Bundesliga-Rückkehrer:Prädikat Ex-Bayer

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In Deutschland gefeiert, im Ausland gefeuert: Mit Beginn der neuen Saison kehren altbekannte Gesichter zurück in die Bundesliga - warum von den im Ausland Gescheiterten so viel erwartet wird.

Von Jochen Breyer

Christian Ziege war gerührt. Wie ein Austauschschüler, der nach einem Jahr fern von der Heimat mit einem Plakat über dem Haustürrahmen empfangen wird: "Herzlich willkommen zu Hause, wir haben dich sehr vermisst." Gerade erst war der 32-Jährige von einer langen Europareise zurückgekehrt, nach sieben Jahren wieder Bundesliga, und schon machte ihn sein neuer Trainer Holger Fach zum Kapitän von Borussia Mönchengladbach. "Ich freue mich über das Vertrauen", sagt Ziege und wirkt selbst ein wenig überrascht darüber, dass ihm sein neuer Klub so viel Verantwortung übertrug, ehe er seinen Reisekoffer gänzlich ausgepackt hatte. Bei Tottenham in der Premier League war der gebürtgige Berliner aussortiert worden.

Wie Ziege ergeht es noch vier anderen deutschen Fußballprofis, die aus fremden Ligen heimkehren und mit gewaltigen Erwartungen empfangen worden sind: Markus Babbel, 31, von Liverpool an den VfB Stuttgart verschenkt. Carsten Jancker, 29, aus Udine abgeschoben. Michael Tarnat, 34, in Manchester nicht mehr gebraucht. Wie sich die Reiseberichte doch gleichen: Sie waren Europameister, Champions-League- und Uefa-Cup-Gewinner, gefeiert überschritten sie die Landesgrenzen - wurden im Ausland gefeuert - und kehren dennoch als Hoffnugsträger zurück. "Das verstehe ich auch nicht so ganz", sagt Ziege, der in der vergangenen Saison acht Spiele für Tottenham bestritt. Im Ausland ausrangiert, in der Heimat wie Helden empfangen. Wie passt das zusammen?

Beim Rekordmeister gereift

Die Lösung des Rätsels versteckt sich in einer weiteren Eigenschaft, die - neben der Rückkehr aus dem Ausland - alle fünf Männer eint: sie spielten beim FC Bayern und erlebten dort den Höhepunkt ihrer Karriere. In München wurden sie geschult, von Trapattoni und Hitzfeld erst zu Stammspielern im Bayern-Kader und schließlich zu Nationalspielern geformt. Diese Anstellung beim deutschen Rekordmeister dürfte der Grund für die große Begierde sein, die Mönchengladbach, Stuttgart, Kaiserslautern und Hannover für die verlorenen Söhne der Bundesliga entwickelten.

Prädikat Ex-Bayer. "Wir haben bei den Bayern die Situation kennen gelernt, tagtäglich mit Druck umzugehen", sagt Ziege, "wir wissen, dass wir in schwierigen Zeiten nicht die Nerven verlieren dürfen." Beim FC Bayern sei jede Niederlage ein großes Drama. Ziege: "Man darf sich als Spieler deshalb nicht fertig machen." Vielmehr soll der Trainingsplatz als Druckventil fungieren. In München gehört das zum Fußball-ABC.

Auch Michael Tarnat glaubt, beim Rekordmeister gelernt zu haben, mit konstant hohen Ansprüchen zu leben: "Man weiss, was es heißt, immer gewinnen zu müssen", sagt Tarnat, der von 96-Trainer Ewald Lienen als Vorbild für junge Spieler nach Hannover geholt wurde. Die Gewissheit, eine Partie nicht zu verlieren, die Überzeugung, ein Match "sowieso zu gewinnen, egal was passiert", diese Erfahrung macht Spieler so besonders wertvoll, glaubt der Ex-Bayer. In Hannover soll er nach eigener Aussage "Ruhe auf die Mannschaft ausstrahlen". Wer bei den Bayern gespielt hat, wisse, was es heißt, jeden Tag unter Beobachtung zu stehen.

Die Münchner selbst begründen diese Erfahrung anthropologisch und nennen sie stolz "das Bayern-Gen". Jeder Fünftklässler weiß nach vier Wochen Biologie-Unterricht, dass selbst im Zeitalter der Gentechnik Gene nicht von Mannschaftsarzt Müller-Wohlfahrt gespritzt, sondern nur vererbt werden können. Tarnat, der vom KSC zu den Bayern kam und bewiesenermaßen nicht das Produkt einer bajuwarischen Zucht ist, könnte jenes Gewinner-Gen also gar nicht besitzen. Deshalb tauft er es, wie auch Kurt Jara, einfach "Siegermentalität".

Der Lautern-Trainer, der sich für die Verpflichtung von Christian Nerlinger und Carsten Jancker einsetzte, bezeichnet beide als "Siegertypen". Spieler, die wissen, dass sie Leistung bringen müssen, unbeeindruckt von äußeren Einflüssen. Christian Nerlinger war vom neuen Trainer der Glasgow Rangers ausgemustert worden, der schottische Rekordmeister löste seinen Vertrag auf. Carsten Jancker erwischte es noch schlimmer: Zwei Tore in zwei Spielzeiten brachten ihm eine Dauerkarte auf der Tribüne in Udine ein. Am Ende seines Italienausflugs wurde er bei der traditionellen Wahl zur "goldenen Mülltonne" vom Fernsehsender RAI für den schlechtesten Spieler auf den dritten Platz gewählt. Zeit, zu gehen.

In Kaiserlautern wollen Nerlinger und Jancker Führungsspieler sein. "Ich will den Anspruch in Kaiserslautern mit Leistung rechtfertigen", sagt Jancker. Verantwortung zu übernehmen, das habe er in München eingeimpft bekommen. Winfried Schäfer, ehemals Trainer von Karlsruhe und Stuttgart, attestiert den Ex-Bayern-Spielern eine Art von Arroganz, "aber im positiven Sinn". Sich erst von 60 000 Menschen beschimpfen zu lassen, dennoch cool zu bleiben und zu gewinnen, "das kann man nur bei den Bayern lernen", sagt Schäfer. "Bayern-Killerinstinkt", nennt er dieses exzeptionelle Vermögen.

Ob Gen, Mentalität oder Instinkt, von den fünf Rückkehrer wird erwartet, ihre neuen heimischen Arbeitgebern in bessere Zeiten zu führen, eine neue Ära einzuleiten, für sich und den Verein. Die Bayern-Vergangenheit, gepaart mit Erfahrungen aus dem Ausland, sollen den vollkommenen, den ausgereiften Spieler ausmachen. Wenn sich diese Theorie in der Praxis bewährt, dürfte in der Bundesliga ein Hauen- und Beißen beginnen, um den letzten verschollenen Ex-Bayern: Dietmar Hamann wurde in München groß und spielt jetzt beim FC Liverpool.

© Süddeutsche Zeitung vom 7.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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