Bochum neuer Tabellenführer:Verdienter Sieg für die Bayernjäger

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Für wenigstens 19 Stunden ist Bochum Erster der Fußball-Bundesliga. Das Spitzenspiel gegen Hamburg gewinnt der VfL verdient mit 2:1. Das passt den Bochumern gut, die sich gerade neu erfinden.

Kajo Fritz

Gäbe es in der Kategorie Dauerkrampf einen Rekord, Joel Epalle hätte ihn an diesem Abend gebrochen. So war seine rechte Oberschenkelmuskulatur, die nach dem Spiel einfach nicht aufhören wollte sich zusammenzuziehen, nur schmerzhafter Beleg dafür, wie aufopferungsvoll die Bochumer den Weg an die Spitze gefunden haben. Epalle war im Sturm links, rechts und vor allem überall zu finden.

Der Kameruner spulte im gegnerischen Feld mit westfälischem Hochdruck Kilometer um Kilometer ab. Seine Mitspieler waren ähnlich fleißig. Das Erstaunliche aber war, dass der VfL nicht nur deswegen zu Recht gegen den Hamburger SV mit 2:1 gewann. Sondern vor allem, weil die Westfalen eine sichere Defensive haben, ein stabiles Mittelfeld und einen guten Sturm.

Plötzlich Tabellenführer

Plötzlich ist der VfL Bochum also Tabellenführer der Bundesliga, wenn wohl auch nur für ein paar Stunden. Das letzte Mal war dies vor fünf Jahren der Fall. Aber viel wichtiger als der Spitzenplatz, ist der Wandel, der im vermeintlich aschgrauen Westen sicht- und hörbar wird.

Beim VfL bricht langsam und gewaltig eine Fanfreude los, wie sie in den benachbarten Städten Gelsenkirchen und Dortmund schon lange zu Hause ist. Diesmal waren über 30.000 gekommen, nur ein paar blaue Sitzschalen blieben verwaist. Die Bochumer Fans schreien nunmehr eine Mannschaft nach vorn, die es auch noch versteht, sich durchaus kombinierend den Weg nach vorn zu bahnen. Bochum erfindet sich neu, die Fans finden das toll.

Verantwortlich dafür ist VfL-Trainer Marcel Koller, der sich nach dem Spiel sogar kurz erlaubte, ein wenig die Situation nach drei Spieltagen zu genießen."Ich denke schon, dass wir die Tabelle mal fotografieren. Die sieht ja sehr schön aus", sagte er entzückt und sprach charmant-zurückhaltend wie es wohl nur Schweizer vermögen: "Bochum ist Erster." Dann grinste er und hüpfte kaum sichtbar ein bisschen auf seinem Stuhl auf und ab.

Durchs Führungstor wachgeküsst

Vorausgegangen war eine Partie, die zu Anfang tatsächlich die Zutaten eines typischen Spitzenspiel-Auftakts hatte - keine Tore, Querpässe, Gähnen auf der Tribüne. Wachgeküsst wurde das Spiel erst durch das Bochumer Führungstor von Stanislav Sestak (45.), der nach einer Kopfballverlängerung von Epalle aus fünf Metern freistehend verwandelte.

Bis zu diesem Zeitpunkt war auch nichts zu sehen von einem Duell zwischen dem Hamburger Rafael van der Vaart - trotz seines vereitelten Wechsels nach Spanien bislang in Bestform - gegen Bochums Tommy Bechmann - mit drei Toren ertragreichster Stürmer der Liga. Letztlich verdienten sich beide solide Noten. Van der Vaart traf per Foulelfmeter in der 86. Minute, das Spiel war da aber schon entschieden.

Was nämlich der neue Bochumer Verein für Leibesübungen nun ästhetisch zu bieten hat, brachte Daniel Imhof eindrucksvoll auf den Punkt. 19 Sekunden zuvor eingewechselt ließ der Kanadier den Ball ins rechte obere Eck von HSV-Keeper Frank Rost segeln. Es war einer der Schüsse aus 25 Metern, die auch bei der vierten Wiederholung nicht langweilen.

Grundabneigung gegen die Partie

Das alles konnte Huub Stevens aber nicht derart in Rage bringen wie die rote Karte gegen Vincent Kompany (60.). Zwar stoppte der Belgier Bechmann bei einem Konter regelwidrig, wohl aber nicht als letzter Mann und deswegen auch nicht rotwürdig. Dies versuchte Stevens nachträglich dem vierten Offiziellen zu erklären und schrie sich dabei einen roten Kopf.

Seine Grundabneigung gegen diese Partie hatte indes schon viel früher begonnen. "Leider kann man nicht immer das sagen, was man denkt", verriet der Holländer und sagte dann aber doch schnutig: "Es liegt nicht immer daran, was auf dem Feld passiert." Acht Spieler musste Stevens unter der Woche für Länderspiele abstellen. Das dies zu viel sei, wollte er so deutlich nicht sagen. Ausreden hört keiner gerne.

VfL-Trainer Marcel Koller hatte zum Schluss auch noch etwas zu meckern: "Wir hätten das dritte Tor schießen müssen. Das hätte für mehr Ruhe gesorgt." Er meinte natürlich die Ruhe auf dem Feld, denn die Bochumer Fans priesen so oder so noch lange nach dem Spiel lautstark den ungewohnten Status als Ligaprimus. Nur als ein VfL-Fan Gesangesmitstreiter für das beliebte "Bayernjäger, Bayernjäger, hey, hey" suchte, fingen dann doch die meisten zu lachen an.

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