Borussia Dortmund:Ein Allmächtiger im Abseits

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Meistertitel, Zuschauermassen, Schulden - der Fußballklub der Rekorde wird von einem Präsidenten geführt, der mit 99,1 Prozent gewählt wurde.

Von Freddie Röckenhaus

Dortmund, 13. Oktober - Werner Wirsing ist eine westfälische Eiche. Knorrig, knarzend und, zugegeben, etwas dick. Die Hemdknöpfe spannen, das Gesicht ist gerötet, der Mann freut sich auf das halbe Fleischwurst-Brötchen auf seinem Teller.

Aber wenn der Genussmensch Wirsing, Selfmade-Unternehmer aus Dortmund, über die Borussia redet, dann ist es aus mit der Gemütlichkeit. Dann faucht der Industrie-Kapitän nur noch böse, und vor Aufregung versagt ihm bisweilen die Stimme: "Dieser Homm ist ein eiskalter Finanzspekulant. Für den zählt nur die Kohle. Aber aus meinem Verein muss er die Finger rauslassen. Ein Skandal, dass das überhaupt so weit kommen konnte."

Dass es überhaupt so weit kommen konnte. Das sagen sich in diesen Wochen viele in Dortmund. "Leuchte du, mein Stern Borussiaaaa", hat eines der neumodischen Vereinslieder den Fans von Borussia Dortmund vorgesungen. Ein Fußballverein als Fanal für eine Stadt mit Sorgen, die auf der Suche nach einer neuen Identität ist.

Früher stand Dortmund für die proletarische Wucht aus Stahl und Kohle und war der zweitgrößte Bierbrau-Standort der Welt. Heute arbeiten die Menschen hier bei Versicherungen, Hightech-Firmen und Hochschulen. Oder sind arbeitslos und warten in ihren Schrebergarten auf den Spieltag.

Das Geld von der Börse

Der Himmel über der Ruhr ist blau, wie im Luftkurort, sagen viele - aber das einzige, worauf man aus voller Seele stolz sein mag, ist der BVB, der Ballspielverein Borussia: dreimal Deutscher Meister in den vergangenen zehn Jahren, einmal Europapokalsieger, einmal Weltpokalsieger.

Das Westfalenstadion immer randvoll, mit über 80000 Zuschauern, Weltrekord! Die Kassen so voll wie sonst allenfalls noch beim FC Bayern, dem einzigen nationalen Konkurrenten. Und jetzt auf einmal das: Eine Horrorbilanz mit 67 Millionen Euro Jahresverlust, fast 119 Millionen Euro Schulden, weiteren 363 Millionen "sonstige finanzielle Verpflichtungen", gellt es aus dem neuesten Geschäftsbericht.

Der Lizenzentzug und der Rauswurf aus der Bundesliga wurden mit Mühe abgewendet. Eine Schlammschlacht ist im Gange. Was ist da so furchtbar schief gelaufen? Werner Wirsing, der mit einer seiner Firmen Spezialgläser produziert, mit der anderen DVDs und Kinofilme wie den vor kurzem Oscar-prämierten amerikanischen Spielfilm "Monster", vergisst kurz die Leberwurst, die er sich aufs Brot schmieren will.

Wehmütig schwelgt er in den Zeiten, in denen er von seinen Geschäftsfreunden in Korea oder Los Angeles begeistert nach den neuesten Triumphen des BVB gefragt wurde. "Letzte Woche in Seoul haben sie mich mit mitleidiger Miene gefragt: Was ist denn bloß mit Dortmund los?"

Und dann poltert Wirsing, der früher einmal Schatzmeister im Vorstand des BVB war, wieder gegen Florian Homm los. Der hat zwar keine Schuld am Finanz-Debakel des im Jahr 2000 mit großem Tamtam an die Börse gebrachten und nun so grässlich abgestürzten Fußball-Konzerns, aber er ist der aktuelle Buhmann.

Homm ist als rabiater Börsen-Spekulant bekannt, er wurde gerade wegen "Kursmanipulationen" zu einer hohen Geldstrafe verdonnert - und hat in großem Stil BVB-Aktien gekauft. Nun strebt er nach Einfluss im Verein - "obwohl der sich überhaupt nicht für Fußball interessiert!", stöhnt Wirsing, "dem geht es nur um Profit. Und wenn überhaupt, dann ist der noch ein Schalke-Fan." Etwas Schlimmeres kann man in Dortmund kaum über jemanden sagen.

Werner Wirsing will auf der Mitgliederversammlung im nächsten Monat einen Antrag zur Änderung der Satzung stellen, um Homm und andere vom Verein fern halten zu können. Und um, ganz nebenbei, den seit über 18 Jahren autokratisch amtierenden Präsidenten Gerd Niebaum zu stürzen. Die Triumphe in den Neunzigerjahren, das Finanzdebakel, die Horrorschulden - das alles ist das Werk des promovierten Wirtschaftsjuristen und Anwalts Niebaum, dessen große Kanzlei auch BVB-Sponsoren betreut.

