Bayer Leverkusen:"Wir wollten nicht wochenlang rumeiern

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Bayer Leverkusen trennt sich von Trainer Klaus Augenthaler und versucht vorerst sein Glück mit Rudi Völler.

Christoph Biermann

Leverkusen - Nach der 2:5-Niederlage gegen Bayern München hatte Wolfgang Holzhäuser auf Behauptungen, dass Klaus Augenthaler als Trainer von Bayer Leverkusen zur Disposition stünde, noch mit einem amüsierten Lächeln reagiert. "Nein, nein", wiegelte er ab, "bei uns gibt es keinen Aktionismus", und irgendwie hat der Geschäftsführer damit sogar recht behalten, obwohl der Verein nur drei Wochen später - nämlich gestern - tatsächlich entschieden hat, Augenthaler zu entlassen.

Kurzentschlossen, aber fest entschieden hat die Bayer-Führung reagiert, nachdem der Trainer mit dem 0:1 im Uefa-Cup gegen ZSKA Sofia eine weitere Niederlage verantworten musste. "Wir wollten nicht wochenlang rumeiern und Halbwahrheiten sagen. Wir hatten das Gefühl, dass es keinen Zweck mehr hat und dass wir es nur vor uns her schieben. Irgendwann wäre es passiert, da muss man nicht um den heißen Brei rumreden", meinte Sportchef Rudi Völler, der vorübergehend die Aufgaben des Trainers mitübernimmt.

Wie lange die Zwischenlösung währen soll, ist noch nicht abzusehen. "Ich sehe mich im Moment als jemand, der in schwieriger Situation einspringt", sagte Völler, "ich werde es aber mit aller Freude, Macht und Zuversicht machen."

Nach ein, zwei Spielen soll aufs Neue überlegt werden, Völlers Wille scheint begrenzt zu sein: "Ich sehe mich schon mehr am Schreibtisch als auf dem grünen Rasen." Zumal da er sein letztes Engagement, vor einem Jahr beim AS Rom, bereits nach 25 Tagen durch Rücktritt beendete. Beste Aussichten auf Augenthalers Nachfolge werden Matthias Sammer nachgesagt. Schon vor dem Saisonstart galt er als Holzhäusers Favorit.

Favorit Matthias Sammer

Atmosphärische Störungen im Verhältnis der handelnden Personen waren am Donnerstag nach dem Spiel gegen Sofia offen zutage getreten, als der Trainer über den Transfer des Spielers Athirson räsonierte.

Den Zuhörern kam es vor, als wolle er sich beschweren, dass man ihm statt eines Elektrikers einen Klempner geschickt habe: Augenthaler hatte vor der Saison einen Linksverteidiger bestellt, nachdem der Vertrag des Argentiniers Diego Placente nicht verlängert worden war. Die Scoutingabteilung, seit Jahren umtriebig in Südamerika, präsentierte ihm den Brasilianer Athirson. "Sie haben ihn fünf- oder sechsmal beobachtet", sagte Augenthaler, "und es hieß immer, dass er linker Verteidiger ist."

Man mag das kaum glauben, wenn man den 28-Jährigen sieht, der immerhin fünfmal in der Nationalelf eingesetzt wurde. So ansehnlich Athirson nach vorne gelegentlich auftritt - verteidigen ist seine Welt nicht. Athirson ist also Klempner und kein Elektriker. Andererseits bedurfte es keiner Spezialausbildung, um den Fehler zu vermeiden, der Bayer gegen den bulgarischen Meister in Rückstand brachte.

"Ich weiß doch mit sechs Jahren schon, wie der Ball springt", stöhnte Augenthaler. Athirson verschätzte sich grob, unterlief einen Querpass von Bernd Schneider und servierte Todorov eine Torchance, die keine sein durfte. Todorov nutzte sie trotzdem.

Augenthalers Schmähungen kamen bei den Verantwortlichen nicht gut an. "Ich würde lügen, wenn ich sage, seine Aussagen haben mich positiv gestimmt", sagte Holzhäuser, der betonte, dass alle Transfers mit Augenthaler abgestimmt worden seien. Doch brüskierte der Trainer nicht nur die Späher des Klubs und ihre Vorgesetzten.

Er hob auch zu einer Grundsatzreflexion über die Möglichkeiten seines Teams an. Dabei erinnerte er an seinen Entschluss, "den Weg des Vereins beziehungsweise den des Werks mitgehen zu wollen". Er sei also bereit gewesen, mit jungen Spielern zu arbeiten, die sich noch entwickeln müssen, und auf etablierte, teure Profis zu verzichten.

Doch nicht nur bei Athirson wird offensichtlich, dass der Weg holpriger ist als erhofft. "Wir müssen zu viel Aufwand betreiben, um zu Torchancen zu kommen", sagte der Trainer, denn genau das war gegen Sofia das Problem. Von Schludrigkeit (ein anderes beliebtes Thema in Leverkusen) konnte diesmal keine Rede sein. Zumindest in der zweiten Halbzeit des unter peitschendem Regen bestrittenen Spiels stürzte sich Bayer fast blindwütig auf den geschickt verteidigenden Gegner. Nur Torchancen gab es trotz drückender Überlegenheit wenige.

Angst vor dem Mittelmaß

"Einer wie Robson Ponte fehlt", sagte Augenthaler. Doch der Vertrag mit dem dribbelstarken brasilianischen Mittelfeldspieler war aus Kostengründen nicht verlängert worden. In Anbetracht der Personallage (Krzynowek, Freier, Callsen-Bracker und Nowotny sind verletzt; beim Bundesliga-Spiel am Sonntag in Duisburg fehlen die gesperrten Roque Junior und Babic) relativierte Augenthaler das Saisonziel.

Als zu Beginn der Saison von einem Platz unter den ersten Drei gesprochen wurde, "bin ich davon ausgegangen, dass personell alles passt", schränkte der Trainer nun ein.

Doch das solchermaßen angedrohte Mittelmaß wird im Klub, der sich seit fast zehn Jahren nur zwischen den Extremen bewegt hat, besonders gefürchtet. Zumal da ein frühes Aus im Uefa-Cup auch die Position der Fußball-GmbH als werbetreibende Tochter des Konzerns verschlechtern würde, etwa in der Frage des Stadionausbaus, der offenkundig umstritten ist beim Mutterunternehmen.

So spitzte sich die Lage in Leverkusen schon am Donnerstag unerwartet rasch zu. "Ich bin überzeugt, dass keiner die Panik kriegt", sagte Augenthaler, es gebe genug Sachverstand im Klub: "Die Frage ist: Wie lange hat man Zeit?" Die Antwort gab ihm Holzhäuser am nächsten Tag. Augenthaler nahm die Entlassung nach Angaben Völlers "überrascht, aber gelassen" hin.

© SZ vom 17.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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