Amateurfußball:"Es wird ein neues Wir-Gefühl geben"

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Memmingens Präsident Armin Buchmann über Auswirkungen der Krise.

Interview von Christoph Leischwitz

Noch mehr als Fußball-Profiklubs haben Regional- oder Bayernligisten schon jetzt wegweisende Entscheidungen zu treffen, weil ihnen das Geld ausgeht. Der FC Memmingen entschloss sich schon Mitte März zu einem radikalen Schritt: Alle Zahlungen sollten sofort eingestellt werden. Doch so einfach ist das gar nicht. FCM-Präsident Armin Buchmann über die Lage im entgeltorientierten Amateurfußball.

Herr Buchmann, Sie hatten ja einen Corona-Fall im Kader. Wie ist aktuell die Lage?

Armin Buchmann: Unser Mannschaftsarzt hatte einen Spieler recht früh testen lassen, der Test fiel positiv aus. Danach meldeten sich einige weitere Spieler mit Symptomen. Diese wurden dann, wie andere Kontaktpersonen, in häusliche Quarantäne geschickt. Kritische Verläufe gab es nicht.

Sie haben am 17. März für Aufsehen gesorgt mit Ihrer Entscheidung, den Trainingsbetrieb und die verpflichtende Teilnahme am Spielbetrieb für die aktuelle Saison erst mal einzustellen, auch alle Zahlungen. Wie wurde diese Entscheidung von den Mitgliedern aufgenommen?

Am Tag der Entscheidung gab es einiges Kopfschütteln, aber ich glaube, das Meinungsbild hat sich stark geändert. Mittlerweile sind die meisten sehr dankbar, dass wir diesen Schritt gemacht haben.

Die meisten haben der Radikalkur auch zugestimmt, einige nicht...

...jeder muss das mit seiner eigenen, persönlichen Situation vereinbaren, ob er auf eine Fortzahlung von Seiten des FC Memmingen besteht. Unsere Wirtschaft steht vor Masseninsolvenzen. Viele werden in Kurzarbeit kommen. Da wird sich erst noch zeigen, wie viele sich langfristig die Nichtzahlung leisten können, und ob die Zusage von vor einer Woche in zwei Wochen noch Gültigkeit hat. Das ist nicht kalkulierbar. Viele würden das emotional vielleicht gerne machen, aus finanziellen oder privaten Gründen vielleicht nicht. Was wir tun können, ist, alle Zahlungen einzustellen, die nicht über Verträge geregelt sind. Das betrifft dann auch Spieler, die keinen Vertragsstatus haben, bei denen also alles über Fahrtkostenentschädigung und Aufwandsentschädigung abgewickelt wird.

Warum haben eigentlich so viele Vereine im gehobenen Amateurbereich so viele unkündbare Verträge?

Das hat sich nach dem Bosman-Urteil entwickelt (1995, d. Red.), seitdem muss ein verpflichtendes Vertragsverhältnis zwischen Spieler und Verein bestehen, um Planungssicherheit zu haben. Wie bei Profis sind wir an die Laufzeiten gebunden, und man kann nicht einseitig kündigen. Der große Vorteil: Wenn Sie auf diesem Weg einen Spieler verpflichten, spart man sich die Ablösesumme an den abgebenden Verein. Deshalb findet das große Anwendung, das ist ab der Landesliga gang und gäbe.

Manche Spieler scheinen sich das gut entlohnen zu lassen. Es wird immer wieder kolportiert, dass in der Regionalliga bisweilen mittlere vierstellige Monatsgehälter an die besten Spieler gezahlt werden.

Beim FC Memmingen haben wir das Privileg eines starken Unterbaus. Wir haben ein großes Einzugsgebiet von rund 100 Kilometern und dadurch eine A-Jugend, aus der viele den Sprung in die Regionalliga schaffen. Deshalb müssen wir nicht viele Spieler ablösen. Und viele Vertragsamateure sind Minijobber, sie bekommen zwischen 250 und 450 Euro. Aber da muss man in vielen Fällen dann auch noch die Fahrtkostenpauschale drauflegen. Für ein gesamtes Jahr gesehen kommen sie dabei mit Leistungen für Bundesknappschaft und die Berufsgenossenschaft auf gut und gerne 8500 Euro pro Spieler, nur für den Minijob. Dann gibt es welche, die mehr als 450 Euro erhalten, damit die Sozialversicherungsleistungen übernommen werden. Bei uns müssen zwar die Allerwenigsten vom Fußball leben, aber solche Regelungen ab 451 Euro sind zum Beispiel für Studenten interessant, damit sie krankenversichert sind.

