Angola:Von null auf neunzig

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Angolas Torwart Joao Ricardo hat keinen Verein - aber einen Stammplatz in der Nationalmannschaft.

Christoph Biermann

Nach der 0:1-Niederlage gegen Portugal war er es gewesen, der von allen Spielern am meisten gestrahlt hatte. Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht verließ Joao Ricardo am Sonntag das Stadion in Köln, es war der Ausdruck tiefer Erleichterung.

Joao Ricardo spielt im Moment nur in der Nationalmannschaft. (Foto: Foto: ddp)

Eine Flut von Gegentoren hatte das angolanische Team in der Partie gegen die alte Kolonialmacht ängstlich befürchtetet, und er als Schlussmann wäre im Zentrum des Debakels gestanden. Die ganze Welt hätte zugesehen, wie ein 36 Jahre alter Keeper Ball um Ball aus dem Tor holen muss.

Und alle hätten sich gefragt, warum Nationaltrainer Luis de Oliveira Gonçalves auf einen Torhüter setzt, der in den vergangenen zwölf Monaten nirgends anders als in der angolanischen Nationalmannschaft gespielt hat.

"Keine attraktiven Angebote"

"Ich habe keinen Klub, weil ich keine attraktiven Angebote hatte", sagt der Torwart, der mit vollem Namen Joao Ricardo Pereira Batalha Santos Ferriera heißt.

Bis zum Juni vergangenen Jahres spielte er beim portugiesischen Provinzklub Moreirense in der Nähe von Guimares. Doch als der aus der ersten Liga abstieg, lief Ricardos Kontrakt nach vier Spielzeiten aus.

"Ich hätte durchaus Verträge unterzeichnen können, aber keiner entsprach meinen Erwartungen", sagt er. Dabei wäre der Torwart durchaus auch zu einem unterklassigen Verein gegangen, denn seine Karriere verlief bisher sowieso bescheiden.

Bevor er mit Moreirense in die erste Liga aufstieg, hatte er acht Jahre lang für den portugiesischen Zweitligisten Viseu gespielt. Danach war er zum Erstliga-Klub Salgueiros transferiert worden, wo er in drei Jahren jedoch nur einmal in der ersten Mannschaft eingesetzt wurde.

Vielleicht jedoch hätte Ricardo eine der Offerten angenommen, die ihm zu bescheiden erschienen, wenn Oliveira Gonçalves mehr Druck auf ihn ausgeübt hätte. Aber der Coach schätzt seinen Keeper ohne Klub wegen seiner Erfahrung und Führungsqualitäten so sehr, dass er ihm eine Art Stammplatzgarantie gab.

"Ich hatte es mit ihm so besprochen, dass ich mich fit halten würde, und er hat mir sein Wort gegeben, dass ich auch ohne Verein spielen würde", sagt Ricardo.

Beim Zweitligisten Portimonense vor seiner Haustür, wo auch Marco Arbreu, der Kollege aus dem Nationalteam, unter Vertrag steht, hält er sich seither fit. Und Oliveira Gonçalves hielt Wort: Ricardo kam nicht nur beim ersten WM-Auftritt seines Landes in Köln zum Einsatz, sondern spielte auch schon in Angolas drei Partien bei der diesjährigen Afrikameisterschaft in Ägypten.

Der Torwart stammt aus einer weißen Familie, die aus Angola wegging, als er vier Jahre alt war. Ähnlich ist es bei Mittelfeldspieler Figueiredo, dessen Vater als Soldat in der portugiesischen Armee diente und nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges Angola verließ.

Systematische Suche

Auch Reservespieler Marco Arbreu kam als Kind nach Portugal und hat das Land, für das er nun bei der Weltmeisterschaft antritt, seither nicht mehr gesehen. Dass diese Spieler im Team stehen, ist Folge der systematischen Suche des angolanischen Verbandes.

Dabei wurden aber nicht nur weiße Spieler gefunden. So gehört zum WM-Kader auch Rui Marques, der mit neun Jahren von Angola nach Europa ging und den die deutschen Fußballfans von seiner Zeit beim SSV Ulm, Hertha BSC und dem VfB Stuttgart kennen.

Kürzlich wurde er von Leeds United zu Hull City ausgeliehen. Auch Nando Rafael könnte zum angolanischen Team gehören, doch der Stürmer von Borussia Mönchengladbach entschied sich für die deutsche Juniorennationalmannschaft.

Mit der Strategie, Spieler im Ausland zu suchen, waren in der Vergangenheit auch schon andere Fußballverbände erfolgreich. Vor allem die erfolgreiche irische Nationalmannschaft der neunziger Jahre unter Jackie Charlton war auch das Ergebnis einer sorgfältigen Suche nach Stars.

Im angolanischen Fall trifft jedoch weder auf Ricardo noch die anderen Spieler aus Europa das Etikett Star zu. Sie sind keine Berühmtheiten, aber sie bringen die Erfahrung von Spielen im hiesigen Profifußball mit, die Spielern aus angolanischen Vereinen fehlt.

So wird Ricardo als Mann mit besonderen Kenntnissen seinen beiden Kollegen von Petro Atletico und Inter de Luanda auch an diesem Freitagabend im Spiel gegen die Mexikaner vorgezogen.

© SZ vom 16.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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