Beachvolleyball-EM:Im Schatten der Mütter

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In der Weltspitze: Chantal Laboureur (li.) und Julia Sude. (Foto: Nils Koepke/imago)

Julia Sude und Chantal Laboureur haben sich an die Weltspitze gekämpft - auch weil der Verband inzwischen nicht mehr gegen sie arbeitet.

Von Sebastian Winter, Apeldoorn/München

Julia Sude erzählt die Anekdote von den Kuhglocken mittlerweile ganz gerne. Vor zehn Jahren war sie mal mit ihrem Vater in Gstaad, beim Weltserien-Turnier der Beachvolleyballer, der luxuriöse Luftkurort gilt ja wie Klagenfurt als Mekka dieses Sports. Auf mehr als 1000 Metern Höhe haben die Athleten nicht nur exquisite Betreuung, die Sieger bekommen außerdem goldene Kuhglocken - neben dem Scheck über 40 000 US-Dollar und Punkten. Sude wollte das auch. Und wer ihren Vater Burkhart kennt, Spitzname Mr. Volleyball, der Titel am Fließband sammelte und Anfang der Achtziger mal bei Wetten dass alleine ein komplettes Landesliga-Team bezwang, der kann erahnen, welchen Ehrgeiz seine Tochter hat.

Vor einem Jahr hat sie mit Chantal Laboureur dann in Gstaad gewonnen, die Glocke steht seither im Elternhaus. Am Sonntag erst ist das Duo in Gstaad wieder ins Finale gekommen, wo sie den Weltranglisten-Ersten aus Kanada unterlagen, samt vergebenem Matchball. Sie trösteten sich mit 32 000 Dollar Preisgeld und 1080 Punkten für die Weltrangliste, in der sie nun Dritter sind. Und mit Kuhglocken aus Silber.

Inzwischen sind die Schwäbinnen in den Niederlanden, bei der Europameisterschaft. Sie sind dort an eins gesetzt, das erste Gruppenspiel haben sie am Dienstag verloren und das zweite gewonnen - wie schon in Gstaad. So langsam stellt sich die Frage: Wer sind Chantal Laboureur und Julia Sude? Und wo sind eigentlich die Olympiasiegerinnen Ludwig/Walkenhorst?

Die Frage nach den Golden Girls von Ipanema lässt sich zügig beantworten: Ludwig macht Babypause, am 28. Juni hat sie ihren Sohn Teo Johnston zur Welt gebracht, 55 Zentimeter, 4060 Gramm. Walkenhorst erzählte kürzlich, dass sie Mama werde, weil ihre Frau Maria schwanger sei. Der Vater sei ein anonymer Spender, und Walkenhorst wirkte wie ein kleines Mädchen im viel zu großen Puppenladen: "Wir waren überrascht, was man sich dabei alles aussuchen kann: Nationalität, Größe, Gewicht, Haarfarbe, Augenfarbe."

Das Sportliche läuft nebenher, Walkenhorst spielt ganz passabel deutsche Turniere mit einer Nachwuchshoffnung. Ab Herbst bereitet sie sich mit Ludwig auf die Titelverteidigung bei der Heim-WM 2019 in Hamburg und die Spiele 2020 in Tokio vor. Zunächst wollen sie aber im Gespräch bleiben und interessant für Sponsoren, nun vielleicht auch aus dem Bereich der Säuglingspflege. Ihr Schatten schwebt zugleich über den Deutschen, auch in den Niederlanden. Sude sagt: "Wir sind gerne die Underdogs, und sie haben sich die ganze mediale Aufmerksamkeit hart erarbeitet."

Als Underdogs kann man Laboureur und Sude gewiss nicht mehr bezeichnen, Anfang Juli standen sie erstmals auf Platz eins der Welt. Sude, 30, die größere, leisere, ruhigere Blockerin mit den feinen Zuspielhänden, und Laboureur, 28, die impulsivere, kämpferische, manchmal übertourende Abwehrspielerin, sind aufgewachsen am Bodensee. Wirklich gefunden haben sie sich aber erst vor fünf Jahren im Sand. 2016 verpassten sie hauchdünn Olympia, 2017 wurden sie WM-Fünfte und EM-Dritte. Es ist die Geschichte eines steten Aufstiegs, obwohl ihnen ausgerechnet der Verband Steine in den Weg gelegt hat.

