Bundesliga-Kommentar:Momentaufnahmen

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So viele Platzstürme wie am Wochenende gab es hierzulande noch nie - was auch daran liegt, dass die Traditionklubs keine Trauerfeiern abhalten mussten.

Von Klaus Hoeltzenbein

In Hamburg wurden zwei Diebe festgenommen. Sie waren bis zum Hauptbahnhof gekommen, dort wurden sie von der Bundespolizei gestellt. Der Grund: Unerlaubter Besitz eines Querbalkens. Niedere Motive sind dennoch schwerlich zu unterstellen, gehört doch einiger Mut dazu, einen solch hohen Balken aus einem Fußballstadion mittels des öffentlichen Nahverkehrs zu verschleppen. Die Täter seien vollauf geständig, heißt es, das 14 Kilo schwere Metallstück habe ein Vereinsheim schmücken sollen.

Am Rande der Feierlichkeiten zur unendlichen Unabsteigbarkeit des Hamburger SV sorgte jedoch noch ein zweiter semi-krimineller Akt für Aufmerksamkeit, versagten doch die Ordner bei der Identifikation ihrer lokalen Helden. Gut, Pierre-Michel Lasogga muss nicht jeder sicherheitstechnischen Hilfskraft bekannt sein, Lasogga war bei 20 Kurzeinsätzen nur ein einziges Saisontor geglückt. Dieses aber ist nun Teil der Klubgeschichte. Es war das 1:1 eine Woche zuvor auf Schalke, das dem HSV dieses 2:1 im Irrsinnsfinale um den direkten Klassenerhalt gegen den VfL Wolfsburg erst ermöglichte, an dessen Ende die Hamburger die Pfosten klauten. Lasogga war verletzt, trug lange Hosen und das Basecap tief im Gesicht, aber in Hamburg überlegen sie nun doch, was sich geändert hat seit ehedem: Ihren Uwe trugen sie einst auf Schultern, die Stürmer von heute werden im Polizeigriff am Betreten des Rasens gehindert.

Von Seeler gibt es viele nostalgische Bilder in Schwarzweiß aus jener Zeit, in der die Fans "Uns Uwe" feierten, auch weil sich der HSV damals noch nicht durch jedes Saisonfinale zitterte. Einer Zeit, in der ein ordentlicher Platzsturm - so er friedlichen Motiven folgte - den Meistern und Trophäensammlern vorbehalten war. Offenbar hat sich daran etwas geändert, abzulesen ist dies aus den Bildern des Wochenendes: Nie zuvor rannten hierzulande so viele Menschen an so vielen Orten aus so vielen Gründen von Zäunen ungebremst auf einen Fußballplatz. Und gemessen an der Wirkmacht jener Bilder ist die Nachrichtenlage, die die diversen Platzstürme bündelt, doch eher beruhigend: Nur am Zweitliga-Standort Sandhausen, an dem Hannover 96 seinen Aufstieg feierte, ging offenbar einiges schief, drei Fans wurden mit Verletzungen an Arm und Hand im Krankenhaus behandelt, 14 weitere leicht verletzt.

Ansonsten aber blieb die Lage in den Hochburgen des Fußball-Karnevals, in Stuttgart (Aufstiegsfeier) oder Köln (Europacup-Rückkehr nach 25 Jahren), so jeck wie ruhig, was auf angenehme Weise jene Bilder kontrastiert, die auch schon den Kehraus einer Spielzeit prägten. Unter anderem am Standort Köln, an dem 2012 dunkle Wolken samt Polizeieinsatz ein infernalisches Abstiegsszenario prägten.

Nun lieferte der 34. Spieltag bunte Momentaufnahmen, nicht mehr, nicht weniger. Und dies am Ende einer Saison, die - besonders im Februar beim Gastspiel von RB Leipzig in Dortmund - geprägt war von ideologischen Konflikten zwischen Alteingesessen und Emporkömmlingen, Tradition und Kommerz. Diese Debatte nimmt die Liga mit in ihre Zukunft. Dass die Liga dennoch mit viel Folklore ins Ziel fand, liegt auch daran, dass der Einlauf berechenbar war wie selten: Zwei, die die Papierform dafür vorsah, stiegen ab (Darmstadt, Ingolstadt); zwei, die die Papierform dafür vorsah, stiegen wieder auf (Stuttgart, Hannover). Dass die Emporkömmlinge - Leipzig als Zweiter, Hoffenheim als Vierter - so weit vorne einkamen, wurde jenseits aller Wirrköpfe sportlich toleriert. Auch, weil in den Traditionsklubs mal keine Trauertränen flossen.

© SZ vom 23.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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