Andreas Widhölzl:"Man bremst sich immer selbst"

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Österreichs letzter Tournee-Gewinner Andreas Widhölzl über die Kunst des Laufenlassens, den Wandel im Skispringen und sein Verhältnis zu den Deutschen.

SZ: Herr Widhölzl, haben Sie den Höhepunkt Ihrer Karriere schon hinter sich, oder kommt da noch was? Widhölzl: Ääh. Sagen wir mal so, ich habe schon große Erfolge feiern dürfen, aber meine Karriere ist noch nicht am Ende. Da werden sicherlich noch einige Erfolge kommen. Aber es wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Weil das Feld näher zusammenrückt.

Immer noch heiss auf Erfolg: Andreas Widhölzl. (Foto: Foto: dpa)

SZ: 2000/2001 die Tournee zu gewinnen war also einfach? Widhölzl: Naa, aber seit 2000 hat sich vom Material her total viel verändert. Man hat damals die weiteren Anzüge gehabt, was meinem Stil sicher entgegengekommen ist. Man muss heute technisch besser springen als damals.

SZ: Ist Ihre Technik jetzt wirklich besser oder einfach nur anders? Widhölzl: Jetzt ist es die bessere Technik, weil mit dem heutigen Material die alte Technik nicht mehr so funktionieren würde. Früher hatte man durch den größeren Anzug mehr Halt in der Luft. Das war gut für meinen Stil. Heute muss man kraftvoller wegspringen.

SZ: Wie war Ihre Technik damals? Widhölzl: Früher war bei mir die Phase nach dem Absprung immer kritisch. Wenn die gepasst hat, war alles geritzt, wenn nicht - wenn möglicherweise auch noch der Wind von hinten kam - war das immer eine Zitterpartie. Es ist einfach so, dass jeder Springer seinen eigenen Stil hat. Und mein Stil war einfach, sehr viel Geschwindigkeit zu machen und stark in die Richtungslinie des Schanzentisches zu springen. Und damit das funktioniert, muss sehr viel zusammenpassen. Ich war immer gefürchtet, wenn Aufwind war. Aber mein Ziel war, den Gesamtweltcup zu gewinnen. Und das geht nur, wenn ich das ganze Jahr gut springe, auch bei schwierigen Verhältnissen. Das war der Ansatzpunkt.

SZ: Ist das nicht schwierig, bewährte Bewegungsmuster zu verändern? Widhölzl: Das Wichtigste ist, dass man es selber erkennt. Und dann hat es sicherlich ein Dreivierteljahr gedauert, bis ich gesagt habe, das passt. Man hat eben ein System, das sich über Jahre eingeschliffen hat - da einzugreifen, ist immer schwierig. Man kann nicht von einem Sprung auf den anderen sagen: So, jetzt springe ich ganz anders.

SZ: Fällt es einem schwer, von seinem Stil Abschied zu nehmen? Widhölzl: Naa, naa, der Stil ist schon noch da. Ich werde immer meinem Stil treu bleiben. Aber man muss ihn immer anpassen und daran feilen. Vor allem, wenn eine neue Regel kommt. Bei mir waren das etwas radikalere Eingriffe, aber das hat mir meine Stärken sicherlich nicht genommen.

SZ: Und wie ist der Absprung jetzt? Widhölzl: Es ist nicht mehr ganz so in die Richtung des Schanzentisches. Ich springe höher weg, das ist sicherer.

SZ: Es heißt, die Schanzen der Tournee werden immer gleicher. Widhölzl: Das stimmt. Oberstdorf war früher ganz anders als Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck, und Bischofshofen war wieder das krasse Gegenteil zu Innsbruck. Die Bergiselschanze hatte einen ganz steilen Anlauf und einen ganz kurzen Tisch, Bischofshofen hatte einen langen Anlauf mit einem langen Tisch. Man hat sich umstellen müssen in kurzer Zeit. Die Profile der Schanzen sind harmonischer geworden vom Anlauf her, und vom Radius zum Tisch, und damit auch ähnlicher. Es ist zwar schön, dass es immer neue Schanzen gibt, aber diese gewissen Tücken sind nicht mehr da.

SZ: Verliert die Tournee dadurch? Widhölzl: Naja, in Oberstdorf geht es schon weiterhin anders als in Innsbruck zum Beispiel. Also, ich denke, dass das Flair nach wie vor gleich bleibt.

SZ: Ja? Widhölzl: Jaja.

SZ: Ihre wievielte Tournee ist das? Widhölzl: (Er überlegt) Die elfte oder zwölfte Tournee.

SZ: Verändert sich mit der Zeit das Verhältnis zur Tournee? Widhölzl: Schon, erstens brauch' ich nicht mehr zu sagen, ich muss die Tournee gewinnen, weil ich sie schon gewonnen hab. Zweitens fiebert man nicht mehr so hin. Früher hat man über Weihnachten fast nicht mehr abschalten können, weil man wusste, in ein paar Tagen kommt das große Highlight. Jetzt sehe ich das mehr wie einen normalen Weltcup. Das ist auch besser so. Das kommt der Form zugute.

