Bayern gewinnen Spitzenspiel:Zurück in die Zukunft

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Beim ernüchternd gewöhnlichen Aufeinandertreffen mit Werder Bremen findet der FC Bayern zu den gewohnten archaischen Verhaltensmustern zurück - und legt den sportlichen Fahrplan bis Weihnachten fest.

Von Ralf Wiegand

Weil es in Bremen keine Teebeutel gab, aus denen Felix Magath wie gewohnt die Erkenntnis des Spiels hätte pressen können, nahm sich der Trainer des FC Bayern den Statistikbogen vor. Er faltete das riesige Din-A-3-Papier, auf dem Zweikampfwerte, Ballbesitz und Torschüsse beider Teams notiert waren, einmal in der Mitte, falzte sorgfältig den Knick, faltete noch einmal und rollte das Papier schließlich zu einer kleinen Röhre zusammen. Als er fertig war, sagte Magath seelenruhig: "Wir haben glücklich, aber verdient gewonnen."

Makaay, Hargreaves und Deisler bejubeln den Siege über Bremen. (Foto: Foto: Reuters)

Tatsächlich, so war es. Auf dem Zettel, an dem Magath die Kunst des Origami geübt hatte, standen die passenden Daten: Werder Bremen hatte 55 Prozent Ballbesitz gehabt, 51 Prozent der Zweikämpfe gewonnen, doppelt so oft aufs Tor geschossen - aber mit 1:2 gegen den FC Bayern verloren. Der wies nur in einer statistischen Unterabteilung einen höheren Wert auf als der Gegner: 15 Fouls der Bremer standen gleich 30 der Bayern gegenüber. Daran mag man erkennen, wie die Münchner zu ihrem ersten Sieg im Weserstadion seit fünf Jahren gekommen waren - über den Kampf.

Wie ein Fünf-Sterne-Koch im Bahnhofsrestaurant

Ernüchternd gewöhnlich war das Aufeinandertreffen des amtierenden Deutschen Meisters aus dem Norden gegen den All Time Champion aus dem Süden, die beide unter der Woche noch ihre Heimstätten derart vibrieren ließen, dass Seismographen beinahe kleine Erdbeben angezeigt hätten.

Die Münchner hatten, wie ihr Manager Uli Hoeneß im noch nicht ganz abgeebbten Überschwang der Gefühle am Samstag wiederholte, "mit dem 4:0 gegen Amsterdam ganz Deutschland restlos zufrieden gestellt", während Werder mit einer furiosen Aufholjagd den Skalp des spanischen Spitzenklubs FC Valencia in seine Trophäensammlung einreihte. Im Bundesliga-Alltag schrumpften beide wieder auf Normalmaß, die einen (Bayern) etwas weniger, die anderen (Werder) etwas mehr.

Sportlich lässt sich das Geschehen leicht erklären. Die Münchner dominierten im Mittelfeld, das Felix Magath gezwungenermaßen um einen Mann (Deisler) verstärkt hatte, weil Pizarro kurzfristig ausgefallen war. Dadurch wurde Hargreaves frei, um sich Micoud auf die Füße zu stellen.

Makaay spielt U-Boot

Der Bremer Vordenker ergab sich der Situation schnell so lustlos wie ein Fünf-Sterne-Koch im Bahnhofsrestaurant. Überhaupt wirkte die Bremer Zentrale seltsam gelähmt: Ernst etwa war gedanklich so flink wie ein deutscher Schüler beim PISA-Test, und Borowski schien ermattet wie am Morgen nach dem Rausch.

Dagegen flog Bayerns Ballack ein paar Mal energisch wie Ikarus durch den Bremer Strafraum, wobei er allerdings Betonflügel angeschnallt hatte. Werders Abwehrspieler Fahrenhorst brach er mit dem Ellbogen schon nach zwei Minuten die Nase, und seinen Gegenspieler Klose hinderte Ballacks wuchtiger Armeinsatz vor dem 0:1 (20. Minute) an adäquater Gegenwehr. Das unkontrollierte Flugobjekt Ballack plädierte in beiden Fällen erwartungsgemäß auf Freispruch: "Keine Absicht" bzw. "kein Foul".

Die Bremer sahen das natürlich anders, weswegen ihr Trainer Thomas Schaaf mehr Konsequenz von den Schiedsrichtern einklagte: "Der eine pfeift das so, der andere so. Wenn, dann musst du konsequent deinen Weg gehen." Womöglich wäre das aber auch eine Aufgabe für die Trainer, ihren Spielern den Schutz der Gesundheit des Gegners nahezulegen. Erstaunlich ist zumindest schon, dass Ballack bei einer "normalen Ausholbewegung" soviel Energie freisetzt, dass dadurch Knochen brechen. Was passiert erst, wenn er den Ellbogen mal bewusst einsetzt?

Dennoch, die Bayern haben endlich wieder zu jenem unersättlichen Pragmatismus zurückgefunden, der sie seit über 30 Jahren an der Spitze der Liga hält. "Es geht nicht darum, alle drei Tage die optimale Leistung zu bringen", sagte der nun offenbar vollkommen vom Bayern-Virus befallene Trainer Magath, "das ist ein Fehlschluss. Wichtig ist, dass es am Schluss zum Sieg reicht."

Es reichte, trotz Kloses sechstem Saisontor zum 1:2 (81.), auch weil Samuel Kuffour eine überragende Partie in der Abwehr spielte und obwohl Roy Makaay diesmal U-Boot spielte, ohne aufzutauchen. Magath jedenfalls ist in seinem Anspruch vom schönen Offensivfußball bereits nach drei Monaten in München erschreckend flexibel geworden.

Richter in eigener Sache

Die anfangs vom neuen Trainer irritierten, weil seit Generationen aufs Ergebnis fixierten Spieler finden gleichsam in gewohnt archaische Verhaltensmuster zurück, die ihren natürlichen Anspruch auf die Alpha-Rolle belegen sollen: Zurück in die Zukunft. Oliver Kahn nahm sich nach einem Luftduell mit Klose den Bremer im guten, alten Straßenköter-Stil zu Brust: Noch mal so was, deutete Kahn dem Nationalmannschaftskollegen an und fuchtelte ihm mit seinen Pranken im Gesicht herum, und du lernst mich kennen.

Sogar der schwache Schiedsrichter Fandel stand dem Schauspiel staunend gegenüber und ließ den Bayern-Keeper zwölf Sekunden mit dem Ball unterm Arm gewähren, obwohl das Spiel gar nicht unterbrochen war. Ein Foul Kloses hatte nur Kahn selbst bemerkt, präziser "einen Schlag in die Niere", was Klose bestritt. "Dann müssen da wohl höhere Mächte gewirkt haben", spottete Kahn, der sich nicht das erste Mal zum Richter in eigener Sache aufschwang. "So etwas gehört nicht auf den Fußballplatz", rügte Werder-Coach Schaaf.

Kahns kleine Explosion immerhin deutete an, dass die Bayern wieder zu ihrem alten Mir-san-Mir-Gehabe zurückgefunden haben, das sie so Furcht einflößend macht. "Der FC Bayern in dieser Form gehört an die Spitze", drohte Hoeneß wie frisch verliebt in diese bissigen Burschen und formulierte fröhlich einen knallharten Befehl: "Jetzt müssen wir noch Wolfsburg und Stuttgart wegräumen - das sind die Aufgaben bis Weihnachten." Na dann: Frohes Fest!

© Süddeutsche Zeitung vom 4.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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