ATP-Turnier:Klassentreffen in Halle

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Die Tennisprofis haben Mühe, ihre Form für Wimbledon zu finden. Immerhin hat neben Thomas Haas und Alexander Popp heute auch Rainer Schüttler das Achtelfinale erreicht.

Von Ulrich Hartmann

Rainer Schüttler hat die erste Runde überstanden. Das ist, so unspektakulär es auch klingt, schon eine Nachricht wert in einem Jahr, in dem der 28-jährige Tennisprofi zehn seiner 14 Auftaktspiele verloren hat, obwohl die Rangliste ihn als achtbesten Spieler ausweist. Am Dienstag hat er im ostwestfälischen Halle den Tschechen Jan Hernych in 80 Minuten 6:3 und 6:2 geschlagen. "Ich wollte nicht schon wieder gleich in der ersten Runde rausfliegen", hat Schüttler hinterher seine Motivation explizit erläutert.

Schüttler wäre nicht der erste Spieler, dem das Turnier auf Gras in der westfälischen Idylle zur vorübergehenden sportlichen Genesung genügt. Vor einem Jahr hat der gebeutelte Nicolas Kiefer das Finale erreicht und dieses gegen den späteren Wimbledonsieger und am gestrigen Dienstag ebenfalls in die zweite Runde eingezogenen Roger Federer verloren.

Das einzige deutsche Rasenturnier könnte auch in seinem zwölften Jahr Aufbauhilfe leisten für die deutschen Spieler, die noch nicht viel hinbekommen haben und mit angeschlagenem Selbstbewusstsein nach Wimbledon reisen werden, wo es am 21. Juni los geht. "Wimbledon ist das wichtigste Turnier der Welt, und dafür ist Halle eine ideale Vorbereitung", sagt Schüttlers Trainer Dirk Hordorff. Man hat das so schon häufig gehört, doch Hordorff präzisiert neben den lukrativen Antrittsgeldern die Motivation vieler Profis, sich zu dem mit fast fünf Millionen Euro budgetierten Turnier nach Ostwestfalen zu bemühen.

In Halle stehen die sportlichen Chancen für vereinzelte deutsche Ausflüge in die lukrative Spitze des Turniertableaus diesmal schon aus statistischen Gründen ganz gut. Unter den 32 Turnierstartern sind zum Auftakt am Montag neun Deutsche gewesen, und weil mit Nicolas Kiefer und Lars Burgsmüller zwei direkt aufeinander getroffen sind (die Partie war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet), war sogar sicher, dass nicht alle heimischen Repräsentanten nach einem Spiel schon wieder draußen sind, wie es dem Amberger David Prinosil bei der 4:6-, 2:6-Niederlage gegen den US-Amerikaner Mardy Fish erging.

Nur vier von neun

Der 31-jährige Prinosil verkündete anschließend seinen Rücktritt vom Profitennis: "Das war's. Das war definitiv mein letztes Einzel auf der ATP Tour", sagte der Halle-Sieger aus dem Jahr 2000.

Von den neun angetretenen Deutschen haben vier die zweite Runde erreicht. Vor allem dem Mannheimer Alexander Popp, 27, der jetzt auf den Franzosen Arnaud Clement trifft, werden gute Chancen eingeräumt, immerhin hat er mit zwei Viertelfinal-Einzügen in Wimbledon seine Kompetenz auf Gras bereits bewiesen. Dass die deutschen Spieler in diesem Jahr trotzdem zu einer gewissen Skepsis Anlass geben, liegt an der betrüblichen Erstrunden-Statistik, die allein für die neun in Halle Gestarteten im bisherigen Jahresverlauf bei ihren insgesamt 100 Turnierteilnahmen in der Summe 58 Auftaktniederlagen ausweist.

Beim Klassentreffen in Halle können sie sich nun ein bisschen hegen lassen. Und die genießen die Atmosphäre auf der illustren Anlage genauso wie der Turnierveranstalter die ganze Bandbreite des heimischen Tennis-Segments. "Wir sind froh, dass die Deutschen alle bei uns spielen", sagt Turnierdirektor Ralf Weber angesichts des stets zeitgleich stattfindenden Turniers im Londoner Stadtteil Queens, an welches man in diesem Jahr die Prominenten Agassi, Roddick und Hewitt verloren hat.

"Das ist tatsächlich jedes Jahr ein ziemliches Gerangel um die besten Spieler", gesteht Weber, "aber wir müssen die Top-Ten-Leute eben unter uns aufteilen." Zur Dokumentation der eigenen Stärke lässt er einfließen, "dass wir es noch geschafft haben, Marat Safin aus Queens abzuwerben".

Ohne staatliche Subventionen - dank Erfahrung

Wir - das ist die in Halle beheimatete und finanzkräftige Familie Weber, die in der Modebranche reüssiert und vor zwölf Jahren dieses Turnier sowie das 60 Millionen Euro teure Stadion für 12300 Zuschauer mitten auf dem Land hochgezogen hat. Die Unternehmer rühmen sich heute, neben dem Düsseldorfer World Team Cup das einzige deutsche Turnier zu sein, das ohne staatliche Subventionen auskommt. Wenn man Weber auf die Tennismisere und die wirtschaftlichen Probleme anderer Turniere anspricht, dann sagt er: "Mit unserer Erfahrung könnten wir den anderen schon helfen."

Bislang ist es allerdings zu keinem Schulterschluss gekommen. Webers Anregung beim Deutschen Tennis-Bund, vor dem Turnier einen Runden Tisch über die "Außendarstellung des deutschen Tennis" zu veranstalten, wurde nicht aufgegriffen. Doch auch ohne größeren Ein-fluss in die höheren Branchenebenen gefallen sich die Turnierveranstalter von Halle in der Ausnahmeposition, die der Unternehmer Gerhard "Gerry" Weber nach dem Aufbau seines Mode-Imperiums zu finanzieren in der Lage ist.

Jüngste Gerüchte, wonach man zuletzt vergeblich nach einem neuen Hauptsponsor für das Turnier gesucht habe, bringen den 63-Jährigen in Rage. "Wir sind hier in Ostwestfalen", sagt er dann aufgebracht und heimatverbunden und erklärt, wie es möglich ist, im Gegensatz zu anderen Turnieren langfristig Sponsoren zu binden: "Unser Konzept ist von Herrn Miele und Herrn Oetker anerkannt worden."

Man weiß sich in solventer Nachbarschaft, und die Gerry WeberAG selbst will das Turnier auch weiterhin mütterlich lenken. "Der Vertrag für die nächsten zehn Jahre als Hauptsponsor ist unterschrieben", sagt Gerry Weber. Die Erfolgsgeschichte soll trotz sinkender TV-Quoten, abflauender Zuschauerzahlen und erschwerter Sponsorenakquise unbeirrt fortgeschrieben werden. "Wir sind Trendsetter", behauptet Ralf Weber.

© Süddeutsche vom 9.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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