Autocross:Quer durchs Wohnzimmer

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"Der geht ganz gut nach vorne", sagt Liam Müller: Ein Buggy, hier mit Bruder Jonas besetzt, wiegt nur 300 Kilogramm, da reichen 65 PS. (Foto: Thomas Langer/oh)

Jonas und Liam Müller zählen zu den besten deutschen Junioren. Ihre wichtigsten Teammitglieder: ihre Eltern.

Von Katalina Farkas

Und dann gibt es diesen kurzen Moment, in dem Jonas und Liam Müller ganz so reagieren, wie Teenager eben reagieren, wenn Eltern anfangen, alte Geschichten auszupacken: Sie rutschen auf ihren Stühlen hin und her, verdrehen die Augen. Im Bildschirmfenster rechts von ihnen erzählt ihre Mutter Katharina Müller gerade von dem Ring, den ihr Mann Wolfgang ihr damals nach ihrer ersten gemeinsamen Rallye-Saison angesteckt hatte. "Das war 1996 und der Ring aus Kabelbindern, ganz provisorisch, aber sehr romantisch." Sie lacht. Jonas und Liam, 15 und 16 Jahre alt, grinsen. Sie wollen lieber über Autocross sprechen, jenen Motorsport, in dem Fahrer leichte Cross-Buggys in kurzen Sprints über Schotter- und Schlammstrecken jagen, und in dem die beiden in ihrer Altersklasse so gut fahren wie sonst kaum jemand in Deutschland.

Nun steht endlich wieder ein Rennen an, nach fast sechs Monaten Pause. "Da habe ich mich endlos drauf gefreut", sagt Jonas. Er sitzt neben seinem Bruder in ihrem Zuhause im mittelfränkischen Hemhofen, Mutter Katharina hat sich vom Parkplatz ihres Autohauses ins Videotelefonat eingeschaltet, Vater Wolfgang von der Autobahn aus telefonisch. Familie Müller hat noch einiges vor an diesem Tag, ein Motor muss verbaut, ein Buggy verladen werden, bevor es am Freitag losgeht nach Ortrand bei Dresden, wo am Wochenende das erste Autocross-Rennen der Saison ausgetragen wird. Unter normalen Umständen wäre die Saison im März gestartet, dass daraus nichts wurde, versteht sich von selbst. Auch wenn es am Wochenende nicht um Meisterschaftspunkte geht, freuen sich Liam und Jonas darauf, endlich wieder vor Publikum fahren zu können. Dass die Meisterschaft in diesem Jahr ausfällt, stört sie nicht allzu sehr, bedeutet es doch, dass sie ihre Titel noch etwas länger tragen dürfen: Liam ist 2019 deutscher Juniorenmeister geworden, sein jüngerer Bruder Zweiter.

Die Rennveranstalter sind extrem abhängig vom Ticketverkauf

Weil er sich mit seinem Meistertitel für die Seniorenklasse qualifiziert hat, startet Liam am Wochenende erstmals in der Division 4a, statt 65 PS treiben seinen Cross-Buggy nun erstmals 165 Pferdestärken an. Jonas startet weiterhin bei den Junioren, mit 65 PS. Was von der Leistung her erst einmal überschaubar klingt, hat dennoch ordentlich Wumms: "So ein Buggy wiegt ja nur knapp 300 Kilogramm", erzählt Jonas. "Der geht also ganz gut nach vorne", ergänzt Liam.

Überhaupt ergänzen die beiden sich in vielen Dingen. Jonas trug dem großen Bruder die Teile hinterher, bevor er seinen ersten eigenen Buggy bekam, heute schrauben die beiden gemeinsam an ihren Fahrzeugen, vor Fahrtrainings oder zwischen Rennläufen. "Wir haben uns da für die Rennwochenenden ein ganz gutes System erarbeitet", erzählt Liam. Schließlich bestehe jedes Rennen aus vielen Trainings- und Qualifikationsläufen, bevor es am Ende um den Sieg gehe. "Die beiden sollen sich immer voll auf die Technik verlassen können", erklärt Katharina Müller. "Wenn sie einlenken, sollen sie wissen, dass die Buggys auch sicher in die Kurve gehen." Dazu überprüfen die Brüder gemeinsam mit ihrer Mutter nach jedem Rennen die Räder, den Reifendruck, das Fahrwerk, die Stoßdämpfer. Jede Schraube wird kontrolliert, alles läuft nach Protokoll.

Dass die KFZ-Meisterin bereits Autos für die Rallye Dakar baute, schadet nicht. Sie kommt aus einer Autocross-Familie, entschied sich aber mit 16 Jahren dafür, als Beifahrerin in den Rallyesport einzusteigen. Dort lernte sie 1996 Wolfgang Müller kennen, in einem Fiat Cinquecento Sporting. Er am Steuer, sie auf dem Beifahrersitz - dabei aber nicht minder wichtig für den Verlauf des Rennens, dirigierte sie ihn doch mittels des für Rallyefahrer unverzichtbaren Roadbooks durch die italienischen Dolomiten. "Meine ursprüngliche Beifahrerin war ausgefallen, einen Tag vor dem EM-Lauf", erinnert sich Wolfgang. "Katharina ist kurzfristig eingesprungen. Und das hat dann halt gut funktioniert." So gut, dass am Ende der Saison besagtes Ring-Provisorium an ihrem Finger hing. Die beiden fuhren noch vier weitere Jahre zusammen, bevor sie ihre aktive Karriere aufgaben und ein Autohaus samt Werkstatt eröffneten. Darüber hinaus gab Wolfgang Müller Fahrtrainings und zeigte Autobegeisterten auf Teststrecken oder zugefrorenen Seen, wie sie Rundenzeiten verbessern oder das Heck ihrer Fahrzeuge kontrolliert ausbrechen lassen können.

Die Begeisterung der Eltern für den Motorsport übertrug sich auf die Kinder. "Ich habe die beiden oft mit zu den Fahrtrainings genommen", erzählt Katharina Müller. "Mit dem Resultat, dass die beiden unsere Wohnung geflutet haben, um mit ihren Bobbycars durchs Wohnzimmer zu driften." Sowohl Liam als auch Jonas können sich vorstellen, später Rallye zu fahren. Davor stehen aber erst einmal noch einige Jahre im Autocross an. Hoffen sie zumindest. Die Veranstalter der Autocross-Rennen, Großevents mit bis zu 10 000 Zuschauern, sind extrem abhängig von den Ticketverkäufen. Wie es im kommenden Jahr weitergeht, ist unklar. Das Rennen am Wochenende ist also auch ein Testlauf für die Zukunft.

© SZ vom 04.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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