Viele Verträge laufen bis zum 30. Juni. Wie wird es danach weitergehen?

Wir können ab dem 1. Juli keinen einzigen Sponsorenvertrag abschließen, wenn der Spielbetrieb nicht gewährleistet ist. Selbst Verträge, die wir haben, sind nicht zu halten, da wir ja keinen Vertrag mehr erfüllen können. Auch einige unserer Partner des Spielbetriebes werden das vielleicht gar nicht überleben. Bei Busunternehmen, Fitnessstudios, physiotherapeutischen Praxen und vielen unserer Dienstleister sind die Geschäftsbetriebe ganz oder in großem Umfang zum Erliegen gekommen.

Glauben Sie, es wird im Amateurbereich ein großes Vereinssterben geben?

Es ist schwer, eine Prognose abzugeben. Aber die, die einen Mäzen haben, der sie dominant unterstützt, werden davon abhängen, wie es seinem Unternehmen geht. Wenn es schlecht geht, gibt es keine Überlebenschance. Dann spült es einige nach unten, eventuell steigen sie freiwillig ab. Wenn uns wenige von unseren 130 Partnern wegfallen, können wir das auffangen.

Was gibt Ihnen noch Sicherheit?

Einige Pläne sind jetzt erst einmal auf Eis gelegt, wir gehen auf einen Tiefschlaf zu. Wir hatten eigentlich geplant, ein neues Multifunktionsgebäude zu bauen, wir wollten 2,7 Millionen Euro Netto investieren, und jetzt sollten eigentlich gerade Entscheidungen fallen, in welchem Umfang sich die Stadt daran beteiligen wird. Der Hintergrund für dieses Gebäude ist: Wir laufen uns tot mit unserer Jugendarbeit. Wir sind nur noch ein Durchlauferhitzer für Profivereine. Teilweise werden schon Zehnjährige und ihre Eltern von Scouts angehauen. Und wenn ein Talent die Bühne der Regionalliga betritt und gut spielt, hat es am nächsten Tag vier, fünf Anrufe von Vermittlern. Mit so einem Gebäude können wir der Jugend zum einen dringend benötigte Räume bieten. Zweitens hätten wir einen besseren, größeren Vip-Bereich. Das würde uns das Kapital geben, um Jugendliche mit Talentverträgen auszustatten, damit wir in Zukunft zumindest von einer Ablöse profitieren würden.

Zusammengefasst: Sie müssen mehr investieren, gerade weil dieser Markt so überhitzt ist.

Genau. Aber das Projekt gehen wir jetzt frühestens zum 1. Juli 2021 wieder an, wenn wir wissen, welche Sponsoren wir haben. Gleichzeitig denke ich, dass jetzt viele aufhören werden, an dem großen Rad zu drehen, an dem wir alle gedreht haben. Wenn wir die Krise überstehen, dann sehen wir für uns aber schon auch Chancen auf eine positive Zukunft. Weil sich möglicherweise das Geschäft beruhigt, weil weniger Geld im Umlauf ist und wir unsere Spieler leichter halten können. Wir hatten ja vor 20 Jahren eine Finanz- und Steueraffäre, ich wurde damals zum Notvorstand berufen. Wir haben seitdem sehr konservativ gewirtschaftet und uns auch gefragt: Ist es vielleicht besser, mal eine Liga weiter unten zu spielen? Ich glaube, nach dieser Krise wird es ein neues Wir-Gefühl geben. Dann ist es wieder nicht mehr so wichtig, in welcher Liga man spielt. Es wird dann für längere Zeit nur noch interessieren, dass es den Verein gibt. Manche Leute werden sich dann auch bewusst machen: Ich gehe gar nicht nur wegen des Fußballs hin. Mindestens genauso wichtig sind die sozialen Kontakte.

© SZ vom 02.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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