Boom im Schnee:Wintersport-Republik Deutschland

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Ob mit oder ohne Naturschnee: In der sogenannten stillen Zeit erfasst eine ganze Lawine aus Ski-Ereignissen die Fernseh-Nation.

Wolfgang Gärner

Es ist immer noch kein Schnee gefallen über Deutschland, sieht man einmal von ein paar Flocken in den Alpen ab, aber in zwei Tagen wird eine Lawine hereinbrechen, wie sie das Land noch nicht gesehen hat. Es ist eine Lawine von nordischen Skisport-Veranstaltungen, beginnend am Freitag in Oberstdorf mit der ersten Qualifikation der Vierschanzentournee.

Am Verschwinden: der Skisprung-Boom. (Foto: Foto: dpa)

Danach folgen der Spaß-Biathlon in Schalke, die weiteren Stationen der Springer-Serie, der Deutschland-Grand-Prix der Kombinierer, die Tour de Ski der Langläufer und der Biathlon-Weltcup in Oberhof. Zwischen dem 29. Dezember und dem 7. Januar vergeht kein Tag ohne nicht wenigstens einen Weltcup in Deutschland. Und selbst bei den Ausläufern der Lawine in Österreich und Italien, mit den Endstationen von Tournee und Langlauf-Tour, sind deutsche Athleten zumindest aussichtsreich beteiligt.

Wenn es nach der Kür der Biathleten Michael Greis und Kati Wilhelm zu den Sportlern des Jahres 2006 noch einen Zweifel gegeben haben sollte, dass Deutschland derzeit das Zentrum des nordischen Wintersports ist, dann dürfte der spätestens in den kommenden Tagen hinweggefegt werden.

Nun hat es zwar auch schon in der Vergangenheit hierzulande viel Wintersport gegeben zwischen Weihnachten und Dreikönig, aber durch die Einführung der Tour de Ski hat das Programm eine neue Quantität bekommen. ,,In den Köpfen der Menschen ist Winter im Dezember und Januar'', sagte der Schweizer Jürg Capol, der für den Langlauf zuständige Renndirektor des Ski-Weltverbandes Fis, als er die Idee einer Etappenserie vorstellte, ,,aber wir hatten unsere Saison-Höhepunkte bisher immer außerhalb dieser Periode.'' Nun zwängen sich also auch die Langläufer rein in diese angebliche stille und besinnliche Zeit. ,,Ich denke, dass das noch gefehlt hat im Terminkalender und dass dafür noch Platz ist'', sagt Tobias Angerer, der Gesamt-Weltcupgewinner der vorigen Saison in dieser Disziplin: ,,Die Tour de Ski kann ein richtiger Event werden für Medien, Zuschauer, Sponsoren.''

Die fußballfreie Zeit nutzen

Die seit Jahrzehnten in dieser Zeitspanne etablierten Springer und Kombinierer sehen die Neuankömmlinge jedenfalls nicht als Konkurrenten im Kampf um das öffentliche Interesse. ,,Die Tour de Ski ist ein hauseigenes Produkt der Fis und von daher auf jeden Fall eine Ergänzung'', behauptet Walter Hofer, Capols fürs Skispringen verantwortlicher Kollege bei der Fis: ,,Wir decken ja nur einen Teil des Tages ab, rund zwei Stunden, da ist für den Rest noch viel Platz. Und es kommen Synergieeffekte zusammen.''

Der deutsche Langlauf-Bundestrainer Jochen Behle sieht auch nur Vorteile: ,,Es ist jetzt fußballfrei und Ferien, die Leute haben Zeit zum Zuschauen. Man muss die Veranstaltungen zeitlich nur so abstimmen, dass man auch alles kucken kann.''

Das ist den übertragenden Fernsehanstalten RTL und ARD/ZDF wieder ganz prima gelungen. An manchen Tagen reihen sich die Weltcups über acht Stunden hinweg nahtlos aneinander, am 3. Januar zum Beispiel der Langlauf in Oberstdorf (Start: 10.30 Uhr), die Kombination in Ruhpolding (11 Uhr Springen/15 Uhr Langlauf), das Springen in Innsbruck (Qualifikation um 13.45 Uhr) und die Biathlon-Staffel in Oberhof (17.20 Uhr). Ähnlich sieht es drei Tage später aus, am Samstag, dem 6. Januar: 10 Uhr Beginn der Kombination in Schonach, 11.30 Uhr Langlauf in Val di Fiemme, 14.15 Uhr Biathlon in Oberhof, 16.30 Uhr Qualifikationsspringen in Bischofshofen.

Dass Zuschauer und Sponsoren des vielen Wintersports überdrüssig werden könnten, mag sich keiner vorstellen. ,,Die Fernsehmacher erklären uns, dass solche Blöcke besser sind für die Präsenz als Einzelveranstaltungen'', sagt Walter Hofer. Wettkampfblöcke seien auch der werbetreibenden Wirtschaft generell besser zu verkaufen als singuläre Ereignisse, bestätigt Thomas Mayr, der Marketing-Chef des an allen Veranstaltungen maßgeblich beteiligten Deutschen Skiverbandes (DSV).

Keine Marktregulierung

,,Eine Sättigung hängt immer davon ab, welche Leistungen wir bringen. Und so lange wir Spitzenathleten haben, sehe ich keine Gefahr'', sagt Ulrich Wehling, Renndirektor Kombination in der Fis. ,,Wir sind total entspannt'', stimmt Wolfgang Filbrich ein, der Organisationschef des Oberhofer Biathlon-Weltcups, ,,wir sind sogar stolz darauf, dass wir trotz der Parallel-Veranstaltung immer noch höhere Einschaltquoten haben als die anderen.'' Thomas Mayr glaubt: ,,Die Angst, dass der Zuschauer überlastet wird, ist solange nicht gegeben, wie deutsche Athleten erfolgreich sind.'' Dass die Ballung der Termine in Deutschland vom Weltverband Fis freilich kritisch beobachtet wird, gibt Thomas Mayr zu.

Aber wie immer, wenn eine Branche boomt, sieht kaum jemand die Notwendigkeit einer Marktregulierung, bevor nicht alle Maximierungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Und wenn doch, dann behält er seine Meinung lieber für sich. Vom Österreichischen Skiverband (ÖSV) heißt es, dass auch er zunächst Interesse an Langlauf-Etappen gehabt habe, dann aber doch verzichtete, um seine gleichzeitig ausgetragenen Vierschanzen-Veranstaltungen nicht abzuwerten.

Die Warner vor der Wintersport-Lawine sind aber in der Minderheit, und sie äußern sich auch nur so vorsichtig wie Hermann Weinbuch, der Bundestrainer der Kombinierer: ,,Es kann schon der eine oder andere Engpass oder Konflikt stattfinden.'' Solange nur acht von 24 Stunden eines Tages mit nordischem Skisport belegt sind, scheint das Ende des Wachstums freilich niemandem in den Sinn zu kommen.

© SZ vom 27.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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