Aufsteiger 1. FC Nürnberg:Gegen den Wind

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Mit dem Aufstieg in die erste Bundeliga hat Wolfgang Wolf das Minimalziel erreicht. Erst jetzt kann der Trainer zusammen mit seinem jungen Team beweisen, dass der Club unter seiner Regie einen Schritt weitergekommen ist.

Wolfgang Wolf entschuldigt sich, er müsse gleich zum Training, deshalb rede er etwas schnell. Während er für seine Sache spricht, die Zukunft des 1. FC Nürnberg, springt er von Gedanke zu Gedanke, packt immer mehr Gründe unter seine Thesen und seine Worte fließen schnell ineinander wie ein gelungenes Kurzpassspiel. "Geduld" kommt darin vor und "Ruhe", dazu auch "Zusammenstehen", und schließlich "Vertrauen", ein Begriff, den er sehr oft verwendet, und bald wird klar, dass Wolfs eindringliche und schnelle Rede gar nichts mit Zeitdruck zu tun hat.

Seit 16 Monaten ist er Trainer beim 1. FC Nürnberg, er hat der Mannschaft wieder in die Erste Liga verholfen, aber das galt als Minimalziel, und nun steht der eigentliche Beweis dafür an, dass der Verein endlich einen Schritt weiter kommt und langfristig erstklassig bleibt. Vor fünf Jahren versuchte das Friedel Rausch, der elegant redete und immer etwas Show machte, aber eine überteuerte Mannschaft hatte, die schließlich mit Eiern und Tomaten beworfen wurde.

Vor drei Jahren war es Klaus Augenthaler, der Weltmeister, der immer lässig brummte, aber am Schluss hilflos blieb. Nun ist da also Wolf, der immer etwas Pathos, aber auch Überzeugungskraft in der Stimme hat, und die Nürnberger fragen sich, ob er endlich der Richtige ist für den Verein. Wolfs Worte könnten manchmal von einem Prediger stammen, aber seine Methoden sind auch unkonventionell.

Psychotricks

Auch in der vergangenen Saison kassierte die Club-Elf oft nach der 75.Minute entscheidende Gegentore, und eines Tages überraschte der Trainer die Spieler mit einer Änderung im Übungsprogramm. Beim Waldlauf stoppte er die Gruppe auf halber Strecke, ließ Kaffee und Kuchen servieren und diskutierte über Geduld. Dann ließ er bei Heimspielen die Stadionuhr ausschalten - es gab für die Nürnberger keine 75. Minute mehr und irgendwann gab es auch keine Gegentore mehr.

"Wir haben gelernt, auf Ergebnis zu spielen", sagt Wolf, "denn wir haben die Ungeduld besiegt." Damals stand der Club, als Aufstiegsfavorit in die Zweite Liga gestartet, auf einem Abstiegsplatz, und mancher Trainer, der in dieser Lage Kaffee und Kuchen serviert, überzeugt niemanden mehr.

Wolfs eindringliche Worte werden auch in der Bundesliga nötig sein. Der Club stand früh als Aufsteiger fest, die Mannschaft musste komplett umgebaut werden, und wie schon bei den Versuchen Rauschs und Augenthalers ist auch diese Mischung den Beobachtern ein Rätsel. In allen Mannschaftsteilen gibt es noch einen Platz zu besetzen, darum buhlen hauptsächlich unerfahrene Spieler.

In der Abwehr Andreas Wolf, 22, Dominik Reinhardt, 22, und Thomas Paulus, 22, im Mittelfeld Ivica Banovic, 24, Marcel Ketelaer, 27, und Maik Wagefeld, 23. Im Angriff Lawrence Aidoo, 22, Stefan Kießling, 20, und Markus Daun, der von Werder Bremen kam. Aus der Vorbereitungsbilanz lässt sich nicht viel ablesen. Zunächst hatten Wolfs Spieler gegen unterklassige Vereine 79:1 Tore geschossen, schließlich aber 0:1 gegen Absteiger 1860 München verloren.

Doch Wolfs Vertrauen in seinen Kader mit 15 Spielern, die jünger sind als 24, bleibt unerschüttert. Als in der Sommerpause sechs Angebote von Bundesligisten für verschiedene Talente des Vereins vorlagen, verlängerten die Nürnberger sämtliche Verträge mit Jungspielern bis 2008. Ob aus denen herausragende Akteure werden, oder ob sie nur gehobener Durchschnitt bleiben, ist unklar, fest steht, dass sie in ihrer jetzigen Form in Wolfs Konzept passen. Der will keine Fußballer mit Extra-Klasse und Extra-Wünschen, und das hängt vielleicht damit zusammen, dass Wolf selbst eine Geschichte hat, die der des 1. FC Nürnberg ähnelt.

Die Spieler des finanzschwachen Clubs waren immer eher durchschnittlich, aber sie kamen oft in die Lage, dass von ihnen mehr verlangt wurde, als sie konnten. Mal war es das Präsidium, mal pfiff das Publikum, mal wendete sich sogar der Trainer ab. Als Trainer des VfL Wolfsburg hatte auch Wolf nur Möglichkeiten, die dem Durchschnitt genügten, doch plötzlich verlangte man von ihm Ruhmreiches.

Vor Abwärtstrends nicht sicher

Der Weltkonzern hinter dem VfL wollte in die Champions League, Wolf musste gehen. Heute beteuert er, dass es keine alten Wunden gebe, doch wenn er an jene Top-Manager denkt, hört man Genugtuung in seiner Stimme: "Die denken heute anders." Denn die größten Erfolge feierte Wolfsburg unter Wolf, und wenn ihm heute jemand mit überzogenen Erwartungen kommt, dann sagt er: "Ich lass mich nicht so schnell verrückt machen."

Natürlich, "vier, fünf Niederlagen, und in Nürnberg sieht alles anders aus", sagt Wolf. Doch gegen solche Abwärtstrends ist keine junge Mannschaft sicher. Dagegen steht Messbares: das Geld, das für Wolfs neue Talente geboten wurde; der neue Trikot-Sponsor, der zweieinhalb Millionen Euro pro Saison zahlt, weshalb der Verein nicht mehr das beste Talent verkaufen muss; und Wolfs Gespräche in den Fanklubs, aus denen er zu wissen glaubt, was sich die Fans wünschen.

Wenn er davon erzählt, eindringlich und ernst, könnte man glauben, er wäre schon seit Jahren beim Club: "Die wollen nicht so schnell einen einstelligen Tabellenplatz, die wollen nur eine Mannschaft, die nicht beim ersten Windstoß umfällt."

© Süddeutsche Zeitung vom 7.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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