Bestechungsaffäre Allianz-Arena:Halali an der Grünwalder Straße

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Schwergewichtiger Angriff mit zu viel Nullen: Warum das System des "Löwen"-Bosses Karl-Heinz Wildmoser in einem Auswärtsspiel bei der Polizei gipfelt. Eine Reportage von Thomas Kistner und Wolfgang Görl

Sonne liegt am späten Vormittag über dem Trainingsgelände des TSV 1860 München, und hinter dem hohen Maschendrahtzaun an der Grünwalder Straße sind ein paar Knirpse im Trainingsanzug zu sehen, die mit dem Ball jonglieren. Doch wer das Training der Jungs aus der Nähe betrachten wollte, hätte keine Chance. Das Gittertor, durch das man aufs Vereinsgelände gelangt, ist zugezogen, und dahinter steht ein Aktiver aus der Boxabteilung des Vereins, dessen Blick Kampfeslust verrät. Nicht die beste Voraussetzung für einen entspannten Nachmittag.

(Foto: Foto: ap)

Was mit dem zusammenhängen mag, was hinter den großen Fensterscheiben der Geschäftsstelle passiert. Seit gut zwei Stunden durchkämmen Polizeibeamte die Geschäftsräume der "Löwen", und wonach sie suchen, hat sich mittlerweile auch bei den wenigen Fans herumgesprochen, die draußen mit bleichen Gesichtern herumstehen. Die Beamten suchen nach Unterlagen, die den Vorwurf belegen, den hier erstmal keiner so recht glauben will: Vereinspräsident Karl-Heinz Wildmoser und sein Sohn sollen von der Baufirma Alpine Schmiergelder erhalten haben.

Für einen Moment öffnet sich das Tor: Eine silbergraue Limousine verlässt das Gelände, auf der Rückbank ein Karton und ein blauer Plastikbehälter. Da fährt vor dem Tor ein älterer Herr mit dem Fahrrad vor, an dessen Lenker ein Radio befestigt ist. Soeben läuft ein Interview mit Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der neben seinem Hauptjob auch noch bekennender Löwen-Fan und Mitglied des Aufsichtsrats von 1860 ist. "Ich bin erschüttert und deprimiert", sagt Ude. Das ist dann auch der Moment, in dem selbst dem letzten 1860-Fan die Tragweite der ganzen Angelegenheit klar wird: "Ich geh da nimmer hin", sagt einer. "Die sind sogar zu blöd zum Bescheißen."

Als ob das einen alteingesessenen Löwen-Anhänger überraschen könnte. Zu viele haben sich doch schon abgewandt in der bald 14 Jahre währenden Wildmoser-Ära, darunter viele, die sich als Klubehrenamtliche im Kräftemessen mit dem wuchtigen Oberlöwen blutige Nasen geholt haben. Wildmoser - das war nur vordergründig ein Synonym für bayerische Hemdsärmeligkeit, in Wirklichkeit hat der Amtsführung des Allmächtigen doch recht oft der Ruch des Geschäftsfilzes angehaftet.

Diskrete Deals, die in der Familie blieben, waren erstmals im Herbst 1994 aufgeflogen. Damals hatte ein so genannter Freundeskreis des TSV 1860 dem Klub Darlehen über insgesamt 1,6 Millionen Mark gewährt, zum saftigen Zinssatz von neun Prozent. Als Empfänger quittierte Wildmoser senior, als Darlehensgeber für den Freundeskreis Wildmoser junior - und überdies hatte jener Darlehensvertrag die gutverzinste Gönnerschaft recht unverblümt an den Verbleib Wildmosers im Präsidentenamt geknüpft. Als der Handel publik wurde, rümpfte selbst der DFB die Nase, vereinsintern aber wurde erstmals das praktiziert, was von Kritikern auch in späteren Jahren als Säuberungsaktion bezeichnet wurde. Zug um Zug wurde nun bei Vereins- und Delegiertenversammlungen in rauer Biertischmanier das System Wildmoser etabliert; Fragesteller, die sich allzu engagiert für Transfer- oder Bilanzdetails interessierten, wurden öfter niedergebrüllt oder, wie so mancher geschasste Vereinsangestellte beklagte, flott weggemobbt.

Wildmoser regierte, das Fußballvolk parierte. Treue Bündnisgenossen im Vorstand ebneten die Dienstwege: "Wildmoser muss sagen, wo es langgeht, und wo es langgeht, werde ich auch folgen", sagte zum Beispiel Paul Wonhas im Herbst 1997 - da war der Pensionär just zum Vizepräsidenten neben Kurt Sieber berufen worden, einem Münchner Großmetzger. Externe Mitstreiter indes fühlten sich häufig ausgenutzt und schieden im Zwist.

Auch Wildmosers langjährige Männerfreundschaft mit Werner Lorant ging in die Binsen. Danach kursierte das Gerücht, der Trainer sei an Immobiliengeschäfte des Klubchefs im Osten beteiligt gewesen. In den neuen Bundesländern hatte Wildmoser frühzeitig seine Fühler ausgestreckt. Schon zwei Tage vor der Währungsunion stand auf Dresdens Altmarkt das größte Bierzelt des Ostens, später wurde die Stadt um einen Supermarkt von 3000 Quadratmeter bereichert. Mit im Geschäft: Karl-Heinz Wildmoser.

Das Imperium wuchs unerschütterlich - so wie auch der weißblaue Paradewirt in seinem Ehrenamt wuchs. Gegen den erbitterten Widerstand der Fan-Basis boxte Wildmoser sogar den Umzug ins ungeliebte Olympiastadion durch, womit er ein Kernstück der Vereinstradition preisgab. Die Identität ging verloren. Gleichzeitig führte Wildmosers Kurs - entgegen dem Modernisierungsprozess in der Ballbranche - den Klub Schritt für Schritt in die Vergangenheit zurück. Heute ist der TSV 1860 der letzte Bundesligist, der wie ein Familienunternehmen geführt wird.

Emotion statt Information, nach dieser Devise regierte der Patriarch. Tauchten Probleme auf, griff Wildmoser auf bewährte Schauspielkunst zurück: Mal wurde der Bauch rausgedrückt ("Es passt ois") und durchmarschiert, war aber der Ärger zu groß, badete er öffentlich in Tränen des Selbstmitleids. Kaum eine Saison verging, in der Wildmoser nicht mit angeblicher Amtsmüdigkeit kokettierte: "Ich bin nur noch ein Wrack." Richtig verlassen konnten sich seine Widersacher darauf aber nie. Was dazu führte, dass der Großgastronom zu einem der prominentesten Männer der Stadt aufstieg, dem sogar verziehen wurde, wenn er beim verhassten Rivalen FC Bayern Tore auf der Ehrentribüne bejubelte.

Dass er, der Franz Beckenbauer so sehr bewundert, nun auch das Image der Bayern beschädigt, ist eine der pikantesten Facetten des Münchner Fußballskandals. Immerhin schenkten die Bayern ihrem Geschäftsfreund Wildmoser "hundertprozentiges Vertrauen". Das bestätigte Fritz Scherer, früher Bayern-Präsident, heute noch Mitglied des Aufsichtsrats. Vielleicht besuchen sie den gefallenen Kameraden ja mal in der U-Haft, auch in Stadelheim soll es Sportplätze geben.

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