Bayern München:Die übliche Lebensversicherung

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Als sich alle schon auf die Verlängerung eingestellt hatten, schlug Roy Makaay erbarmungslos zu: Dank eines Treffers des Holländers in der Schlussminute siegt der FC Bayern beim Regionalligisten Osnabrück.

Von Ralf Wiegand

Roy Makaay, wieder einmal Roy Makaay: Der Holländer wird mehr und mehr zu einer Art Lebensversicherung für den FC Bayern. Zum dritten Mal nach Tel Aviv und Dortmund hat er der Mittelstürmer ein spielt entscheidendes Tor für die Münchner geschossen, zum dritten Mal ein spätes. In Osnabrück standen am Dienstagabend längst alle Zeichen auf Verlängerung, als Makaay einen haarsträubenden Fehler des Drittligisten VfL nutzte, den Torwart ausspielte und den Ball zum 3:2 (1:1) für die Bayern über die Linie schob. Champions League, Bundesliga, DFB-Pokal: Wo wären die Bayern bloß ohne Roy Makaay?

Es war ein emotionaler, kämpferischer, rundum wundervoller Fußballabend im Norden. Es wimmelt ja von verstaubten Mythen in dieser Regionalliga Nord, den FC Bayern München hätte es überall erwischen können. Beim FC St.Pauli, der Kultadresse des deutschen Fußballs schlechthin, bei Eintracht Braunschweig, das einmal Deutscher Meister war, oder bei der ewig sehnsüchtigen Düsseldorfer Fortuna.

Das Los aber hat sie an die Bremer Brücke verschlagen, in ein Stadion wie ein Hammerschlag, eng und englisch und überfüllt an diesem Abend. Der VfL schwelgte, wie sich das für einen Traditionsklub gehört, der mehr Vergangenheit als Zukunft hat, gerührt in alten Zeiten. 23. September 1978, fast auf den Tag genau vor 26 Jahren, hatten sie den FC Bayern in dessen eigenem Stadion 5:4 besiegt, es war, wie gestern Abend, die zweite Runde im Pokal. Geschichte wiederholt sich nicht?

Überragender Pizarro

Für die Bayern hatte diese Partie beim Dreizehnten der Dritten Liga große Bedeutung. Nicht nur, weil die Zeiten auch für den Liga-Krösus härter geworden sind und Pfennigfuchser Uli Hoeneß dem Wettbewerb inzwischen das Prädikat "lukrativ" verleiht. Sondern vor allem, weil die Münchner nach sportlicher Stabilität suchen und dafür Erfolge brauchen, auch kleinste Schritte wie beim 2:2 zuletzt in Dortmund sind da manchmal riesig. "Seriös" würden seine Profis die Partie gegen Osnabrück angehen, er erwartete daher "keine Probleme".

Es wurden große Probleme, unerwartet große Probleme nach einem starken Beginn der Münchner, die eine Viertelstunde lang jene zweieinhalb Spielklassen besser waren, die zwischen ihnen und dem Gegner tatsächlich liegen. Claudio Pizarro und Makaay fegten wie die Starkwindböen des Nordseetiefs Queen durch die Abwehr des VfL, die sich offenbar Körperlosigkeit vorgenommen hatte. Folglich stand es nach fünf Minuten 1:0 für die Bayern, Pizarro hatten mit seinem offenbar restlos reparierten Kopf getroffen nach einer präzisen Flanke des überall hin ausweichenden Makaay.

Sieben Spieler fehlten den Münchnern krankheitsbedingt, mit Ballack und Kahn seien nur die wichtigsten genannt, Deisler kam erst spät ins Spiel. Aber eine Rolle darf das nicht wirklich spielen, und erstaunlich bleibt es allemal, wie ein international beschlagenes Team derart den Faden verlieren kann wie die Bayern schon sehr früh im Spiel. Weil VfL-Kapitän Joseph Enochs den Ball an diesem Dienstagabend traf, wie einem das sonst nur sonntags gelingt, der Ball also in den Winkel flatterte zum 1:1 in der 19.Minute, war plötzlich alles anders.

Das Selbstvertrauen der Münchner, zu dem der Last Minute-Punkt von Dortmund angeblich geführt haben sollte, war Vergangenheit, fortan begegneten sich Champions-League-Teilnehmer und Zweitliga-Absteiger auf Augenhöhe. Die Bremer Brücke bebte - was wörtlich zu nehmen ist -, als Reichenberger die Klasse von Kahn-Ersatz Rensing einer Überprüfung per Vollspannschuss unterzog (26.).

Die Bayern? Solisten, allesamt. Allein hinter den Rochaden von Makaay und Pizarro schien System zu stecken, die beiden hatten jederzeit ein Auge aufeinander, wo die anderen den Blick stur nach vorne richteten. Salihamidzic mit seinen Frontaldribblings in den nächsten Mann; Schweinsteiger mit Vollgas-Soli ins Toraus; Lúcio mit der Urgewalt des in ihm innewohnenden Tieres.

Es kam, wie es kommen musste. Die Bayern senkten sich spielerisch und hoben sich kämpferisch aufs Niveau des Drittligisten, nach der Pause war jeglicher Unterschied verwischt. Die Münchner konnten aus nichts Kapital schlagen, nicht aus den durchgängig gruseligen Abschlägen des VfL-Torwarts Tino Bernig und nicht aus den Standradsituationen, die ihnen vor allem ihr Bester, Claudio Pizarro, immer wieder verschaffte.

Renzing überzeugt

Stattdessen nutzten die Osnabrücker die erste Gelegenheit der zweiten Halbzeit, einen Konter nahe liegender Weise, zur Führung: Thomas Reichenberger traf, ein früherer Schüler von Bayern-Trainer Magath zu dessen Frankfurter Zeit. "Er ist mit seiner Abgezocktheit einer der Spieler, die über sich hinaus wachsen könnten", hatte VfL-Trainer Claus-Dieter Wollitz zuvor gehofft.

Über sich hinaus wuchsen alle Osnabrücker, die kluge Konter gegen wütende Bayern setzten. Einen hätte Alexander Nouri verwandeln müssen, doch den 20-jährige Rensing hält Felix Magath offenbar nicht grundlos für den besten Keeper seiner Altersklasse. Im Gegenzug traf Pizarro zum zweiten Mal, was das Spiel endgültig in den Rang eines Pokalklassikers erhob. Man wird sich in Osnabrück daran erinnern, auch in 26 Jahren noch.

© Süddeutsche Zeitung vom 22.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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