Champions-League-Finale:Erinnerung an eine Ballerina

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Wieder gegen Liverpool: Beim Champions-League-Finale in Athen wird der AC Mailand getrieben vom Durst nach Revanche für 2005.

Birgit Schönau

Ach was, Vendetta. ,,Was habt ihr bloß alle immer mit 2005?'' fragt unschuldig Carlo Ancelotti. ,,War da was? Kann mich nicht erinnern.'' Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist. Aber Ancelotti tut natürlich bloß so. 2005, Champions-League-Finale in Istanbul: Nach 45 Minuten führt der ACMailand 3:0 gegen den FC Liverpool. Das erste Tor hat Paolo Maldini geschossen, eine Rarität für den sonst meist verteidigenden Kapitän.

Das Wunder von Istanbul: Jerzy Dudek hält einen Elfmeter vin Schewtschenko und macht Liverpool zum CL-Sieger. Dabei hatte Milan schon 3:0 geführt. (Foto: Foto: AP)

Grund genug, in der Pause schon mal zu feiern. Behaupten jedenfalls später die Liverpool-Spieler, die sich darüber derart ärgerten, dass sie in der zweiten Halbzeit die arroganten Italiener schockgefrieren ließen: 3:3. Torlose Verlängerung. Elfmeterschießen.

Im Liverpooler Tor stand der Pole Jerzy Dudek, der den Pokal für Liverpool holte. Dudek hypnotisierte seine Gegenspieler. ,,Wenn die Engländer nicht diese Ballerina im Tor gehabt hätten, wären wir die Sieger gewesen'', sagte Silvio Berlusconi, der Milan-Patron. Dudek tanzte zwischen den Pfosten, bis Schewtschenko und Co. der Kopf schwirrte.

Bei Liverpool tanzte Dudek dann aber nur einen Sommer. In Athen sitzt er vielleicht noch auf der Bank, im Tor steht Pepe Reina, der Vendetta haben will. Für seinen Papa Miguel, der im Landesmeister-Finale 1974 für Atletico Madrid in der letzten Spielminute der Verlängerung ein Tor von Georg ,,Katsche'' Schwarzenbeck kassierte. Schwarzenbecks einziger Europapokal-Treffer.

So können im Fußball noch spätere Generationen den Durst nach Revanche verspüren. Reina wird ihn aber nicht stillen können, denn diesmal gewinnt Milan. ,,2:0 für Milan, beide Treffer von Kakà'', sagt Andrej Schewtschenko, der beim FC Chelsea momentan so unglücklich ist, dass er wohl noch im Sommer nach Mailand zurückkehren dürfte.

Einstweilen sitzt er beim Finale auf der Tribüne neben Patron Berlusconi. ,,Ganz klar, wir gewinnen'', sagt auch der, aber von Berlusconi ist man ja nichts anderes gewöhnt. Derart von sich eingenommen, dass er vor dem Match eigens Filippo Inzaghi angerufen hat, ,,um Pippo die richtige Motivation zu geben''.

Milan wird's schaffen, glaubt aber auch Arrigo Sacchi, der Erfolgstrainer des Klubs bei den Europacupsiegen 1989 und 1990. In seiner Kolumne für die Gazzetta dello Sport wurde Sacchi fast schon lyrisch: ,,Die unglaubliche Metamorphose dieser Mannschaft grenzt an ein Wunder und prämiiert die Kompetenz von Berlusconi und Galliani, das Können und die Geduld von Ancelotti, die Klasse und den Stolz der Spieler.''

Tja, man weiß nie, für wen man morgen arbeiten muss. Deshalb schlenzt Sacchi schnell noch ins Politische: ,,Milan ist wieder einmal das Vorzeigeschild des kritisierten, verarmten und wenig glaubwürdigen italienischen calcio.''

Das Verarmte kann man ersatzlos streichen, hat doch Berlusconi gerade seinen persönlichen Jahresverdienst veröffentlicht: Schlappe 28 Millionen Euro, dafür könnte er sogar aus der Privatschatulle fast noch einen Kakà-Klon kaufen - wenn es ihn denn gäbe. Im Falle eines Champions-League-Gewinns rechnet Berlusconi ,,mit plus vier Prozent bei den Regionalwahlen'' für seine Partei Forza Italia.

Der Mann geht offenbar davon aus, dass alle Milan-Fans auch automatisch seine Wähler sind. Wohl deshalb hat er persönlich einer Hundertschaft Tifosi die Eintrittskarten fürs Athener Olympiastadion beschafft. Insgesamt 7000 Milanisti machen sich zum Finale auf, flankiert von der italienischen Luftaufsichtsbehörde, die das aufsässige Alitalia-Personal aufgefordert hat, gefälligst auf den geplanten Streik zu verzichten, ,,denn wenn diese Fans nicht pünktlich in Athen eintreffen, erwarten uns Probleme der öffentlichen Ordnung''.

Am Mittwoch um 20:45 Uhr wird das alles in den Hintergrund treten. Dann werden endlich Kakà, Seedorf, Gattuso, Nesta, Inzaghi und Gilardino dran sein - Männer, die in den vergangenen Wochen gegen Gegner wie Bayern München und Manchester United wunderbaren Fußball gespielt haben. ,,Wenn sie richtig loslegen, kann sie keiner stoppen'', hat der einstige Milan-Spieler und heutige Nationaltrainer Roberto Donadoni gesagt.

Das Trauma jedenfalls wird sie wohl kaum aufhalten. Das scheint überwunden wie das Tief nach dem Punktabzug im Folge des Manipulationsskandals in der italienischen Liga. Für den AC Mailand spielen fünf italienische Weltmeister. Die wissen, wie man negative Schwingungen ausschaltet. ,,Die Engländer werden auf die Defensive setzen'', ahnt Ancelotti. Also italienisch spielen. ,,Sie sind physisch stärker als wir.'' Aber bei Milan ist der Durst nach Revanche größer. Von seinen jetzt drei Champions-League-Endspielen als Trainer will Ancelotti nicht zwei gegen Liverpool verlieren. Von seinen acht Finals als Spieler will Paolo Maldini nicht gleich zweimal an Liverpool scheitern.

Auch nicht, wenn auf der Ehrentribüne eine Signora sitzen wird, die ihnen vermutlich kein bisschen die Daumen drückt. Letizia Moratti, die Bürgermeisterin von Mailand, ist zwar eine politische Gefolgsfrau von Silvio Berlusconi. Aber zu ihrem Einsatz in Athen sagte sie nur kühl: ,,Ein Pflichttermin. Als Vertreterin der Stadt Mailand muss ich dabei sein.'' Letizia Morattis Schwager heißt Massimo. Und der ist Besitzer des Lokalrivalen Inter.

© SZ vom 22.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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