Bremen verspielt den Sieg:Erklärungsnotstand

Lesezeit: 3 min

Der Mainzer Fabian Frei (li., hier mit Maximilian Eggestein) erzielt in der 90. Minute den Ausgleich für Mainz und bringt Werder so um den Sieg. (Foto: imago/Nordphoto)

Die Bremer kontrollieren die Partie gegen Mainz, kassieren aber in der Schlussminute den 2:2-Ausgleich. Obwohl Werder auf dem Relegationsplatz überwintert, hält Trainer Kohfeldt Verstärkungen für unnötig.

Von Frank Hellmann, Bremen

Florian Kohfeldt bat im Nachgang "um Nachsicht". Der Trainer des SV Werder kratzte sich im Presseraum des Weserstadions verlegen an der Nase, weil er sich einfach nicht in der Lage sah, für den aus seiner Sicht schon fast tragischen letzten Akt der Hinrunde eine schlüssige Erklärung zu liefern. Wie konnte seine Mannschaft beim 2:2 (2:0) gegen den FSV Mainz 05 in letzter Sekunde einen sicher geglaubten Sieg aus der Hand geben? "Wir müssen das verhindern, das beginnt schon bei der Flanke", führte der 35-Jährige aus, "aber das zu erklären, fällt schwer".

Der nun wahrlich nicht für Torgefahr bekannte Schweizer Abräumer Fabian Frei ("ich bin nach vorne gerannt und man hat mich nicht ernst genommen") stand nach Hereingabe von Pablo de Basis auf einmal am langen Pfosten und drückte den Ball in der dritten Minute der Nachspielzeit zum glücklichen Ausgleich über die Linie. Viele Werder-Fans, die zuvor noch mit Sprechgesängen ihre Mannschaft ins Ziel retten wollten, sackten auf ihren Schalensitzen zusammen. Selbst die Stadionregie vergaß, die übliche Beschallung einzuschalten - für einen kurzen Moment schien das gesamte Areal am Osterdeich in eine winterliche Schockstarre zu fallen. Bremens Spieler standen so entgeistert auf dem Rasen herum wie kleine Kinder, denen kurz vor der Bescherung jemand mitteilt, dass Unbekannte die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum entwendet haben.

Werder überwintert auf Platz 16 - spielt aber lange nicht wie ein Abstiegskandidat

Statt auf Platz 14 verbringt Werder die kurze Winterpause nun auf dem Relegationsrang 16. Gerade einmal mickrige drei Törchen besser als der leidgeplagte Nordrivale Hamburger SV. Kohfeldt versuchte, etwas Positives aus dieser eigenartigen Gemengelage zu ziehen: "Wir müssen immer sehen, aus welcher Situation wir kommen. So etwas schärft die Sinne." Tatsächlich lagen die Hanseaten bei seinem Amtsantritt Anfang November abgeschlagen auf dem vorletzten Platz.

Drei Siege, ein Remis und drei Niederlagen stehen nunmehr in Kohfeldts Bilanz, der voller Selbstbewusstsein sagte: "Das tut megaweh, aber wir werden die Liga halten." Diese Selbstüberzeugung begründete der Trainer, dem nach dem Pokal-Achtelfinale gegen den SC Freiburg (Mittwoch 18.30 Uhr) auch offiziell die Verantwortung für die Rückrunde übertragen werden dürfte, mit der "grundsätzlichen Qualität im Kader". Daher gelte: "Von mir wird man keine Forderungen nach Neuzugängen hören."

Tatsächlich hatte die Heimelf in der ersten Halbzeit ganz und gar nicht wie ein Abstiegskandidat gewirkt. Nach einer forschen Balleroberung durch Thomas Delaney erzielte der starke Mittelfeldstabilisator Philipp Bargfrede mit einem platzierten Distanzschuss das frühe 1:0 (2.), der erstmals überzeugende algerische Leihstürmer Ishak Belfodil legte schnell mit einem gekonnten Kopfball-Heber zum 2:0 nach (17.). Möglichkeiten zum dritten Treffer waren speziell durch den fleißigen Maximilian Eggestein (24. und 54.) vorhanden, gleichwohl begingen die Bremer einen Kardinalfehler: Sie verhielten sich mit fortschreitender Spieldauer immer passiver.

Zu viele Akteure hätten "positionsfremd" agiert, erläuterte Kohfeldt, der neben Fin Bartels (Achillessehnenriss) kurzfristig mit Zlatko Junuzovic (Wadenprobleme) und Max Kruse (Adduktorenprobleme) weitere Leistungsträger ersetzen musste. "Eigentlich hatten wir doch alles unter Kontrolle. Das 2:2 war ein Schock für uns", gab Ersatzkapitän Niklas Moisander zu.

Trotz des Punkts: Die Mainzer gehen hart mit sich ins Gericht

"Grundsätzlich ist ein Relegationsplatz nicht das, was wir vor uns vor der Saison vorgestellt haben", sagte Geschäftsführer Frank Baumann, "aber vor einigen Wochen sah es noch viel schlimmer aus." Der Klassenerhalt werde wieder ein hartes Stück Arbeit, aber man habe alles in eigenen Händen; und genau wie der Trainer tröstete sich auch der Manager mit den "geschärften Sinnen" über die zwei verlorenen Punkte hinweg.

Erstaunlich, dass auch die Gäste unzufrieden waren. Besonders hart urteilte mal wieder Ersatzkapitän Daniel Brosinski: "Die erste Halbzeit war Schrott. Da haben uns komplett die Emotionen gefehlt. Gefühlt haben wir keinen Zweikampf gewonnen. Das alte Lied." Der Linksverteidiger fühlte sich an die aus seiner Sicht peinlichen Nackenschläge gegen Augsburg (1:3) und Freiburg (1:2) erinnert: "Das war eine absolute Frechheit."

Auch Trainer Sandro Schwarz wählte deutliche Worte: "Man hat uns anfangs nicht angemerkt, dass wir uns viel vorgenommen hatten. Das war nicht gut: Wir hatten keinen Zugriff, keine Schärfe." Letztlich war der 39-Jährige derjenige, der mit einer forschen Halbzeitansprache, der Umstellung auf eine Dreierkette und der Einwechslung von Emil Berggreen und Robin Quaison - Schütze des 1:2-Anschlusstores (70.) - seinen befreundeten Kollegen Kohfeldt in den Erklärungsnotstand stürzte.

© SZ vom 17.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: