absolut unverdächtig waren. Nachdem die feiernden Hooligans wieder abgezogen waren, saß Löw derangiert vor staunenden Chilenen, Chinesen, Russen, Briten und anderen Weltbürgern - im durchweichten Hemd, nach Bier und Sekt riechend, aber "megastolz" auf die Spieler, die ihn so zugerichtet hatten. Er lächelte nachsichtig, und es fehlte nur noch, dass er väterlich feststellte: Ja, ja, Kinder, so sind sie halt ...

Auf dem Podium neben Löw saß als "Man of the Match" Marc-André ter Stegen, vom Fifa-Moderator fröhlich als Julian Draxler begrüßt, was etwas über den Bekanntheitsgrad der Confed-Cup-Helden sagt - und auch über die Fachkenntnisse des Weltverbandspersonals. Auf Englisch, Spanisch und Deutsch gab ter Stegen der internationalen Presse Antworten, in den Fremdsprachen bewegte er sich sicherer als zuvor manchmal im deutschen Tor. Das war kein Wunder: Mit seinen 25 Jahren war er einer der Greise im DFB-Team.

Häufig war in Russland die Rede davon, dass die dort versammelten Vertreter der nächsten Nationalspieler-Generation ein wenig anders sind als ihre ebenfalls in den Nachwuchsleistungszentren herangezogenen Vorgänger: ein Stück selbstbestimmter, profilierter, kommunikativer, mutiger nach außen. Auch Spieler wie Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Benjamin Henrichs oder Timo Werner, die nicht wie ter Stegen im Ausland spielen, hatten in Sotschi, Kasan oder St. Petersburg keine Scheu, sich vor großem Publikum in fremden Sprachen zu verständigen. Teammanager Oliver Bierhoff erzählte, er habe Nationalspieler kennengelernt, die den nächsten, noch besser dotierten Vertrag bei einem noch größeren Verein nicht für den wichtigsten Lebensinhalt eines Profifußballers hielten. Er staunte darüber. Das hatte er bei vorigen Turnieren anders erlebt.

Auch mit wenigen Weltmeistern ist "Deutschland immer noch die beste Mannschaft der Welt"

Was dieser Pokal nun bedeute, wurde Löw gefragt. "Er klebt", sagte er, denn auch der Pott war unter Bier- und Sektdusche geraten. Ansonsten betrachtet der Bundestrainer den Siegerpreis als Statussymbol, das man gegen einen Herausforderer verteidigt hatte: "Arturo Vidal hat vor dem Endspiel gesagt, die Chilenen wollten den Pokal gewinnen. Dann seien sie die beste Mannschaft der Welt." Aber so sei es eben nicht gekommen: "Deutschland ist immer noch die beste Mannschaft der Welt."

Vor allem aber bewegte Löw, dass den Rang des Weltmeisters nicht die Weltmeister verteidigt hatten, sondern deren unterschätzte Stellvertreter: "Dass es gerade diese Jungen geschafft haben, diesen Titel zu gewinnen, ist etwas Historisches und Einmaliges in der deutschen Geschichte. Das finde ich herausragend, dass Spieler mit so wenig internationaler Erfahrung, mit so wenig Finalteilnahmen mit dieser Nervenbelastung umgehen konnten."

Große Worte waren das, Löw sprach sie ruhig und überlegt aus: "Ich denke, es war ein magisches Spiel für uns." Zwar hatte es in der hitzigen zweiten Halbzeit selten richtig zauberhaft ausgesehen, weil Kampfhandlungen dominierten. "Hinten raus" habe man "brutal dagegengehalten", sagte Kimmich. Doch diesen Kampfgeist fand Löw faszinierend und imponierend.

Logisch, dass jetzt alle Welt meint, die Deutschen seien noch mehr als vorher prädestiniert für die WM-Titelverteidigung. Abwehrchef Mustafi nahm im Hochgefühl der Siegerehrung die Favoritenrolle an: "Wenn man Blut geleckt hat, schmeckt jeder Titel." Löw aber wies alle Schlussfolgerungen als unseriös zurück. Weil es halt doch nur der Confed Cup gewesen ist.

Am Montag, zwölf Uhr mittags, gab es dann ein großes Umarmen und Schulterklopfen am Frankfurter Flughafen. Die Spieler, die jetzt auch irgendwie Nationalhelden sind wie ihre Weltmeister-Kollegen aus Rio, reisten sternförmig weiter in alle Richtungen. Nach einer magischen Zeit.

© SZ vom 04.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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