Camp Nou:Ende der Einsilbigkeit

Lesezeit: 2 min

Katalanischer Jubelknall: Beim 3:0 gegen die Bayern feierten Barcelonas Spieler und Fans temperamentvoll. (Foto: imago)

Der Stadionsprecher ist 78, die Hymne blechern: Bei Barça wird es selten emotional. Doch dann trifft Messi gegen die Bayern - und die Stimmung ist eine Viertelstunde lang so, wie sie es sehr selten war in den letzten Jahren.

Von Oliver Meiler

Natürlich ist jetzt wieder alles viel zu groß. Messi ist Messias, Messi ist Gott. Messi ist Künstler, König, Kaiser. La Vanguardia, die größte Zeitung in der Stadt, kommentiert: "Das Camp Nou wurde zur Kathedrale der Emotionen, zum Kolosseum der Passionen." Dank Messi. Die Überzeichnungen sind ihm hoffentlich ungeheuer. Erwehren kann er sich ihrer nicht. Wenn ein stilles, gesetztes Volk wie das katalanische laut wird, sich so euphorisieren lässt, darf man schon mal hinhören. Es steht nicht leicht auf, seine Begeisterung will üppig genährt sein. Auch vor diesem Spiel blieb das Stadion bis fünf Minuten vor Beginn halb leer. So ist das immer. Man kommt in letzter Minute, füllt die Arena in letzter Sekunde, als wäre der Sitz die Verlängerung des Wohnzimmers. Man könnte schon früher da sein, singen, grölen. Aber das tut man hier nicht. Man kommt mit "Pipas", Sonnenblumenkernen, die man während des Spiels verzehrt. Immer, mehr Ritual geht gar nicht.

Zur Nüchternheit passt Manel Vich, seit mehr als 50 Jahren der Stadionsprecher im Camp Nou. Er ist jetzt 78 Jahre alt. Seine Einsilbigkeit ist legendär. Er verkündet nur Startaufstellungen und die Auswechslungen. Die Torschützen nennt er nicht, weder die gegnerischen noch die eigenen. Er animiert nicht zur öffentlichen Glorifizierung, wie das anderswo die Marktschreier tun. Zur Nüchternheit passt auch Barças Hymne: Hymnisch ist daran gar nichts, kein Vergleich etwa mit der Arie von Real Madrid. Barças Hymne ist blechern und kantig, Marschmusik. Die Fans singen sie mechanisch mit, zack, zack, zack, fertig, setzen sich und bleiben dann in der Regel verhaftet in kontemplativer Haltung. Kaum je ermutigt zu Gefühlsausbrüchen. Der zwölfte Mann? Barça muss meistens ohne ihn auskommen.

Doch dann kommt meistens Messi. Er bricht das Ritual, die Nüchternheit. Seit vielen Jahren schon. Vom Genre her war es diesmal eher ein Thriller, alles kam zum Schluss. Und die Stimmung im Camp Nou war eine Viertelstunde lang so ausgelassen, wie sie es sehr selten war in den letzten Jahren. Laut und leidenschaftlich. Wie, nun ja, zuletzt zu Zeiten Pep Guardiolas, der da unselig am Spielfeldrand stand, auf der falschen Seite.

Als das Spiel fertig war, und auch das gehört zum Ritual der "Gent blaugrana", des blauroten Volkes, leerte sich das Stadion in wenigen Minuten. Fertig und weg. Man hüpft da nicht mehr freudig rum. Man hofft nur, möglichst schnell wegzukommen. Vielleicht leert sich kein großes Stadion der Welt so schnell wie das Camp Nou, die blecherne Musik der Hymne im Rücken, zack, zack, zack. Dann beginnt das lange Nachspiel, die Debatten in der Bar, die Überhöhung der Stars, die Fortschreibung an der Glorifizierung von Lionel Messi.

© SZ vom 08.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: