Athen weniger als 300 Tage vor Olympia:Jede Sekunde zählt

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Die IOC-Prüfer sehen die Athener Olympia-Macher im Wettlauf mit der Zeit - und der Müll stinkt derweil zum Himmel.

Von Christiane Schlötzer

Die Uhr ist nicht zu übersehen. Sie thront auf einem hohen Mast vor dem künftigen Medienzentrum der Olympischen Spiele 2004. Der Countdown für die Eröffnungszeremonie steht am Freitag bei 294 Tagen. Die Prüfer des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hatten den Zeitmesser im Blick, als sie sich jetzt überzeugen mussten, dass Athen im Schlussspurt vor den Spielen noch Außerordentliches zu leisten hat, um das Finale erhobenen Hauptes zu erreichen. "Wir können uns nicht leisten, einen einzigen Tag zu verlieren", sagte Denis Oswald, der IOC-Chefinspektor, nach dem Augenschein. Wo die Risiken für die Spiele liegen, weiß das IOC nun besser. Aber Oswald hat sich entschlossen, die griechischen Organisatoren nicht zu prügeln. So lobt er sie lieber für "eindrucksvolle" Baufortschritte. Der Schweizer weiß inzwischen, dass zu viel Druck in Athen eher zu Frust denn zu weiterem Ansporn führt. Dass die große Uhr für Nervosität sorgt, ist aber nicht zu leugnen.

Größtes Sorgenkind des IOC ist ausgerechnet das große Stadion für die Spiele. Die Prüfer sehen es bei ihrer von der Presse begleiteten Tour nur von außen. Bilder des staatlichen Fernsehen ERT zeigen jedoch am selben Abend, dass es drinnen noch wüst aussieht. Für das Riesendach des Stararchitekten Santiago Calatrava stehen bislang nur die großen Streben. Oswald sagt, das Dach könne auch gedeckt werden (was allein zwei Monate dauern soll), wenn im Stadion bereits die Fernsehanstalten ihre Kabel ziehen. Aber die Sicherheitsexperten wollen, dass die Arbeiter Wochen vor Eröffnung der Spiele aus den Sportstätten verschwinden, damit sie die Stadien vor der Öffentlichkeit abschirmen können. "Das ist eine ziemlich teure Form, ein Dach zu bauen", sagt ein IOC-Mitglied zu den Calatrava-Bögen für 250 Millionen Euro. Dies findet inzwischen offenbar auch der Bauherr, die griechische Regierung. Dort wird schon überlegt, ob man das Dach nicht statt aus Glas aus Kunststoff machen kann. Calatrava aber wolle Glas, heißt es.

Gezeigt wird Journalisten und Prüfern vor allem, was tatsächlich schon weitgehend fertig ist, das Medienzentrum etwa und das Olympische Dorf für 10 500 Athleten und 5500 Betreuer. Auf einem Kasernengelände neben dem Dorf steht allerlei militärische Gerät herum, weshalb man hier nicht fotografieren darf. Im August 2004 sollen hier die Sportler Trainingsräume finden. Im Dorf selbst gibt es noch keinen einzigen Baum. Das Versprechen, die umweltfreundlichsten Spiele zu organisieren, wird kaum mehr haltbar sein, zumal auch auf alternative Energiegewinnung verzichtet wurde. Die Stromversorgung - in Athen auch ohne Spiele schon empfindlich - gehört ebenfalls zu den Sorgen der Experten.

Gleiches gilt für den Transport zu den Sportstätten. Die Regierung habe ihm versichert, Schienenverbindungen zum Flughafen und zur Küste würden rechtzeitig fertig, sagt Oswald. Man werde aber womöglich Züge "aus anderen Städten" auf die Gleisen setzen. "Die Farbe der Züge", so der IOC-Mann vorsichtig, könnte anders aussehen als geplant. Die Zeitung Athens News zählte am Freitag auf, wo Zeitpläne zur Fertigstellung einzelner Sportstätten nach hinten geschoben werden mussten, bei den Bauten auf dem alten Athener Hellenikon-Airport etwa, wo Basketball und Hockey gespielt werden soll. Die offizielle Website der Spiele enthält noch die alten Daten. Oswald aber, öffentlich auf Freundlichkeit mit Olympia-Chefin Gianna Angelopoulos gestimmt, beharrt, es gebe "keine zusätzlichen Zeitüberschreitungen".

Die IOC-Prüfer waren auch zu Gast bei Regierungschef Kostas Simitis und Oppositionsführer Kostas Karamanlis. Sie ließen sich versichern, dass die Spiele nicht Gegenstand des Parlamenswahlkampfes im kommenden Frühjahr sein würden. Der Wahlkampf aber ist schon deutlich zu spüren und zu riechen. 25.000 Tonnen Müll türmen sich auf Athens Straßen. Die Stadt spritzt schon Gift gegen Ungeziefer, aber der Müll bleibt liegen, weil die Müllmänner streiken. Auch alle Taxifahrer streikten am Freitag.

"Ganz sauber" sollen die Spiele werden, was das Doping betrifft. Oswald verspricht strikte Kontrollen "nach neuestem Standard". Die Sorge, dass die Wettkämpfe ohne zahlreiche Spitzenstars auskommen müssten, teilt der Schweizer auch nicht. "Wer Drogen nimmt, ist für mich kein Star", sagt er. Auf der Positivliste der Spiele vermerkt ihre Präsidentin Angelopoulos den Kartenverkauf. 1,7 Millionen Tickets sind weg. Die Gäste wollen aber auch Spiele für ihr Geld. Angelopoulos verspricht: "Wir arbeiten auch an Feiertagen, Sonntagen und Wochenenden." In der Pressemitteilung des IOC heißt es gar, "jede Sekunde zählt im Rennen um die Olympischen Spiele in Athen".

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