Boxen:Der Weltverband WBC knockt sich selbst aus

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Graciano Rocchigiani stehen vom Boxverband WBC rund 31 Millionen Dollar Schadenersatz zu. Geht der Verband wirklich Konkurs, versiegt Rockys Quelle - und Klitschko wäre seinen Titel los.

Von Thomas Kistner

Schon gehört, die scheußliche Sache mit dem armen amerikanischen Profibox-Weltverband WBC, dem Graciano "Rocky" Rocchigiani gerade den Todeshieb versetzt? Alles so furchtbar: Täglich schleppen die Agenturen neue Hiobsbotschaften an, und selbst härteste Kerle heulen hemmungslos.

"Immer mehr Weltmeister des von Graciano Rocchigiani in den Bankrott getriebenen World Boxing Councils (WBC) kämpfen für das Überleben des Weltverbandes", berichtete gestern dpa und schilderte den titanischen Überlebenskampf: "Nachdem die japanischen Titelträger Kyowa (Strohgewicht) und Tokuyama (Superfliegengewicht) in einem Offenen Brief vergeblich versucht hatten, den Berliner Boxprofi umzustimmen, hat der amerikanische Halbschwergewichts-Champion Antonio Tarver angeboten, gegen Rocky seinen WM-Gürtel zu verteidigen." Hut ab!

Was aber tut Rocky, der böse WBC-Zerstörer, der heute Kneipier auf Mallorca ist? Er kneift. Will alles nur kaputt machen, und reißt eiskalt unbeteiligte Sportler mit ins Millionengrab. "Rocchigiani pokert und alle verlieren", meldet der Sportinformationsdienst, "der WBC steht vor Konkurs und Auflösung, Weltmeister Witali Klitschko wird wohl seinen Schwergewichtstitel einbüßen und Markus Beyer das Re-Match gegen Cristian Sanavia im Supermittelgewicht vergessen können. Die Promotor Kohl und Sauerland müssen ihre Planungen neu überdenken, und Rocky selbst könnte mit fast leeren Händen dastehen, statt Dollarmillionen zu kassieren."

31 Millionen Dollar Schadenersatz

Noch ist es nicht so weit. Zunächst hat der WBC entgegen den Ankündigungen seines Präsidenten Jose Sulaiman am Montag beim Konkursgericht noch gar "keine Unterlagen eingereicht", berichtet der amerikanische Box-Nachrichtendienst fightnews. Weiter heißt es, bei WBC sei "Hoffnung, dass sich Rocchigiani auf einen Vergleich einlässt".

Vom aktuellen Stand abgesehen, ist es so, dass sich der in Form eines "Chapter-11"-Verfahrens längst laufende Konkurs gegen den WBC keineswegs gegen den Boxer richten lässt. Der ist nämlich von Sulaimans Verband betrogen worden, weshalb ihm beim New Yorker Gericht 31 Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen hat.

Zudem erwirkten Rockys Anwälte, dass der 40-Jährige für die Zeit von März 1998 bis April 2000 als Weltmeister geführt werden muss - insofern ist das Kampfangebot des Box-Kameraden Tarver blühender Unsinn: Wieso sollte Rocky WBC-Weltmeister werden wollen? Er war es bereits.

Das Gericht hielt damals fest, dass der als WBC-Weltmeister geführte Roy Jones 1997 seinen Titel niedergelegt hatte und ins Schwergewicht wechselte. Den vakanten Gürtel sicherte sich Rocchigiani 1998 per Punktsieg in Berlin über Michael Nunn (USA). Drei Monate später wollte Superstar Jones, der in den USA viel besser zu vermarkten ist, wieder für WBC boxen. Also taufte Sulaiman den unattraktiven Titelhalter in Berlin in "Interims-Weltmeister" um. Rocky erfuhr das nur zufällig beim Surfen im Internet.

