Beckham und Co.:"Schrott bis ins Finale"

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Die englische Mannschaft zeigt Mut zur Hässlichkeit, gewinnt Spiel um Spiel und ist stolz darauf.

Raphael Honigstein

Das Achtelfinal-Wochenende hatte kein Pardon mit lieb gewordenen Klischees; es ist nun wirklich vorbei mit den letzten großen Gewissheiten. Die Deutschen rumpeln nicht mehr, sie rauschen begeisternd von Sieg zu Sieg.

Die Niederländer, die alten Meister der anmutigen Niederlage, treten Ideal und Gegner mit den Füßen und spielen dabei einen unsäglichen Murks zusammen. Und England? Man konnte sich immer auf völlig überdrehte Erwartungen einstellen und darauf, dass sie mehr oder minder kläglich scheiterten.

"Mut zur Hässlichkeit"

Jetzt gewinnen sie kläglich, eine Partie nach der anderen. "Noch zwei Siege, und wir stehen im Finale", sagte Steven Gerrard trocken; Kollege Ashley Cole drohte vorsorglich bis zum 9. Juli weitere Untaten an: "Von uns aus spielen wir weiter totalen Schrott bis ins Finale"..

"Mut zur Hässlichkeit" lautete nach dem 1:0 die Devise, ausgegeben hatte sie der Kapitän. "Wir haben heute auf unschöne Weise gewonnen", sagte ein bleicher, dehydrierter David Beckham, "aber mir ist das egal. Wir sind weiter." Der zweite Teil der Aussage war korrekt, der erste faktisch falsch.

Gewonnen hatte England durch einen sehr ansehnlichen Freistoßtreffer (60.) des viel geschmähten 31-Jährigen, nur gespielt hatten sie gegen die trägen Südamerikaner in der Tat leider wieder beschämend schlecht. Die chronische Diskrepanz zwischen Leistung und Ertrag interessiert die Kicker jedoch nicht - solange es weiter gut geht.

Bayern Münchens Owen Hargreaves weiß aus Bundesliga-Erfahrung, dass "hinterher keiner fragt, wie du die Spiele gewonnen hast". Schönheit ist vergänglich, Erfolge bleiben. Und überhaupt liegt das Schöne ja sowieso im Auge des Betrachters.

Etwas vorwurfsvoll

"Wir waren bisher nicht in Bestform, aber auch nicht so fürchterlich schlecht, wie wir von euch gemacht wurden", sagte Wayne Rooney, der beste Engländer, etwas vorwurfsvoll zu den Journalisten.

Man hätte ihnen das alles fast abgenommen, wenn am Ende von 90 ziemlich zähen Minuten nicht das unbestimmte Gefühl zurück geblieben wäre, dass der Pragmatismus dieser englischen Mannschaft keinem Kalkül, sondern in erster Linie der eigenen Unfähigkeit geschuldet ist.

"Wir sind nicht unbedingt zufrieden mit dem Fußball, den wir im Moment spielen", gab der abermals unsichere Torwart Paul Robinson denn auch zu.

Wie lange kann eine Mannschaft ihr eigenes kollektives Niveau unterbieten, bevor man sie grundlegend schwächer einschätzen muss? Im vierten Spiel der WM traten die Engländer im gefühlten 27. System an; Sven-Göran Eriksson bastelt an einem 10 000-Teile-Puzzle ohne Vorlage.

Er scheint noch immer nicht mehr zu wissen, als dass einzelne Bereiche ganz gut zusammen passen und andere nicht. Immer wieder schiebt er seine Spieler hin und her.

Beckham quält sich

Sein England hat sich nach 360 Minuten nicht nur noch nicht gefunden - es hat auch keine Vorstellung davon, wie und was es überhaupt sein will. "Das neue 4-1-4-1-System brachte vor allem eines: Ungewissheit über das System", schrieb der Daily Telegraph.

Es fiel ausgerechnet dem unter einem kleinen Hitzschlag leidenden Beckham zu, seine Mannschaft zu erlösen. Beckham quälte sich relativ unauffällig durch die Partie, aber am Ende war er doch der Hauptdarsteller.

Er traf, übergab sich auf den Rasen und blieb nach dem Schlusspfiff als letzter im Stadion, um den Applaus entgegenzunehmen. Das Passionspielchen "Beckham bei Weltmeisterschaften" ist so wieder um ein Kapitel reicher.

"Die Kritik an ihm war gut für uns", sagte Gerrard später etwas zweideutig, "er wollte es heute allen zeigen." Vielleicht sollte man den Kapitän häufiger kritisieren. Zuletzt hatte er vor 15 Monaten getroffen, in Aserbaidschan.

Übel werden konnte einem von diesem Spiel, die Zuschauer von der Insel sehnten sich nach Triumphen vergangener Tage. Man gedachte singend des 5:1-Siegs in München von 2001; nach drei Wochen Dauereinsatz schoss die Royal Air Force im beliebten englischen Fan-Choral wieder "zehn deutsche Bomber" vom Himmel.

Zum Totlachen. Alles verändert sich bei dieser WM, nur der englische Fan bleibt, wie er ist. Das ist auch ein Trost, irgendwie.

© SZ vom 27.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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