Bayern München:Auf der Suche nach der Fröhlichkeit

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Trotz des 4:1-Sieges gegen den 1. FC Kaiserslautern herrscht beim FC Bayern trübe Stimmung.

Von Philipp Selldorf

Es hat nach dem Spiel eine Weile gedauert, bis Ottmar Hitzfeld wieder ein fröhliches Gesicht machen konnte. Was ihn dann lächeln ließ, hatte allerdings nichts mit der Partie seines FC Bayern gegen den 1. FC Kaiserslautern zu tun. Hitzfeld sprach über Verteidiger Samuel Kuffour, der in der Nacht zuvor Vater geworden war. "Sammy junior ist geboren worden!", gab der Trainer feierlich bekannt.

"Auf dem Niveau von Zidane": Sebastian Deisler (Foto: Foto: dpa)

Ansonsten aber brachte Hitzfeld lauter Klagen vor. Auf seinem Podium hielt er mit strenger Miene Gericht, als ob die ganze Klasse durch das Examen gerasselt wäre: "Zu viele Ballverluste", monierte er; "zu nervös und ängstlich agiert", kritisierte er, und lokalisierte die Gründe des Problems "in den Köpfen der Spieler".

Tags darauf gelangte Hitzfeld sogar zu der Bewertung, Teile der Vorstellung seien "nicht bayern-würdig" gewesen. Der Trainer hört, da in diesen hektischen Herbsttagen das Tempo in allen Wettbewerben beschleunigt wird, "die Alarmglocken läuten".

Nach einem von 58 000 Zuschauern bejubelten 4:1-Sieg mögen so viele Einwände ziemlich übertrieben klingen, aber Hitzfeld hatte gute Gründe zum kollektiven Tadel, denn das Resultat beruhte auf glücklichen Umständen. Das Spiel der Bayern hatte herrliche Momente, vor allem dann, wenn Sebastian Deisler am Ball war.

Aber in die Phantasie und Spielfreude mischten sich so viel Lässigkeit und Sorglosigkeit, dass Oliver Kahn in der zweiten Halbzeit Akkordarbeit leisten musste wie beim Training mit Sepp Maier. "Wir müssen viel, viel mehr Disziplin zeigen", rügte folgerichtig der Torwart, und auch Angreifer Roy Makaay fand Grund, sich zu wundern: Über seine beiden Kopfbaltore - Raritäten in seiner Treffersammlung - und über den riskanten Spannungsabfall im Team.

"So viele Chancen wie Kaiserslautern", schloss sich Thomas Linke an, "hatte sicherlich selten eine Mannschaft hier." Kaiserslauterns Coach Erik Gerets zeterte deshalb, dass es zischte: "Fünf Chancen bekommst du, fünf Stück! - und machst ein Tor. Lächerlich!"

Warum so bescheiden? Es waren viel mehr als nur fünf Chancen, und für jeden Profi aus der Pfalz war etwas dabei: Für Mettomo, dessen Versuch am Pfosten endete; für Anfang, der aus 18 Metern 20 Meter drüberschoss; für Kosowski, der sich bis an den Fünf-Meter-Raum vorbildlich freigedribbelt hatte - und Kahn dann den Ball in die Arme legte als wäre es Sammy junior; für Grammozis (knapp vorbei), für Altintop (aufs Tornetz), und vor allem für Klose, der weder per Kopf, per Aufsetzer noch per Elfmeter traf, dafür aber zum nutzlosen 1:3.

"Ein 4:4 wäre möglich gewesen, wir hätten auch gewinnen können", stellte René Jäggi kurz nach dem Abpfiff fest. Nur war er keineswegs stolz darauf. Gefragt, was er nach 54 Sekunden Spielzeit empfunden habe, antwortete Kaiserslauterns Präsident ohne Zögern: "Ich habe gedacht: Das ist die Wiederholung von einigen anderen Spielen. Vorher wird viel gebabbelt, ist taktisch viel bla, bla - und dann ist nach einer Minute wieder alles dahin. Die sind mental einfach nicht stark genug."

Angenehm war es, unter all den mäkelnden Akteuren, schimpfenden Trainern und unzufriedenen Vorstandsleuten (Uli Hoeneß hatte schweigend das Weite gesucht), einen fröhlichen Menschen zu finden, und dass der nun ausgerechnet Sebastian Deisler hieß, hatte obendrein einen gewissen Neuigkeitswert.

Zwar hatte Deisler schon öfter nach Einsätzen für die Bayern mitgeteilt, er sei überglücklich, wieder auf dem Fußballplatz zu stehen. Aber seine Einsätze blieben halt eher sporadischer Natur und seinen Einlassungen fehlte die Überzeugungskraft. Sie wirkten aufgesetzt.

Nicht allein die Münchner Presse hatte daher in Frage gestellt, ob Deisler beim FC Bayern seine vielversprechend begonnene Karriere erwartungsgemäß steigern würde.

Kritische Anmerkungen kamen auch aus dem Präsidium des Klubs, und sie waren nicht nur Ausdruck von Ungeduld. Als Zweifel durfte man sie deuten, ob die viele Millionen Euro teure Transaktion sich jemals rentieren werde. Deisler hat das alles registriert, von Revanche möchte er jedoch nicht sprechen: "Klar, viele haben mich abgeschrieben nach so einer Verletzung. Aber ich möchte nicht allen beweisen, dass ich es kann - ich möchte es mir selber beweisen. Ich arbeite nicht gegen jemand, sondern um der Mannschaft zu helfen."

Von Deislers fußballerischen Qualitäten hat im ganzen Bayern-Ensemble keiner mehr geschwärmt als dessen erster Konkurrent - und der Begriff des Konkurrenten ist leider unvermeidlich, denn Deisler spielt nun mal auf dem Posten, den all die Jahre Mehmet Scholl bedient hat.

"Auf dem Niveau von Zinedine Zidane" hat Mehmet Scholl seinen Kollegen eingeordnet, und wollte dies weniger als Verteidigung denn als Prophezeiung verstanden wissen. Die beiden haben mehr gemeinsam als die Vorliebe, von der rechten Seite nach innen zu stürmen.

Als Deisler ein dynamisches Solo mit seinem zweiten Treffer abschloss (69.), lief sich Scholl als Einwechselspieler warm. Zum Einsatz hat es nicht mehr gelangt und dass er im Team nicht mehr zu den ersten Elf zählt, weiß er längst.

Doch wasfür Deisler galt, gilt immer noch für Scholl, sagt zumindest Oliver Kahn: "Ich würde den Mehmet nicht abschreiben. Niemals." Die Saison hält noch viele Wendungen bereit, wie das Leben für Sammy junior: Der übrigens sieht laut Sammy Senior schon jetzt aus "wie Zidane in seinen besten Tagen".

© SZ vom 27.20.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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