Fortan stritt er einerseits mit WBC vor Gericht, andererseits war er verhindert, den rechtmäßig errungen WM-Titel zu verteidigen. Sein Kampf gegen Nunn war ja als ordentlicher WM-Fight deklariert worden: So stand es in den Verträgen, so wurde er dem Privatsender RTL verkauft - nur deshalb schauten damals fast zehn Millionen Menschen zu.

Vor Gericht in New York hatte Sulaimans WBC eine alte Kampfzusage an Rockys damaligen Promoter Sauerland auf den Tisch gezaubert, in die das Wörtchen "Interim" eingeflickt war. Diese wundersame Textanreicherung beförderte nicht nur die Strafzumessung durch die Geschworenen, sie zeigte, mit welchen Methoden der Verband des Mexikaners seine Geschäfte betreibt.

Im Bemühen um einen Vergleich erprobt der WBC seither all seine Tricks. Er bot Rocchigiani als Entschädigung eine Million Dollar sofort an, zehn Jahre lang sollten jeweils 250 000 Dollar fließen. Rocky prüfte die Offerte, wobei er anhand der WBC-Unterlagen, die ihm beim Konkursgericht in Puerto Rico zugängig sind, ausrechnen konnte, wie viel im Bankrottfall aus der Konkursmasse für ihn bleibt - groß war der Unterschied offenbar nicht.

Vor allem aber, sagt Rockys Berliner Anwalt Björn Ziegler, habe WBC nie "nachvollziehbar begründet, warum er nicht mehr Geld zahlen kann". Das Misstrauen vertiefte sich, als "letzte Woche in die Vergleichsgespräche hinein die Information platzte, der WBC habe dem Konkursgericht keine vollständigen Angaben gemacht, weil noch ein anderes Konto existierte". Eines, über das Ein- und Auszahlungen geflossen sind. Ziegler: "Für Rocky hieß das, dass sie ihn schon wieder linken wollten."

Das stille Konto verstößt gegen richterliche Auflagen und könnte für Sulaiman Folgen haben. Es sei beabsichtigt, ihn "in die persönliche Haftung zu nehmen", sagt Ziegler, der bezweifelt, dass WBC schon an Selbstliquidation denkt: "Erst mal schauen, ob die Antragsstellung tatsächlich dazu führt, dass die Verbandsarbeit eingestellt wird. Von dritter Seite haben wir gehört, es gab Interessenten aus dem Box-Bereich, die den Verband übernehmen wollten. Das ginge, wenn man sich mit dem Konkursrichter einigt."

Frust beim WBC

Für Rocky könnte das eine gute Lösung sein. Seit einem Jahr setzt er seinen Gläubigertitel gegen die WBC ein, alle Einnahmen aus den WBC-Kämpfen seither gingen an ihn. Darunter der Erlös aus dem Fight Vitali Klitschko/Sanders sowie aus zwei Kämpfen von Roy Jones. Der Verband konnte aufgrund des Konkursverfahrens "nicht mehr eigenmächtig über die Einnahmen verfügen", sagt Ziegler. Da müsse es, weil der WBC über Weltmeister in 17 Klassen verfügt, "gute Einnahmen gegeben haben".

Für den WBC ist es frustrierend, ständig beim Konkursrichter Rechenschaft ablegen zu müssen. Das erklärt auch die immer verzweifelteren Versuche, Rocchigiani in einen Vergleich zu zwingen. Dass Sulaiman aber nun seine Boxer vorschickt, um Probleme auszubügeln, die er selbst geschaffen hat, spricht nicht für dessen Einsichtsfähigkeit.

Löst sich der WBC am Ende auf, müsste Rocky in die Röhre schauen (abgesehen vom Anteil aus der Konkursmasse). Es wird dann aber auch die Weltmeister Klitschko, Jones und Co. nicht mehr geben. Und die sollten sich zum Protest nicht vor Rockys Kneipe versammeln, sondern im Hause Sulaiman.

© Süddeutsche Zeitung vom 17.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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