Bob:Scheppernd zum Gold

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Schnellster Ausgang aus dem Kurven-Labyrinth: Die Weltmeisterinnen Mariama Jamanka (links) und Annika Drazek in Whistler. (Foto: Darryl Dyck/dpa)

Mariama Jamanka, die beste Bob-Pilotin des Winters, triumphiert mit Anschieberin Annika Drazek auch bei der von Stürzen geprägten WM in Kanada.

Von Barbara Klimke, München/Whistler

Von oben, aus entrückter Kameraperspektive betrachtet, wirkt so ein Bob auf Goldkurs wie ferngesteuert, wenn er in eleganten Kurven durch den Eiskanal schießt. Von innen gesehen, ähnelt die Sause durch die Röhre manchmal eher einer Höllenfahrt. "Ich sehe ja nichts vom Lauf, aber ich spüre ihn. Es war brutal", lautete der Insiderbericht von Annika Drazek, die als Anschieberin in aerodynamisch geduckter Haltung hinter Mariama Jamanka saß: "Das war ein Geschepper runter! Echt unschön", sagte sie; zwischendrin, bei Kurve 12, habe sie nur noch "Oh Gott!" gedacht. Als das Gefährt dann hinter dem Ziel den Bremshang hoch sauste, wirkte Drazek noch immer wie unter Strom. Es dauerte ein Weilchen, bis sie in Whistler jubeln konnte.

Der vierte und letzte Durchgang dieser Weltmeisterschaft in Kanada war nichts für schwache Nerven, da stimmten alle Beteiligten überein. Auch bei Olympiasiegerin Mariama Jamanka überwog die Erleichterung, nur "irgendwie durchgekommen" zu sein bei diesem Sturz-Championat im Kurvenlabyrinth einer der anspruchsvollsten Bobbahnen der Welt.

Umso bemerkenswerter war der Umstand, dass die neuen Weltmeisterinnen Jamanka/Drazek trotz des finalen Rumpel-Laufs in der Summe mit 1,06 Sekunden Vorsprung auf das zweitplatzierte Duo, Stephanie Schneider und Ann-Christin Strack, im Ziel ankamen. Das ist schon fast ein Klassenunterschied in diesem Hochgeschwindigkeitssport, der Vorteile manchmal in Hundertstelsekunden misst. Im dritten, nahezu fehlerfreien Durchgang, hatten Jamanka und Drazek der viermaligen amerikanischen Weltmeisterin Elana Meyers Taylor den Bahnrekord abgejagt. Die US-Pilotin, Titelverteidigerin in Whistler, ging anschließend in die Bahn, ihr Gefährt kippte und schlitterte auf der Seite weiter. Stephanie Schneider, Pilotin vom BSC Oberbärenburg, die die Unfallfahrt beobachtete und später Silber gewann, berichtete von einem schwierigen Wettkampf: Sie war im Training selbst drei Mal gestürzt. Auch deshalb sprach Bundestrainer René Spies seinen Athletinnen für diesen WM-Doppelerfolg auf dem gefährlichen Kurs die höchste Anerkennung aus: Die Freude sei groß, sagte er, weil "auch unsere Ergebnisse auf dieser schwierigen Bahn am seidenen Faden hingen".

Mariama Jamanka, 28, geboren in Berlin, inzwischen in Oberhof heimisch, neigt ohnehin nicht zu voreiligem Überschwang: Sie gehörte zwar erstmals zum Favoritenkreis bei einer WM nach dem überraschenden Olympiagold in Pyeongchang mit Anschieberin Lisa Buckwitz vor einem Jahr und den brillanten Fahrten durch die diversen Weltcupbahnen in diesem Winter, die ihr vier Siege in acht Rennen einbrachten. Allerdings wusste sie, dass die Vorteile im schnellen Eiskanal diesmal bei den amerikanischen und kanadischen Kolleginnen lagen, die eine Vielzahl von Trainingsläufen auf ihrer Heimbahn absolviert hatten. Alle anderen müssten sich vor einer WM mit zehn Testdurchgängen begnügen, hatte sie vorab der Berliner Zeitung erzählt: In der Kürze der Zeit sei es schwer, die "optimalen Fahrlinien" zu finden.

Andererseits kann sie sich in dieser Saison wieder auf Annika Drazeks Anschubhilfe verlassen, die nun schon ihren zweiten WM-Titel nach 2016 gewann. Drazek, eine frühere Sprinterin aus Winterberg, war schon früher Jamankas Partnerin, ehe die Bobs für die Winterspiele in Pyeongchang neu zusammengesetzt wurden. Die Startzeit ist die Crux im Bobsport, denn jeder Sekundenbruchteil zählt, wenn das mehrere hundert Kilogramm schwere Gefährt dank der Schwerkraft Geschwindigkeit aufnimmt. Und in Drazek weiß Jamanka nun eine Athletin an ihrer Seite, die "mit Abstand die schnellste Anschieberin" in Deutschland ist, wie sie sagt.

Gemeinsam, die eine vorne an den Seilen, die andere geduckt dahinter, haben sie nun auch bei der Rumpelfahrt von Whistler triumphiert. Mariama Jamanka, die beste Bobpilotin des Winters, die vor der Goldmedaille der Winterspielen 2018 nie einen Weltcup gewonnen hatte, kann sich jetzt Olympiasiegerin, Weltcup-Gesamtsiegerin und Weltmeisterin nennen. Das sei alles verwirrend rasch gegangen sagte sie in Whistler: Nach Pyeongchang habe sie allenfalls "gehofft, dass wir die Punkte so nach und nach abhaken. Nun passiert das alles in einer Saison". Aber so ist das in ihrem Sport: Wenn ein Bob erst einmal scheppernd in Fahrt kommt, gibt es kaum noch etwas, das ihn stoppen kann.

Gestürzt ist Jamanka dann übrigens trotzdem noch beim anschließenden Teamwettbewerb - aber das war nur ein kleiner Schreck ohne große Folgen.

© SZ vom 05.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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