Boxen:Nur das Raumschiff fehlt in der Gerüchteküche

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Um Wladimir Klitschkos WM-Niederlage ranken sich wilde Spekulationen - vom FBI-Komplott bis zur Diabetis. Die wahren Ursachen dürften eher profan sein.

Von Bertram Job

"Wladimir hat keine Diabetes. Sonst wäre er auch nicht aus dem Krankenhaus entlassen worden." Mit diesen Worten antwortete Christoph Rybarczyk, Sprecher der Hamburger Universum Box-Promotion, am Montag auf alle Spekulationen, die nach Wladimir Klitschkos unerwarteter Abbruchniederlage gegen Lamon Brewster in Las Vegas aufgekommen waren.

Was hat er nur? Nach Klitschkos überraschender Niederlage werden Erklärungen verzweifelt gesucht. (Foto: Foto: AP)

Demnach sind bei dem jüngeren der beiden Schwergewichts-Brüder "keinerlei Auffälligkeiten" bei den Untersuchungen vor dem Kampf sowie danach festgestellt worden. Das ist die einzig positive Nachricht im Zusammenhang mit der dritten, bitteren Niederlage des einstigen Hoffnungsträgers von Universum und dem Vertragssender ZDF.

Der 28-jährige Klitschko hatte am Samstagabend in der Arena des Mandalay Bay Hotels bei seinem WM-Duell mit dem 30-jährigen, von Box-Tycoon Don King promoteten Brewster nach ansprechendem Beginn einen derart krassen Konditionsabfall erlitten, dass Betreuer wie Beobachter gleichermaßen ins Grübeln gerieten. Völlig entkräftet und apathisch war der zwei Meter große Modellathlet am Ende der fünften Runde nach einigen Wirkungstreffern auf den Ringboden gefallen.

Danach zeigte er sich so desorientiert, dass Ringrichter Robert Byrd sofort auf technischen Abbruch (TKO) entschied und die Ringärztin Margaret Goodman den Verlierer zu einer eingehenden klinischen Untersuchung einwies. So landete Klitschko statt auf der offiziellen Pressekonferenz des Hotelkasinos im Desert Springs Hospital der Wüstenstadt.

Dort wurde jedoch nur ein ums Vierfache erhöhter Blutzuckerwert attestiert, der unter Medienvertretern fortan als Indiz für eine Zuckererkrankung die Runde machte. Aus ärztlicher Sicht bestanden aber keine Bedenken: Schon die Einnahme von etwas Traubenzucker kann diesen Wert kurzfristig um ein Vielfaches nach oben treiben.

Die Klinik hätte den erschöpften Profi im Zweifelsfall auch nicht nach zwei Stunden wieder ziehen lassen, da sie sich bei einem Zuckerkoma - oder sonst einem prekären Ernstfall - möglichen Regressansprüchen von landestypischen Ausmaßen ausgesetzt hätte. Dazu betont das Management, dass eine so einfach zu diagnostizierende Erkrankung bei den im Aufbautraining wie bei der Jahresuntersuchung üblichen Blutanalysen längst aufgefallen wäre. "Wenn etwas vorgelegen hätte", so Rybarczyk, "hätten wir davon gewusst."

Andeutungen im Internet

Dass im Hamburger Büro des Unternehmens gestern die Drähte heiß liefen, hat man sich zum Teil selbst zuzuschreiben. Hatte doch ein Mitarbeiter Journalisten den Blick auf eine amerikanische Webseite fürs Profiboxen empfohlen, wo ein amerikanisch-ukrainischer Reporter ein Exklusiv-Interview nach dem WM-Kampf mit den aus Kiew stammenden Brüdern veröffentlichte.

Darin hatte Bruder Vitali den hohen Blutzuckerwert angesprochen und ergänzt: "Es gibt noch einige andere Dinge, die nicht normal sind." Auf der Homepage von Universum erschienen im Forum dazu die wildesten Spekulationen und Verschwörungstheorien von Boxfans, die von Don King bis zum FBI alle möglichen Hintermänner einer groß angelegten Manipulation verdächtigten. Es fehlte dort nur die Variante mit Außerirdischen und einem Raumschiff.

Im wirklichen Leben scheinen die Ursachen für die dritte Niederlage in der acht Jahre währenden Laufbahn des jüngeren Klitschkos vergleichsweise profan zu sein. Der Olympiasieger von Atlanta war nach Ansicht von Co-Trainer Fritz Sdunek und dem neu hinzu gezogenen Trainerguru Emanuel Steward in athletischer Hochform.

Seine Leistungen im Sparring beeindruckten letzteren so sehr, dass einige weitere Trainingseinheiten gestrichen wurden. Oder hatte der als Polisher (Aufpolierer) gefeierte Spezialist für anspruchsvolle Fälle nur eine Ausflucht für eigene Terminnöte gesucht?

Der umstrittene Wunderheiler

Stewards Ruf als Wunderheiler der Szene ist im Universum-Lager um so mehr umstritten, als seine Anweisungen an den Titelaspiranten in Las Vegas offenbar auf allgemeines Unverständnis stießen. Statt den mit enorm hoher Schlagfrequenz gestarteten Klitschko in den Rundenpausen zu beruhigen, stachelte Steward ihn noch zusätzlich an. Von der Wunderwaffe des neuen linken Hakens war dagegen fast nichts zu sehen.

So ist der sensible Hoffnungsträger allem Anschein nach einmal mehr unter der inneren Anspannung und dem Druck eines Titelkampfs implodiert - physisch verausgabt hatte er sich sowieso. Dabei ist allerdings zu fragen, ob dieses Manko nach nunmehr 45 Profikämpfen überhaupt noch zu beheben ist - und wenn ja, durch wen.

Über Rücktrittsgerüchte möchte man bei Universum zur Zeit nicht diskutieren. Im größten Boxstall Europas ist der Blick notgedrungen nach vorne gerichtet, auf den 24.April: Dann steigt Vitali im Staples Center von Los Angeles gegen jenen Corrie Sanders in den Ring, der seinen Bruder vor Jahresfrist in anderthalb Runden demolierte. Sein Chefcoach wird weiter Fritz Sdunek sein, doch der Erfolgsdruck ist nun ein anderer.

© SZ vom 14.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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