Basketball:Die gedemütigte Artistencombo

Lesezeit: 3 min

Sowohl die Italiener als auch die entsetzten NBA-Stars haben Mühe, die Sensation von Köln zu begreifen. Letzteren bleibt auch kaum Zeit dafür, schließlich wartet mit Deutschland bereits der nächste Gegner.

Von Andreas Burkert

Das waren wirklich hübsche Dunkings. Carmelo Anthony, Lamar Odom und all die anderen Wunderkerle schwebten dem Ring kunstvoll entgegen, um dort oben wuchtig den Ball durchs Netz zu stopfen. Die 15000 Menschen in der Kölnarena johlten verzückt, denn genau dafür hatten sie ja ziemlich viel Geld bezahlt, für ein paar Zaubereien des sogenannten "Dream Team IV" mit den Superstars Allen Iverson und Tim Duncan. Man sieht sie ja sonst nur im Fernsehen, wenn sie in der Showliga NBA Hauptrollen ausfüllen.

Wahrscheinlich werden sie in diesem Leben nicht mehr nach Deutschland kommen, auch deshalb waren so viele gekommen wie noch nie zu einem Länderspiel ohne deutsche Beteiligung. Doch dann beendeten die Referees leider die Aufwärmphase, eine Frau im Abendkleid sang Nationalhymnen, und danach spielten Amerikas Olympia-Basketballer endlich gegen Italien. Es ist dann tatsächlich ein unvergesslicher Abend geworden. Denn die Italiener gewannen haushoch. 95 zu 78, man darf das eine Sensation nennen.

Nach der Schlusssirene schlichen die Jungmillionäre aus Cleveland, Phoenix und Miami rasch in die Katakomben, es gab keine Autogramme mehr für die vielen Fans, die in Iverson-, Duncan- oder LeBron-James-Trikots erschienen waren. Die Idole überließen den namenlosen Italienern das Parkett. Die nutzten den Platz reichlich, sie umarmten sich immerzu und sprangen durch die Halle, als sei soeben der WM-Titel errungen worden.

Deutlichste Niederlage

Hinter ihrer Bank küssten sich die mitgereisten Journalisten gegenseitig ab, sie drängelten sich schließlich mit aufs Teamfoto im Mittelkreis. Alle hatten Mühe, dieses Ereignis zu begreifen. Noch nie hatte eine Squadra die USA besiegt, und nie zuvor hatte ein mit NBA-Athleten bestücktes Team so deutlich verloren. Die Partie war als intensive Testeinheit auf dem Weg zu olympischem Gold eingeplant, wie auch das zweite Spiel gestern gegen die Deutschen (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet).

Stattdessen gehen die 40 Minuten von Köln als ehrabschneidende Blamage für die weltbeste Liga in die Basketballhistorie ein, als Tiefpunkt eines vermeintlich bis in alle Ewigkeit unantastbaren Monopolisten auf große Siege in diesem Sport. ESPN übertrug das Debakel live in die amerikanischen Wohnzimmer, CNN fasste ungläubig die Eindrücke zusammen: "Italien zermalmt die US-Auswahl!"

Chefcoach Larry Brown, 63, hatte das ja kommen sehen, dass seine junge Truppe Spielern aus anderen Erdteilen den nötigen Respekt versage. Doch die Art, wie der EM-Dritte der Supermacht zunächst mutig begegnete (16:11, siebte Minute), sich stetig absetzte (35:20/16.) und es am Ende unter dem Jubel des längst zu den Azzurri übergelaufenen Publikums gar demütigte (89:65/38.) - das erschien auch dem Trainer des NBA-Champions Detroit als "vorher undenkbar".

Brown nannte das Spiel später "eine Lehrstunde", und neben ihm saß sein Kapitän Iverson, er starrte apathisch ins Auditorium. "Das war ein Weckruf", sagte Leader der Philadelphia 76ers, "wir brauchten so etwas wohl um zu verstehen, dass es nicht einfach wird in Athen." 20 Stunden vorher, beim öffentlichen Training, hatte er noch gelangweilt Fragen nach der Konkurrenz pariert: "Ich kenne keinen von denen, aber das ist auch egal. Wir holen Gold, ganz sicher." Von Gold redete am Dienstagabend dann niemand mehr.

Denn Italien hatte die Partie zwar mit einem Airball durch Gianluca Basile eröffnet, der Ball erreichte also nicht einmal den Ring, eine Peinlichkeit für jeden Basketballer. Doch am Ende trugen sie Basile auf Händen davon, nach sieben teils spektakulären Dreiern und 25 Punkten. Die Italiener hatten gegen eine naive Verteidigung mit europäischem Systembasketball und mit ihrer Sicherheit aus der Distanz brilliert.

Ihnen gelangen 15 Dreier, fünfmal traf Giacomo Galanda, und hinterher beteuerte der Profi aus Siena: "Weder in Italien noch in der Europaliga habe ich jemals so frei gestanden." Amerika habe "auf dem Papier das beste Team der Welt", ergänzte er, "aber sie haben schrecklich verteidigt und waren wohl überrascht, wie gut wir werfen können." Galanda schlief dann mit dem Spielball im Arm ein, sein Zimmerpartner Basile hatte ihn aus der Arena entführt.

Unerfahren und herzlos

Die US-Auswahl reist nun mit der Gewissheit nach Athen, dass ihre Vorherrschaft ernsthaft bedroht ist. Platz sechs inklusive dreier Niederlagen bei der WM 2002 in Indianapolis galt bisher als Betriebsunfall, angerichtet von einer charakterschwachen und partysüchtigen NBA-Abordnung. Die Bilanz seit dem Mitwirken von Profispielern 1992 steht nach dem Debakel von Köln nunmehr bei 88:4-Siegen, nur die olympische der "Dream Teams" ist noch makellos (24:0).

Deren vierte Generation ist mit einem Schnitt von 23,6 Jahren die jüngste, und in der Kölnarena erwies sie sich nicht nur als unerfahren im Umgang mit der internationalen Regelauslegung und gegen Zonenverteidigung - sie hinterließ überdies den Eindruck einer herzlosen und verwöhnten Artistencombo, die zudem nicht einen sicheren Schützen gegen die in der heimischen NBA unübliche Raumdeckung besitzt.

Ausgerechnet der bis in jeden Körperwinkel tätowierte Exzentriker Iverson gelobte aber aufrichtig Besserung. "Wir können von der Mentalität dieser europäischen Kerle lernen", sagte er, "wie sie miteinander spielen, kommunizieren und so den Mitspieler verbessern." Nur der gewöhnlich kluge Kopf der San Antonio Spurs, Tim Duncan, hatte Mühe, die herbe Niederlage geständig zu verdauen. "Sie tut überhaupt nicht weh", schwindelte er mit genervtem Ton, "das war eine tolle Vorbereitung für uns." Seine Lernfähigkeit wird spätestens am 28. August, 22.15 Uhr, überprüft. Dann endet in Athen das Finale statt.

© Süddeutsche Zeitung vom 5.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: