Amateurfußball:Die Masse zahlt

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Das Stadion des SG Wattenscheid ist mitsamt Mannschaft gerettet. Aber ist das von Dauer? (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Um den Jahreswechsel standen die Regionalliga-Vereine Wattenscheid 09 und Wuppertaler SV vor dem Aus. Dann retten sich beide durch Spenden ihrer zahlreichen Fans. Ist das für Traditionsklubs ein Modell für die Zukunft?

Von Dominik Wolf

Der 2. April 1993 versprach ein guter Tag zu werden in Bochum-Wattenscheid. An einem Freitagabend empfing die SG Wattenscheid 09 den FC Bayern München. 25000 Zuschauer waren ins Bochumer Ruhrstadion gekommen, um dieses Spiel zu sehen. Und tatsächlich: Der Gastgeber überraschte den Tabellenführer aus München und bezwang ihn 2:0. Sieggarant der Wattenscheider war Marek Lesniak, der sich in der 79. Minute nach einer Flanke quer in die Luft legte, den Ball perfekt traf und das 2:0 erzielte - das Spiel seines Lebens, wie Lesniak sagt.

25 Jahre später klingt er ganz anders: "Mein Herz blutet. Ein Teil meiner Fußballgeschichte geht verloren. Es ist traurig", sagte er dem Sportinformationsdienst. Vier Jahre lang spielte die SG Wattenscheid 09 in der höchsten deutschen Spielklasse, von 1990 bis 1994. Dann kam der Absturz, erst der sportliche, später der finanzielle. 110 Jahre alt wird die SG Wattenscheid 09 im September. Und beinahe wäre es nicht zu diesem Jubiläum gekommen.

Heute spielt der Heimatverein von Halil und Hamit Altintop und Leroy Sané in der Regionalliga West und steht kurz vor der Insolvenz. Wieder einmal. Bereits 2007 drohte die Zahlungsunfähigkeit, konnte aber mithilfe des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Wilhelm Beermann in letzter Minute abgewandt werden. 2015 wollte der Westdeutsche Fußballverband der SG Wattenscheid keine Zulassung für den Ligabetrieb erteilen, revidierte diese Entscheidung jedoch ein paar Tage später wieder. Im Juli 2018 folgte dann die vermeintliche Wende: Ein Hamburger Start-up-Unternehmen stieg ein und verkündete, den Verein nicht nur in den Profifußball zurückbringen, sondern innerhalb von drei Jahren zum "digitalisiertesten Verein Europas" machen zu wollen. Fünf Millionen Euro sollten dafür zur Verfügung stehen. Der Deal platzte und nur vier Monate später teilte der Aufsichtsrat mit, dass der Verein kurzfristige Verbindlichkeiten in Höhe von 190000 Euro schuldig sei. Binnen vier Wochen musste der Klub 350000 Euro auftreiben, um nicht nur die ausstehenden Spielergehälter begleichen, sondern auch den Spielbetrieb zumindest bis Ende des Jahres garantieren zu können.

Finanzkräftige Sponsoren zu finden, ist in der Regionalliga schwer

Nur wenige Tage nach der Wattenscheider Erklärung, Anfang 2019, wurde bekannt, dass auch der Wuppertaler SV seine Spieler nicht mehr bezahlen konnte. Noch ein Klub aus Nordrhein-Westfalen mit Bundesligageschichte, der jetzt in der Regionalliga festhängt. Wuppertal hatte sich mit dem im Frühjahr 2017 vorgestellten Konzept "WSV 2020" verspekuliert und weit über seine Verhältnisse gewirtschaftet. Bis 2020 wollte man in die dritte Liga aufgestiegen sein. Doch der WSV war wirtschaftlich so angeschlagen, dass schon Anfang 2018 abzusehen war, dass aus den hochgesteckten Zielen nichts werden würde. Jetzt fehlten 260000 Euro im Etat. Deshalb erteilte die Vereinsführung allen Regionalliga-Spielern die Freigabe, den Klub noch in der laufenden Transferperiode ablösefrei verlassen zu können. Andernfalls drohte sich zu wiederholen, was die Wuppertaler schon 2013 durchleben mussten: Insolvenz, Abstieg in die fünfte Liga, Neuaufbau.