"Achtung! Dr. Gott ist im Haus!"

Wenn Niebaum, stets im feinen Business-Dress auftretend und den Autoschlüssel um den Finger drehend, über die Flure von Borussias Geschäftsstelle schleicht, dann heißt es unter den Mitarbeitern: "Achtung! Dr. Gott ist im Haus!"

Von der Schaltzentrale des Fußballklubs aus, direkt am Ruhrschnellweg und vis-à-vis der wohl bekannten Westfalenhalle gelegen, sieht man die mächtigen, knallgelben Pylonen des Westfalenstadions. Seit die Abrissbirnen über die Stahlwerksareale gegangen sind, ist das Stadion das größte Gebäude der ganzen Stadt.

Doch es gehört nicht mehr Borussia, genauso wenig wie die Geschäftstelle. Alles wurde Stück für Stück verkauft und anschließend zurückgeleast. Stets, um immer wieder Bares in die zuletzt chronisch leeren Kassen des Verschwender-Klubs Borussia Dortmund zu holen, um flüssig zu bleiben, um weiter den Krösus der Bundesliga spielen zu können. Dortmunds Fans sangen in fremden Stadien in mühsamer Selbstironie: "Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf!"

Jahrelang funktionierte dieses System ganz prächtig. Mit "Wechseln auf die Zukunft", wie Gerd Niebaum seinen riskanten Kurs in feiner Semantik zu beschönigen pflegt, mit groß angelegten Krediten also auf gut deutsch, kaufte sich die Borussia in die Beletage des europäischen Fußballs ein.

Schon in den Neunzigerjahren wurden serienweise sündteure Nationalspieler wie Jürgen Kohler, Matthias Sammer, Stefan Reuter oder Karlheinz Riedle nach Dortmund geholt. Geld spielte scheinbar keine Rolle. Und unter dem Erfolgstrainer Ottmar Hitzfeld gelang eine Serie von Titelgewinnen.

So kamen die investierten Gelder zumindest zum Teil wieder zurück. Spätestens seit 1997 aber, so berichten Männer wie Werner Wirsing, trat der blanke Größenwahn an die Stelle von mutigem Unternehmertum. Mit dem Schulden-Fiasko als vorläufigem Schlusspunkt. ""Ich fürchte, selbst mein Bleistift und mein Kuli sind geleast", sagt eine BVB-Geschäftsstellenkraft.

Aber namentlich zitiert werden will niemand in dem berühmten Fußballklub und seinem Umfeld. Aus Angst vor Dr. Gott.

Denn Gerd Niebaum, der von Zeitungen schon 1997 als "Sonnenkönig" beschrieben wurde, hat in 18 Jahren seiner Regentschaft ein System der Abhängigkeiten und des Duckmäusertums aufgebaut, das in vielen Zügen auch an die endlose Regierungszeit des Helmut Kohl erinnert.

Vorstandskollegen, wie einst Werner Wirsing, die sich dem selbstherrlichen Umgang des Patriarchen Niebaum mit den Vereinsgeldern nur andeutungsweise in den Weg stellen wollten, wurden immer wieder aus dem Weg gemobbt.

So bevölkert im 19. Niebaum-Jahr eine Population von Niebaum-Jüngern die diversen Vereinsgremien. Doch auf der Ebene, die darunter liegt, hat sich der Widerstand breit gemacht. Seit Monaten sickert eine Insider-Information nach der anderen aus der Klubzentrale. Nein, sagt ein BVB-Kenner, Niebaums Reich sei nicht vergleichbar mit dem eines Sonnenkönigs. Es erinnere eher an Rumänien unter Ceausescu.

Wie das alles so kommen konnte, fragen sich inzwischen selbst manche von denen, die über viele Jahre dem Niebaum-Regime in Kadavergehorsam gefolgt sind. Mit dem Börsengang der Borussia im Herbst 2000, so unken einige im Nachhinein, seien endgültig alle Maßstäbe über Bord gegangen. Dieser kühne Schritt spülte mindestens 130 Millionen Euro in die Kassen.

Und obwohl rund die Hälfte davon gleich in die Tilgung der schon damals kolossalen Schulden gesteckt werden musste, gingen Präsident Niebaum und sein Manager Michael Meier anschließend auf Einkaufstour durch halb Europa.

Höhepunkt: die Verpflichtung des Brasilianers Marcio Amoroso für sage und schreibe 25 Millionen Euro. "Wenn ich mir die Geschäftsberichte seit 2000 so angucke", sagt Ex-Schatzmeister Wirsing, "dann wird mir ganz schwindlig."

Immer wieder wurde mit trickreichen "Sondereffekten" und feinem Bilanz-Make-up der Eindruck erweckt, als seien die mörderisch hohen Transfersummen und Spielergehälter verkraftbar.