Eigentlich wollte der DVV voriges Jahr seine besten Beacher am neuen Stützpunkt in Hamburg zentralisieren, fast unter Zwang, mit teils herrischem Auftreten und seltsamen Ultimaten. Laboureur/Sude, die am Stützpunkt Süd in Stuttgart trainieren, weigerten sich, andere auch. Bei Karla Borger und Margareta Kozuch, einem weiteren Nationalteam, ging der Streit so weit, dass der DVV ihnen mehrmals internationale Turniere verwehrte. Bei Sude und Laboureur wurde mit anderen Mitteln Druck aufgebaut: Sie bekamen erst vor einem Jahr Nationalkader-Status, was ihnen nun Privilegien wie Reisekostenzuschüsse oder Betreuung durch Physiotherapeuten oder Scouts verschafft. Wenige Tage vor der WM also, obwohl sie längst Weltspitze waren. Borger und Kozuch mussten auf dieses Vorrecht gar bis Jahresende warten.

Immerhin können Laboureur und Sude nun erst einmal in Stuttgart bleiben, samt eigenem Trainer- und Betreuerstab. Auch Borger und Kozuch haben sich durchgesetzt und müssen nicht nach Hamburg. Die beiden Duos arbeiten nun also ähnlich autark wie Ludwig/Walkenhorst, die seit jeher einen eigenen Betreuerstab haben, aber den Vorteil, dass sie ohnehin in Hamburg leben und den zentralen Stützpunkt schon deshalb nutzen. Auch Julius Brink und Jonas Reckermann haben das vor ihrem Olympiasieg 2012 in London so gehandhabt, Jörg Ahmann und Axel Hager vor ihrer Bronzemedaille 2000 in Sydney, die den ersten Beachvolleyball-Boom in Deutschland auslöste, ebenfalls.

Sie alle sind Leuchttürme. Und Beispiele, welche Chancen ein Verband verpassen kann, der sich in Grabenkämpfe verwickelt, anstatt die größten Erfolge seiner Athleten zu nutzen. "Wir haben uns als Sportart aus meiner Sicht sehr geschadet, auch in der Kommunikation", gibt Niclas Hildebrand, seit Dezember DVV-Sportdirektor Beach, unumwunden zu: "Ich will einen Neuanfang. Par ordre du mufti gibt es nicht mehr. Künftig sagt auch keiner mehr: Ihr müsst irgendwohin gehen." Kürzlich ist ohnehin fast der komplette alte DVV-Vorstand wegen eines anderen Konflikts zurückgetreten. Hildebrand, ein ehemaliger Spieler, hat nun eine große Aufgabe: Bei den Männern sind keine Nachfolger für Brink/Reckermann in Sicht, immerhin lässt der Nachwuchs hoffen. Bei den Frauen sind vier Duos unter den Top 15 der Welt, aber es gibt kaum Talente. Julia Sude sagt: "Wir brauchen mehr Nachwuchs, da sieht es momentan ziemlich dünn aus."

In Hamburg sollen nun erst einmal überwiegend Männerteams stationiert werden, die sich noch kein eigenes Betreuerteam leisten können - wie Laboureur und Sude. Sie sind Sportsoldatinnen, haben Sponsoren, zahlen ihren Trainer. Die Unterstützung des DVV kommt hinzu, außerdem nutzen sie den Olympiastützpunkt. "Mittlerweile lohnt es sich", sagt Laboureur. Aber auf Rosen gebettet sind sie nicht. So eine Saison, mit Stationen in China, Russland, Amerika, kostet viel Geld, "mit allem drum und dran liegen wir dort im unteren sechsstelligen Bereich", schätzt Laboureur. Und der Glanz einer Olympiamedaille, mit der Ahmann ein Eigenheim finanzierte, fehlt ihnen noch. Manchmal teilen sie sich ihr Hotelzimmer, um zu sparen.

Holland glänzt nicht so sehr, Kuhglocken gibt es auch nicht, aber der Titel wäre ein weiterer Schritt nach oben. "Wir wollen eine andere Farbe als bei der EM im letzten Jahr", betont Julia Sude. Eine andere als Bronze.

© SZ vom 18.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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