Finanzkräftige Sponsoren zu finden, die bereit wären, in einen nicht sehr aussichtsreichen Regionalligisten zu investieren, ist aufgrund der fehlenden Sicherheiten ebenso aussichtslos wie ein schneller Kredit. Über die Plattform fairplaid.org startete die Wattenscheider Vereinsführung deshalb im Dezember die Crowdfunding-Kampagne "Rettet die SG Wattenscheid 09". Das Ansinnen: Die Kraft von vielen Spenden sollte die finanzielle Lücke schließen. Als Ziel lobte sie die fehlenden 350000 Euro aus. Ein paar Wochen später folgt der Wuppertaler SV diesem Vorbild und rief die Kampagne "Dein Euro für den WSV!" ins Leben, ebenfalls von Fairplaid abgewickelt und über die digitalen Netzwerke des Vereins gestreut.

"Crowdfunding ist gerade für unterklassige Vereine interessant, die Probleme haben, Sponsoren zu gewinnen. Über die sozialen Kanäle ist es schnell zu initiieren und in der Fanbase zu verbreiten. Außerdem ist es rechtlich so gut wie gar nicht reglementiert", sagt Christopher Huth. Huth ist Professor für Sportmanagement an der Universität der Bundeswehr in München und begleitet das Thema schon seit mehreren Jahren aus wissenschaftlicher Perspektive. Das wirtschaftliche Risiko für die Vereine sei minimal, da sie nicht in Vorleistung gehen und das Geld, anders als bei einem Kredit, nicht an die Geldgeber zurückzahlen müssen. Die Online-Plattform "Fairplaid" versteht sich dabei als Mittler zwischen den Vereinen und den Fans. Um Anreize zu setzen, gibt es Prämien. Jeder Spender erhält abhängig von der Höhe seiner Spende eine Belohnung. Jeder Spender erhält abhängig von der Höhe seiner Spende eine Belohnung. Die muss nicht unbedingt vom Verein kommen. Wer für den Wuppertaler SV spendete, konnte sich aussuchen, ob er lieber an einem Häkelkurs teilnehmen, mit der Mannschaft trainieren oder mit WSV-Fan Sören nach dem Auswärtsspiel beim Bonner SC auf dessen Veranda grillen wollte. Auf diese Weise würden nach Angaben des Unternehmens 95 Prozent aller Projekte erfolgreich abgeschlossen.

Bekanntestes Beispiel Oviedo

Im Wattenscheider Projekt waren zwei Tage vor Ablauf der Frist knapp 160000 Euro zusammengekommen - unter anderem hatten auch die Reviernachbarn Rot-Weiss Essen und Rot-Weiß Oberhausen gespendet. Eine beachtliche Summe, aber doch zu wenig für das ausgeschriebene Ziel. Als es schon so aussah, als wäre das Vorhaben gescheitert, stockte der Hauptinvestor und Aufsichtsratsvorsitzende Oguzhan Can wenige Stunden vor Ablauf der Frist den fehlenden Betrag auf. "Es wäre tragisch gewesen, wenn dieser Traditionsverein von der Fußball-Landkarte verschwunden wäre. Der Verein lebt noch", sagte er. Und auch in Wuppertal konnte man nach Ablauf der Frist einen Erfolg vermelden: Innerhalb von zehn Tagen spülte das Crowdfunding fast 130000 Euro in die leeren Kassen und übertraf, zusammen mit den Zuwendungen der Spender, die fehlenden 260000 Euro, hieß es aus der Vereinsführung.

Wattenscheid und Wuppertal sind nicht die ersten Fußballvereine, deren Existenz durch die Unterstützung der Fans gerettet wurde. Das prominenteste Beispiel ist der spanische Zweitligist Real Oviedo, der 2012 Vereinsanteile veräußerte, damit eine weltweite Solidaritätswelle anstieß und am Ende Miteigentümer aus 60 Ländern hatte. Ist Crowdfunding also das Mittel der Zukunft für strauchelnde Klubs? "Man braucht einen emotionalen Aufhänger, damit ein Crowdfunding Erfolg hat", sagt Christopher Huth. Ein belastbares Finanzierungsmodell für Vereine, die in den professionellen Fußball streben, sei so eine Crowdfunding-Aktion nicht. In Wattenscheid und Wuppertal hatte man einen solchen Aufhänger. Was könnte schließlich emotionaler aufgeladen sein als das drohende Ende einer über 100-jährigen Vereinsgeschichte?

Nach der einstweiligen Rettung schlägt man aber demütige Töne an: Man habe noch einen langen Weg vor sich, heißt es auf der Homepage des Wuppertaler SV. Zunächst schmeißt der Verein Anfang Februar aber erst einmal eine "Danke-Party" mit 100 Liter Freibier für alle Unterstützer. Und auch in Wattenscheid hat man ja noch eine Party zu planen: die zum 110. Geburtstag.

© SZ vom 27.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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