Cannavaro:Auf dem Trampolin

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Im Finale bestreitet Fabio Cannavaro sein 100. Länderspiel - für viele ist er der beste Verteidiger der WM.

Ulrich Hartmann

Als der Fußball ihm zum ersten Mal richtig weh getan hat, war Fabio Cannavaro 24 Jahre alt. Es war der 3. Juli 1998, und Italien hatte das Elfmeterschießen um den Einzug ins WM-Halbfinale in Paris gegen den Gastgeber Frankreich verloren. "Das hat weh getan", sagt Cannavaro, "ich war jung damals, aber ich erinnere mich gut, und die Erinnerung schmerzt noch heute."

Geschwindigkeitsrausch: Cannavaro jagt Klose. (Foto: Foto: Reuters)

Fast auf den Tag genau zwei Jahre später kam das verlorene EM-Finale hinzu. Italien unterlag in Rotterdam 1:2 gegen Frankreich durch Trezeguets goldenes Tor in der 13. Minute der Verlängerung. Bis in die Nachspielzeit hinein hatte Italien geführt. Der Titel war greifbar, doch er wurde Cannavaro schmerzhaft entrissen.

Acht Jahre nach der WM-Schmach und sechs Jahre nach dem EM-Trauma erhält Fabio Cannavaro am Sonntag eine einmalige Gelegenheit. Das Schicksal gewährt ihm eine dritte Chance. Er kann beide Missgeschicke gegen Frankreich auf einen Schlag vergessen machen.

Nummer 3

Er kann seinen Schmerz therapieren. Cannavaro, der in Deutschland seine dritte WM spielt, trifft mit Italien im Endspiel in Berlin auf Frankreich. Es ist nicht nur ein besonderes Spiel für den 32-Jährigen, weil es das Finale der WM ist und weil es wieder gegen Frankreich geht, sondern auch deshalb, weil es sein 100. Länderspiel ist.

Er liegt in der Rangliste der italienischen Nationalspieler auf Platz drei hinter Paolo Maldini (126) und Dino Zoff (112). Einen schöneren Anlass für ein Jubiläumsspiel gibt es nicht.

Fabio Cannavaro gilt vielen als bester Spieler dieser WM. Der Verteidiger vom italienischen Meister Juventus Turin ist Kapitän der Italiener, ihr aktueller Rekordnationalspieler, Chef einer Abwehr, die erst ein Gegentor kassiert hat, und mit nur 1,76 Metern der kleinste Innenverteidiger in der Weltelite dieses Fußballturniers.

In der Innenverteidigung bedarf es normalerweise einer stattlichen Größe, weil viele Flanken und Freistöße entschärft werden müssen, aber dem kleinen Cannavaro merkt man seine limitierte Höhe im Spiel nicht an. Der Mann springt auf dem Rasen herum wie auf einem Trampolin.

"Wir haben eine gewisse spielerische Entwicklung durchgemacht in den vergangenen zwei Jahren", sagt er über die Philosophie der Italiener unter dem Trainer Marcello Lippi und über die zunehmende Sicherheit, die vor allem die Abwehrkette ausstrahlt, "aber dass ich hier so eine gute WM spielen würde, das hätte ich nie gedacht." Cannavaro ist von sich selbst beeindruckt. Dann muss es die Fußballwelt erst recht sein.

Unglaublich!

Nationaltrainer Lippi lässt sich normalerweise auf keine Einzelkritik ein. Wenn man den 58-Jährigen nach einem bestimmten Spieler seiner Squadra befragt, dann sagt er Sätze wie diesen: "Wir haben eine sehr gute Mannschaft, jeder einzelne Spieler kann eine bestimmte Rolle übernehmen, denn es geht immer um die Mannschaft und nie um einen einzelnen Spieler."

Über Cannavaro aber ist Lippi nach dem Halbfinalsieg gegen Deutschland ins Schwärmen geraten: "Er ist unglaublich bei dieser WM", sagte der Trainer und verteilt das ultimative Lob: "Cannavaro ist ohne jeden Zweifel der beste Verteidiger der Welt."

Fabio Cannavaro ist neben dem Torwart Gianluigi Buffon der einzige italienische Spieler, der in allen sechs WM-Begegnungen komplett durchgespielt hat. Das macht eine Bilanz von 570 Spielminuten bei nur einem Gegentor, und dieser Erfolg ist auch deshalb so beeindruckend, weil die Abwehrkette der Italiener mehrfach verändert werden musste im Laufe des Turniers.

Cannavaro hat als linker Innenverteidiger gespielt zwischen Alessandro Nesta und Fabio Grosso sowie zwischen Nesta und Gianluigi Zambrotta; er hat aber auch als rechter Innenverteidiger gespielt zwischen Gianluca Zambrotta und Marco Materazzi sowie zwischen Zambrotta und Andrea Barzagli. Immer aber hat er die gleiche Ausstrahlung besessen und die gleiche Sicherheit, die sich auf seine wechselnden Nebenleute übertragen hat.

Cannavaro hat neulich diesen Satz gesagt über die Bedeutung des Verhaltens auch abseits des Platzes, er hat dabei vom "guten Essen" gesprochen, vom "vielen Schlafen" und vom "regelmäßigen Sex". Über solch einfache Formeln des Erfolgs freuen sich die Branchenbeobachter.

Beim SSC Neapel

Genauso gern erzählt man sich die Geschichte, wie Cannavaro in den Achtziger Jahren Balljunge beim SSC Neapel war, als Diego Maradona dort noch gespielt hat. Cannavaro ist in Neapel geboren und aufgewachsen und hat als junger Mensch dem Fußballgott Maradona beim Zaubern zugesehen.

Cannavaro hat seine Karriere als Profi 1991 in Neapel begonnen und ist über Parma und Inter Mailand vor zwei Jahren zu Juventus Turin gekommen. Vor ein paar Wochen hat er mit Juve seinen zweiten Meistertitel gewonnen, vor sieben Jahren war er mit Parma Uefa-Pokalsieger. Es ist also durchaus nicht so, dass dieser Mann vom Schicksal stets benachteiligt worden ist.

Und doch steht ihm seine wichtigste Prüfung noch bevor. Ob er den ultimativen Erfolg eines Fußballers bejubeln darf, wird sich erst am Ende dieser Woche in Berlin entscheiden. In jener nach dieser Weltmeisterschaft folgenden EM-Qualifikation treffen Italien und Frankreich im September 2006 und im September 2007 übrigens schon wieder aufeinander.

Sie wurden beide in die Qualifikationsgruppe B gelost. Am Sonntagabend wird Fabio Cannavaro wissen, ob diese künftigen Begegnungen mit den Franzosen aufs Neue schmerzhaft für ihn werden - oder ein besonderes Vergnügen. Es liegt in seiner Macht.

© SZ vom 7.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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