SZ: Wie sehen Sie das Verhältnis Deutschland/Österreich? Widhölzl: Tjaa. Also, es ist definitiv so, dass wir Athleten uns sehr gut verstehen. Und der Konkurrenzkampf ist von den Medien immer ... ich weiß nicht, es wird gerne als Aufhänger hergenommen, dass wir uns bekämpfen. Von mir aus kann man es so weiterbetreiben. Ich muss auch sagen, früher war das bei der Tournee schlimmer, gerade vom Publikum her. Es war oft nimmer schön zu springen. Weil wenn du niemandem was getan hast, und in Deutschland alle die Österreicher auspfeifen und in Österreich die Blindenfahnen für die Deutschen geschwungen werden, dann ist das nimmer fein.

SZ: Haben Sie profitiert von dem, was man in den großen Zeiten von Martin Schmitt und Sven Hannawald den deutschen Skisprung-Boom nannte? Also diese mehr nach dem Publikumsgeschmack ausgerichtete Präsentation des Sports? Widhölzl: Der ganze Skisprungsport hat davon profitiert. Und ich hab das Glück gehabt, dass ich im Jahr des Schmitt-Booms sogar die Tournee gewonnen hab. Aber neidisch bin ich nie gewesen auf Schmitt oder Hannawald. Weil es mir einfach zu lästig gewesen wäre, diese ganze Star-Aufmacherei. Ich bin auch nicht der Typ, der dazu tauglich ist, aber ich würde es auch nicht mit mir machen lassen, weil ich auch ein Privatleben hab, eine Frau und drei Kinder, und mich das gar nicht interessiert, ständig verfolgt zu werden von den Medien.

SZ: Was interessiert Sie denn? Widhölzl: Skispringen.

SZ: 2001 haben Sie die Tournee gewonnen, bei der nächsten Auflage sind sie dann zum Auftakt auf dem Vorbau gelandet. Wie geht man damit um? Widhölzl: Das muss man einfach lernen über die Jahre hinweg. Ich denk', dass die Niederlagen genauso dazugehören im Sport wie die Siege und dass es wichtig ist, dass man mit der Situation umgeht, auch mit dem Frust. Das bringt einen als Sportler und als Mensch weiter. Ich kann mich auch noch erinnern an die Tournee 2001/02. Ich war sehr enttäuscht, ich war nämlich gar nicht so schlecht in Form und hab gleich im ersten Durchgang einen Aussetzer gehabt. Da war die Tournee für mich vorbei. Seitdem war ich bei der Tournee auch nie mehr so stark. Aber vielleicht wird heuer wieder ein Jahr des Andi Widhölzl.

SZ: Glaubt man vor so einer Tournee daran, dass man sie gewinnen kann? Widhölzl: Auf jeden Fall, sonst bräuchte ich da nicht hinzufahren.

SZ: Aber es könnte ja auch Situationen geben, in denen man sagt: Auf einen Tournee-Sieg zu setzen, wäre vermessen. Widhölzl: Klar, wenn die Form nicht passt, geht man sicher nicht hin und sagt: Du, ich reiß' jetzt alles nieder. Aber ich bin jetzt Fünfter im Gesamtweltcup, ich hab eine recht stabile Form. Insofern geht man mit einer gewissen Erwartungshaltung da rein. Aber die ist sicher nicht so hoch angesetzt, dass ich mich unter Druck setzen würde. Ich kann ruhig reingehen. Wenn es passiert, passiert es. Das muss man eh laufen lassen. Wenn man zu viel eingreift in das Ganze, geht es meistens in die Hose.

SZ: Man darf nicht eingreifen? Widhölzl: Im Wettkampf sollte man nicht überkonzentriert und zu verbissen sein. Man hat ja Tausende von Sprüngen gemacht im Training, da muss man sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob die Technik hinhaut oder das Timing. Man bremst sich immer selbst. Im Skispringen ist die große Kunst, dass man das, was man gelernt hat, automatisch ablaufen lässt.

SZ: Das ging 2000/01. Widhölzl: Das ging schon öfters. Aber 2000/01 ist es halt besonders gut gegangen. Da war ich in der gleichen Situation wie jetzt. Da bin ich hingegangen und hab gesagt, ich bin gut drauf, schau mer mal, was passiert. Dann bin ich in Oberstdorf Dritter geworden, Martin Schmitt hatte gewonnen, und alle haben gesagt, dass der Schmitt die Tournee gewinnen wird. Ich war der einzige, der gesagt hat: Jetzt wartet mal. Da haben sie alle blöd geschaut, aber in Partenkirchen war ich dann der Führende.

SZ: Wenigstens kann diesmal niemand ernsthaft glauben, dass Schmitt gewinnt, zuletzt sprang er hinterher. Widhölzl: Wer weiß.

SZ: Naja, also das ist jetzt ein freundliches Understatement oder? Widhölzl: Man weiß eh, wer die Favoriten sind, die stehen vorne im Weltcup. Viele werden die Zeit über Weihnachten genutzt haben, noch einmal einen Schritt nach vorne zu machen, und dann mit Selbstvertrauen zur Tournee kommen. Es wird eine spannende Tournee.

© SZ vom 28.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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