Im November 2003, kurz nachdem die BVB-Chefs die teure Mannschaft in einer Notsitzung angebettelt hatten, auf 20 Prozent ihrer Gehälter wenigstens bis Saisonende zu verzichten, stellte sich Präsident Niebaum vor sein Wahlvolk von BVB-Mitgliedern und verkündete: "Wir sind in allen Geschäftsfeldern gut aufgestellt."

Niebaum wurde mit der SED-tauglichen Mehrheit von 99,1 Prozent im Amt bestätigt. Schon damals flüsterten sich besser informierte BVB-Mitglieder noch bei der Versammlung zu, es habe selten eine Rede gegeben, die das Prädikat "Wahlbetrug" mehr verdiene als diese.

Aufgestanden allerdings ist keiner. Auch Werner Wirsing nicht, dessen Statur eigentlich jeden Konflikt zulassen müsste.

"Wissen Sie," sagt Wirsing nachdenklich, "selbst die gestandenen Unternehmer, die letztlich von Niebaums Gnaden in den Gremien des Vereins sitzen, werden beim Betreten des Westfalenstadions doch zu reinen Fans. Man sonnt sich im Gefühl, mit dem privaten Durchfahrtsschein bis unter die Haupttribüne fahren zu dürfen, im VIP-Bereich hofiert zu werden, mit der Präsidenten-Gattin zu parlieren. Präsident bei Borussia, das ist in Dortmund ein wichtigeres Amt als das eines Ministerpräsidenten. Ich schließe mich gar nicht aus. Aber ich habe vor Jahren schon auf viele dieser Privilegien verzichtet. Andere haben Angst, sie zu verlieren."

Das Blitzlichtgewitter der Bilanzpressekonferenz am vergangenen Freitag hat manche Mitglieder der verschiedenen Vereinsgremien sowie auch Kommunal- und Landespolitiker wie den Wirtschaftsminister Harald Schartau nun alarmiert.

Dort herrschte ein Andrang, den man sich bei Siemens oder bei dem BVB-Hauptsponsor e.on für die eigenen Bilanztreffen einmal wünschen würde. Vernichtendes Resultat: Nie zuvor in der Geschichte des deutschen Fußballs sind jemals von einem Verein vergleichbare Schulden und vergleichbare Verluste angehäuft worden.

Unter dem Druck dieser Zahlen sahen sich Gerd Niebaum und sein Manager Michael Meier genötigt, "auch eigene Fehler" zaghaft einzugestehen. Doch ein Rücktritt, nein, Rücktritt stehe außerhalb jeder Diskussion. Stunden später wurde das nächste Papier aus der Klubzentrale nach draußen geschleust, an die Medien.

Stille auf der Tribüne

Immerhin rumpelt es inzwischen auch in der letzten verbliebenen Machtzentrale, dem "Präsidialausschuss", der noch nicht völlig gleichgeschaltet zu sein scheint. Dessen Vorsitzender Winfried Materna, als Software-Unternehmer einer der wichtigsten Arbeitgeber der Stadt und im Ehrenamt Präsident der Industrie- und Handelskammer, druckst seit Wochen bei Presseanfragen herum, dass er sich nicht äußern wolle und zur Verschwiegenheit verpflichtet sei.

In den Gremien aber und im privaten Umfeld soll Materna längst auf Kollisionskurs mit Niebaum gegangen sein. Ebenso gilt der BVB-Schatzmeister Hans-Joachim Watzke, ein Textilunternehmer aus dem benachbarten Sauerland, als Niebaum-kritisch. Reden will er darüber aber nicht.

Und der langjährige Ex-Präsident Reinhard Rauball, Jurist und Sportrechtsexperte, der seit Wochen in den Internet-Foren des BVB als heißester Kandidat für eine Niebaum-Nachfolge gehandelt wird, gibt sich noch zugeknöpfter: "Wie viele andere auch, bin ich in tiefer Sorge", sagt der "kleine Doktor", wie Rauball in Dortmund genannt wird. Mehr will er nicht sagen.

Beim jüngsten Heimspiel am 2. Oktober, das mit einem enttäuschenden 2:2 gegen den Aufsteiger 1. FC Nürnberg endete, war die einst vor Begeisterung brodelnde Südtribüne, auf der die wahren, die Stehplatz-Fans stehen, kaum wiederzuerkennen.

In der endlosen Schlussphase des Spiels blieben die Fans stumm. Kein Aufbäumen, keine Anfeuerung. "Man ist mit seinen Kräften am Ende", sagt der Borussia-Fan Joachim Rohde, der bei allen BVB-Spielen seit 1989 dabei war. "Ewig diese schlechten Nachrichten, nichts kann man mehr glauben. Es macht einfach keinen Spaß mehr. Es zieht einen nur noch runter." Das Schlimmste, was man über seinen Fußballverein sagen kann.

© Süddeutsche Zeitung vom 14.10. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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