Borussen:Wie bei den Highland-Games

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Die Bundesliga wird britischer: Das Borussen-Duell entwickelt sich zum kurzweiligen, ruppigen Kampfspiel, nach dem sich besonders die 2:1-siegreichen Dortmunder für ihren Kulturwandel feiern

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Wenn sich zartsinnige Balletttänzer plötzlich in raue Kampfsportler verwandeln, dann muss wohl die Fußballsaison in ihre entscheidende Phase einbiegen. Auch in Zombiefilmen neigen ansonsten höfliche Menschen nach ihrer Verwandlung zwar unversehens zur Konfrontation, aber diesen Befund darf man im Fall von Borussia Dortmund getrost ausschließen. Die sonst eher kontaktscheuen Westfalen sind bei ihrem 2:1-Erfolg in Mönchengladbach durch eine physische Streitbarkeit aufgefallen, die man bislang nicht von ihnen kannte. Sie hat ihnen den Sieg und den zweiten Platz in der Tabelle eingebracht. Fünf gelbe Karten binnen 90 Minuten sind BVB-Saisonrekord und standen gegen wehrhafte Gladbacher zugleich symbolisch für einen offenbar zunehmend körperlichen deutschen Fußball. Die Bundesliga wird immer englischer.

"Wir haben den Fight angenommen, wir haben uns nichts gefallen lassen", schwelgte Abwehrchef Mats Hummels. "Am meisten gefreut hat mich, dass wir so gekämpft haben", jubilierte Torwart Roman Bürki. Und so erfüllten diesmal gar nicht so sehr die Momente ihrer beiden Treffer die Dortmunder mit Stolz, sondern vielmehr die Augenblicke des Clinchs, also ihre fünf gelben Karten: Axel Witsels Handspiel samt Ballblockade, Dan-Axel Zagadous Ellbogencheck, Emre Cans taktisches Foul sowie Jadon Sanchos und Raphael Guerreiros schroffe Scharmützel mit grantigen Gegenspielern. "Das war zum Teil aber dem Charakter dieses Spiels geschuldet", sagte Michael Zorc. Kürzlich hatte der Sportdirektor noch leicht ironisch beklagt, dass sein BVB an der Spitze der Fairnesstabelle thront, und dort steht er auch weiterhin, allerdings hegt Hummels nun Hoffnung auf Besserung: "Wir haben jetzt eine andere Herangehensweise, an diesem neuen Spirit haben Emre Can und Erling Haaland große Anteile, jetzt haben wir die richtige Balance aus Künstlern und Arbeitern."

Das Künstlerische freilich hielt sich diesmal ein bisschen zurück. Das Duell zweier technisch eigentlich hochgradig versierter Mannschaften war von Anfang an ein solch leidenschaftlicher Infight, dass sie die Aufzeichnung bei den schottischen Highland-Games gut als Pausenfüller zeigen könnten. Schmerzverzerrte Gesichter und zuckende Muskeln prägten auch jene drei Schlüsselszenen, die die Gladbacher zähneknirschend für ihre Niederlage mitverantwortlich machen mussten: als Torwart Yann Sommer seinem Vordermann Denis Zakaria versehentlich aus vollem Lauf einen kapitalen Bluterguss ins Knie trat und dieser ausgewechselt werden musste; als Jonas Hofmann im Dortmunder Strafraum über die absichtlich ausgefahrene Hüfte des Abwehrmanns Dan-Axel Zagadou stürzte, es aber keinen Elfmeter gab - und als die Gladbacher kurz vor dem 1:2 abgelenkt wirkten, aus einer Art falsch verstandener Nächstenliebe, weil Dortmunds Haaland sich verletzt am Boden krümmte. Achraf Hakimi nutzte die Konfusion, preschte rechts außen durch und schob Torwart Yann Sommer den Ball zum Siegtreffer durch die Beine (71.).

Bis zum Mittwoch sollten sich die Gladbacher erholt haben, denn dann erscheint der 1. FC Köln zum nachgespielten Rheinderby, das vor einem Monat dem Orkan zum Opfer gefallen war. "Dann haben wir gleich wieder die Chance, oben dranzubleiben", sagte der Trainer Marco Rose, der seinen Spielern diverse Komplimente widmete für "den Puls 220", mit dem sie sich der anderen Borussia entgegengeworfen hatten. Momentan sind die Gladbacher von Bayer Leverkusen zwar aus der Champions-League-Zone (Platz eins bis vier) verbannt, können dies mit einem Sieg gegen Köln aber rückgängig machen. Vermutlich kann auch Zakaria wieder mitspielen.

In Paris, warnt Zorc, "muss man fast fehlerfrei spielen"

Puls 220 benötigen auch die Dortmunder am Mittwoch, denn sie müssen einen 2:1-Vorsprung bei Paris St. Germain in der Champions League verteidigen. Bereits im Achtelfinal-Hinspiel hatten sie den vornehmen Franzosen die neue westfälische Gangart näher gebracht. "Genau das brauchen wir jetzt wieder", sagt Michael Zorc. Der Sportdirektor mag eine erfolgreiche Fortsetzung der Saison aber nicht aufs rein Rustikale limitieren: "Wir brauchen vor allem eine sauberere Defensivleistung, weil die Jungs, die dort auf dem Platz stehen, Fehler noch kaltblütiger bestrafen." Am Mittwoch in Paris, warnt Zorc, "muss man fast fehlerfrei spielen".

Für Dortmund war der erfolgreiche Ausflug an den Niederrhein der Start in die wichtigsten Wochen der Saison. Denn nach dem Besuch bei Ex-Trainer Thomas Tuchel in Paris, nach dem Revierderby daheim gegen Schalke am Samstag und nach dem Spiel in Wolfsburg eine Woche später folgt eine Länderspielpause, an deren Ende am 4. April das Heimspiel gegen die Bayern ansteht. "Genau dann müssen wir auf dem Maximum sein", sagt Hummels.

© SZ vom 09.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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