Bayern München gegen Chelsea:Zu spät am zweiten Ball

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Nach der 2:4-Niederlage in London wird bei den Bayern nun analysiert, woran es fehlte. Denn noch ist ja nicht aller Tage Abend.

Von Philipp Selldorf

Von den mehr als 40.000 Menschen, die an der Stamford Bridge zuschauten, hatten Felix Magath, Seppo Eichkorn und Uli Hoeneß die schlechtesten Plätze. Eingepfercht saßen sie in einer Grube gleich auf der Höhe der Grashalme. Eine Position, die erschreckende, entstellende Eindrücke verursacht. "Man hat keinen Blick mehr für das Räumliche", sagt Eichkorn, "du denkst: Oh Gott, der Ball ist drin, und dann geht er zehn Meter vorbei."

Manager Hoeneß kam es vor, als ob Chelsea "überhaupt nichts gebracht" habe während der ersten Stunde, "das Spiel ist so dahingeplätschert", und auch Cheftrainer Magath gelangte zu eigentümlichen Deutungen, etwa dass der Schiedsrichter Rene Temmink "bei den Zweikämpfen in der Luft fast immer gegen Robert Kovac entschieden hat, und Robert gar nicht mehr wusste, was er machen soll und was er machen kann".

Teil eins der Trainer-Ansicht fand im Bayern-Tross keine Bestätigung, nicht mal bei Kovac, der sich wunderte, dass überhaupt über den Spielleiter gesprochen wurde ("Am Schiri lag's sicherlich nicht").

Magath stellte das Thema jedoch in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, noch lange nach Mitternacht erläuterte er die tieferen Gründe für die Trefferflut mit einer Demichelis- und einer Temmink-These: "Wir haben vier Tore kassiert, weil wir in der Luft kein Mittel gefunden haben, Drogba in den Griff zu kriegen, bedingt dadurch, dass Demichelis gefehlt hat, und durch die Art, wie der Schiedsrichter die Partie geleitet hat."

Kurz vor den Tränen

Wahr war auf jeden Fall, dass Kovac nicht mehr wusste, was er tun sollte. Das lag allerdings an der persönlichen Disposition des Verteidigers, der einräumte: "War unglücklich heute, muss man sagen." Als Kovac vom Platz ging, wirkte es, als stünde er kurz vor dem Tränenausbruch, denn er hatte miserabel gespielt.

Kovac war zwar empfänglich für die Aufmunterungen von Uli Hoeneß ("Ist noch nix verloren, in München schaffen wir das noch"), ansonsten hatte er sich jedoch längst in sein Einzelschicksal gefügt: "Man hat immer mal einen schlechten Tag -- und heute war's einer."

Das war schon deshalb fatal, weil Kovac' Gegner, der urgewaltige Mittelstürmer Didier Drogba, einer von Chelseas Schlüsselspielern war. "Sie haben einen Mann vorne drin, der ist 1,90 Meter, 95 Kilo, der hat uns Probleme gemacht, und dann waren sie meistens schneller am zweiten Ball", sagte Owen Hargreaves.

"Typisch britisch"

Für den zweiten Ball brauchten die Bayern kein zweites Gesicht, sondern einen funktionierenden Abschirmdienst vor der Abwehrreihe. Aber Chelseas Angreifer waren stets schneller, weshalb der zweite Ball meistens zu ihrer Beute und zum entscheidenden Teil ihres Schemas wurde: weiter Pass durch die Mitte auf Drogba, zugleich stürmen Cole, Duff und Lampard heran.

"Das war ja typisch britisch heute", meinte Kovac, "sie spielen lange Bälle und rücken nach. Darauf waren wir eingestellt." Aber wie? Magath hatte zwei Mann ins defensive Mittelfeld beordert, Hargreaves und Torsten Frings. "Aber wenn man zwei vor der Abwehr hat, dann verlässt sich der eine auf den anderen", philosophierte Kovac.

Weil weder Frings noch Hargreaves verlässlich zur Stelle waren und somit eine tiefe Lücke in der Deckung herrschte, landeten sowohl die von den Innenverteidigern mühsam abgewehrten Vorstöße wie Drogbas gezielte Vorlagen ständig beim blitzartig heransausenden Gegner.

"Da müssen wir einfach besser stehen", rügte Michael Ballack, der das Geschehen meistens aus der Distanz verfolgte, "gerade die abgewehrten Bälle: beim 1:0 und 2:1 stehen die Spieler einfach frei, das darf nicht passieren". Genauso argumentierte Außenverteidiger Willy Sagnol, dessen Wertschätzung für Demichelis ("Heute hat man gesehen, wie wichtig er ist") kein Kompliment für Hargreaves und noch weniger für Frings bedeutete.

Auch Magath hat sich gewundert, "dass keiner von uns da ist, wenn der Ball über 50, 60 Meter gespielt und abgewehrt wird". Taktisch reagiert hat er nicht auf die bis zum Schluss akute Gefahr. Vielleicht hat er seinem Blickwinkel nicht trauen wollen.

© SZ vom 08.042005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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