Bayern und Ballack:Eine wunderbare neue Liebe

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Ulli Hoeneß und der FC Bayern fassen Vertrauen zu Michael Ballack: "Ich spüre das an Gesten und Verhaltensformen. Ich sehe das in der Kabine und ich höre das, wie er mit der Mannschaft spricht. Das ist ehrlich gemeint."

Von Philipp Selldorf

Während die ganze Fußballwelt noch darüber rätselt, ob sich heute Abend der FC Liverpool oder der FC Chelsea für das Finale der Champions League qualifizieren, hat sich Uli Hoeneß schon eine unerschütterliche Meinung gebildet, die er ungefragt als Vorsehung formuliert.

Das Verhältnis zwischen Ballack und Vereinskollegen ist bestens... (Foto: Foto: Reuters)

"Chelsea fliegt raus. Da bin ich todsicher", sagt der Manager des FC Bayern, und wer da eine gewisse Bitterkeit heraushört, der liegt nicht falsch.

Mit dem prophezeiten Ausgang des Halbfinales im Europacup beginnt Hoeneß eine Argumentation, die bei den Kritikern des FC Bayern endet. "Wenn Liverpool im Finale steht, dann ist der Tabellenfünfte aus England im Endspiel", sagt er und schlussfolgert: "Wir waren mit dem Ersten (Chelsea) ebenbürtig, haben den Zweiten (FC Arsenal) geschlagen - aber sollen einen Stürmer für 50 Millionen holen? Das ist doch absurd."

Dieser Tage, da der Klub die Vorbereitungen für die 19. Titelfeier trifft, sieht sich der Manager wieder besonders gefordert, die Münchner Hauspolitik zu verteidigen. Als "brutal wie niemals vorher" empfindet er das Fußballgeschäft und dessen Debatten, "die sich nur noch am Ergebnis orientieren".

Hoeneß sieht sich von verschiedener Seite den Forderungen ausgesetzt, den Verein durch große Investitionen an der Transferbörse auf das Wettbewerbsniveau von Chelsea, Mailand, Turin und Madrid zu heben.

Die Diskussion ist eigentlich nicht neu, schon vor fünf, sechs Jahren meinten interessierte Kreise, dass die Bundesliga dringend einen Beckham bräuchte, und dass solche Zelebritäten vor allem beim FC Bayern München gut aufgehoben wären.

Aber auch diesmal verweigert sich der FC Bayern standhaft. Der Verein hat nicht vor, der Meistermannschaft eine teure Berühmtheit hinzuzufügen, um sich vor der Konkurrenz und dem Publikum zu profilieren.

"Unsere Chance ist, jeden Spieler an die Leistungsgrenze zu führen. Dafür war unser Titelgewinn sehr wichtig, weil er dem Trainer und der Mannschaft Sicherheit gibt", sagt Uli Hoeneß. "Jetzt geht es um die Feinarbeit. Hier und da muss man ein wenig justieren. Wie bei einer Uhr."

Dem Manager fallen dabei auf Anhieb etliche Namen ein. "Deisler, Santa Cruz, Guerrero, Demichelis, auch Lúcio - zumindest, was sein Offensivspiel angeht." Auch auf Zé Roberto setzen die Bayern noch.

Vor einigen Wochen hatte man zwar im Geiste schon Adieu gesagt, nun aber ist Hoeneß überzeugt, dass der Brasilianer noch ein Jahr bleiben möchte.

Andere haben ihre Zukunft bei Bayern hinter sich: Sammy Kuffour, ein Opfer der neuen Zeiten, kann aus drei Auslandsangeboten wählen; Robert Kovac hat ein neues Ziel gefasst; Thomas Linke und Alexander Zickler werden mit dem österreichischen FC Neureich Austria Salzburg in Verbindung gebracht; Vahid Hashemian und Tobias Rau suchen eine neue Bleibe in der Bundesliga. Der nächste Kader formiert sich im Stillen.

Um wenigstens einen Einkauf werden die Münchner allerdings nicht herumkommen. Da eine ganze Armada von Innenverteidigern aus unterschiedlichen Gründen den Verein verlässt fahnden die Bayern nach einem Spezialisten für das Abwehrzentrum.

Falls sie den richtigen Mann ausfindig gemacht haben ("eher im Ausland als in der Bundesliga"), wollen sie auch nicht geizig sein. "Da gehen wir keine Kompromisse ein, der Schuss muss sitzen", sagt Hoeneß, der hofft, dass er in wenigen Wochen Gewissheit über die Neuerwerbung hat. Das Versprechen kann er im Übrigen relativ sorglos geben, denn die Bayern haben gemäß dem jüngsten, vom Manager bekannt gemachten Kontoauszug 127 Millionen Euro in ihrem Geldspeicher.

So geht die Klubführung am Ende der auslaufenden Saison relativ gelassen die Vorbereitung für das nächste Spieljahr an, zumal da sich eine besonders prominente Personalie anders entwickelt als erwartet.

Vor einem Jahr noch hätten die Bayern ihren Mittelfeldstrategen Michael Ballack nach wochenlanger öffentlich ausgetragener Fehde liebend gern an den Meistbietenden verkauft, doch gibt es einen Sinneswandel.

"Wenn Barcelona die 20 Millionen geboten hätte, die wir haben wollten, dann hätten wir's gemacht. Gott sei Dank - aus heutiger Sicht - haben sie's nicht getan. Es wäre falsch von uns gewesen", sagt Hoeneß, der lange Zeit zu Ballacks führenden Kritikern zählte. Jetzt sagt er: "Das Verhältnis hat sich sehr entspannt, ich habe das so nicht erwartet."

Brüderlich lagen sich Manager und Spielmacher am Samstag in den Armen, "sein eruptives Jubeln hat mich überrascht", sagt der Manager durchaus gerührt. "Mehr Gefühl und Liebe zum Verein" erkennt er auf einmal bei Ballack, "ich spüre das an Gesten und Verhaltensformen. Ich sehe das in der Kabine und ich höre das, wie er mit der Mannschaft spricht. Das ist ehrlich gemeint."

Ob die wunderbare neue Liebe auch hält, wenn die beiden Parteien im Laufe der nächsten Saison, vermutlich im Herbst, in Verhandlungen über einen neuen Vertrag eintreten?

"Vor einem Jahr hätte er gesagt: 'Ihr könnt mich mal'...", weiß Hoeneß. Und jetzt? Es gab neulich ein Gespräch mit Ballacks Berater Michael Becker. "Aber das waren keine Verhandlungen, nur ein Abtasten und Versichern der gegenseitigen Hochachtung."

Ein vorzeitiger Verkauf, um zu verhindern, dass Ballack 2006 ablösefrei davonzieht, steht jedenfalls nicht mehr zur Debatte.

© SZ vom 3.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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