Boll und Ovtcharov:Zwei gegen China

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Mit den Siegen in Magdeburg stürzen Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov die beste Tischtennis-Nation in eine Krise. Die Frage bleibt: Warum erreichten sie das Niveau erst nach Olympia?

Von Ulrich Hartmann, Magdeburg/München

Das ist eine neue Erfahrung: Das Beste, was das globale Tischtennis momentan zu bieten hat, ist ein Duell zwischen den beiden deutschen Spitzenkräften Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll. Laut Rangliste sind sie zwar bloß die Nummern drei und vier in der Welt, doch nach jüngst gewonnenen Duellen mit den führenden Chinesen Ma Long und Fan Zhendong sind Ovtcharov, 29, und der 36 alte Boll derzeit gefühlt die beiden Besten der Welt. Am Sonntag standen sie sich bei den mit 210 000 Dollar dotierten German Open in Magdeburg schon wieder im Endspiel gegenüber. Ovtcharov sicherte sich in 55 spannenden Minuten mit einem 4:3 (-9, 5, 9, -6, 7, -7, 6)-Sieg den Titel sowie 24 000 Dollar Siegprämie. Für das Renommee des deutschen Tischtennis war diese Finalpaarung mit Geld aber nicht aufzuwiegen. Nach dem Match lächelten beide. Sie haben die Tischtennis-Weltmacht China endgültig in die Krise gestürzt. Auf seinem Weg ins Endspiel hatte Ovtcharov die beiden Chinesen Yan An und Fan Zhendong besiegt, während Boll auf seinem Zug ins Finale deren Landsmann Lin Gaoyuan bezwungen hatte. Schon zum dritten Mal binnen fünf Monaten nach den China Open im Juni und dem World Cup in Lüttich vor drei Wochen standen sich Ovtcharov und Boll im Finale eines bedeutsamen Turniers gegenüber.

Deutscher Chinesenschreck (1): Dimitrij Ovtcharov, 29, auf dem Weg ins Finale der German Open. (Foto: Marco Steinbrenner/Imago)

Bei seinem dramatischen 4:3 (11, 7, -7, -3, 9, -8, 13)-Sieg im Halbfinale gegen den Weltranglistenzweiten Fan Zhendong hatte Ovtcharov zwei Matchbälle abgewehrt und war nach dem letzten Ballwechsel nach 70 Minuten wie berauscht auf die Knie gesunken. Es war sein erster Sieg überhaupt gegen Fan Zhendong. "Ich habe gerade einen unglaublichen Lauf", sagte Ovtcharov. Boll hatte sein Halbfinale erstaunlich deutlich mit 4:0 (4, 9, 4, 9) gegen den Südkoreaner Lee Sangsu gewonnen.

Deutscher Chinesenschreck (2): Timo Boll, 36, auf dem Weg ins Finale der German Open. (Foto: Ronny Hartmann/dpa)

Bolls und Ovtcharovs momentane Dominanz hat verschiedene Gründe. Bei den China Open hatten die Chinesen einen Trainerwechsel im eigenen Verband bestreikt und den beiden Deutschen damit das Feld gewissermaßen überlassen. Beim World Cup in Lüttich hatte Boll mit Lin Gaoyuan und Ma Long zwei Chinesen ausgeschaltet, das Finale dann aber wie schon in China gegen Ovtcharov verloren. Zwei Fragen prägten dieses Wochenende: Warum entwickeln Ovtcharov und Boll erst ein Jahr nach Olympia in Brasilien und ein halbes Jahr nach der Heim-WM in Düsseldorf solch eine phänomenale Form? Und was ist nur mit den Chinesen los? In Magdeburg schaffte es von fünf gestarteten Chinesen nur der Weltranglistenzweite Fan Zhendong ins Halbfinale. Zhang Jike scheiterte in Runde eins am Portugiesen Tiago Apolonia, Yan An scheiterte im Achtelfinale an Ovtcharov, Xu Xin verlor im Viertelfinale gegen Lee Sangsu und Lin Gaoyuan gegen Boll. Ma Long hat gar nicht mitgespielt. Ovtcharov und Boll führen im Moment eine sportliche Rebellion an, nach der sich die Tischtenniswelt bereits seit dem bis dato letzten nicht-chinesischen Mannschaftstitel durch Schweden (2000) und dem letzten nicht-chinesischen Einzeltitel durch den Österreicher Werner Schlager (2003) sehnt. Anfang Mai 2018 findet die nächste Mannschafts-Weltmeisterschaft im schwedischen Halmstad statt, und es wird spannend zu sehen, ob Ovtcharov und Boll ihre herausragende Form bis dahin konservieren können und ob sich die Chinesen in diesem nächsten halben Jahr wieder erholen. Wenn nicht, könnten sich Ovtcharov und Boll mit dem WM-Mannschaftstitel einen schon nicht mehr für möglich gehaltenen Traum erfüllen.

Ovtcharov hatte dieses Jahr bereits die Indian Open, die China Open, die Bulgarian Open, die Swiss Open und den World Cup gewonnen. Aber bei der Einzel-Weltmeisterschaft in Düsseldorf war er bereits im Achtelfinale am Japaner Koki Niwa gescheitert. Boll hatte in der Messe Düsseldorf im WM-Viertelfinale knapp gegen Ma Long verloren. Kürzlich beim World Cup in Lüttich hat er ihn dann aber besiegt. Den Chinesen Lin Gaoyuan hat Boll in Lüttich noch hauchdünn mit 4:3 geschlagen, jetzt in Magdeburg sogar deutlich mit 4:1.

Ovtcharov und Boll sind zurzeit topfit und spielen auf ihrem höchsten Niveau seit Langem. Sie nutzen zum richtigen Zeitpunkt die Schwäche der Chinesen. Nicht erst bei der WM 2018 in Schweden wird es vielleicht spannend, sondern schon zuvor beim großen World-Tour-Finale der 16 besten Spieler im Dezember im kasachischen Astana. Um 100 000 Euro Siegprämie wird es bei diesem lukrativsten Tischtennisturnier der Historie gehen - eine Summe, die Dimitrij Ovtcharov oder Timo Boll eine weitere Demütigung der chinesischen Topspieler zusätzlich versüßen könnte.

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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