Ailton:Mondkalb am Ort des Schreckens

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Ailton gibt sich beim FC Schalke 04 als gereifte Vaterfigur und sorgt für ungeheuren Optimismus. Trotzdem ist der Stürmer noch nicht so ins Schalker Spiel integriert, wie das in Bremen der Fall war.

Von Christoph Biermann

Jupp Heynckes lächelt, als Ailton spricht, obwohl der neue Star des FC Schalke 04 nicht gerade überraschende Dinge mitzuteilen hat. Aber vielleicht lächelt der Trainer auch deshalb so. Es gefällt ihm bei Schalke, sagt Ailton, man werde sehen, was die Mannschaft in dieser Saison erreichen werde, seine Rückkehr nach Bremen an diesem Freitag werde etwas Besonderes sein.

Angesichts dieser Belanglosigkeiten strahlt Heynckes am Ende wie ein Vater, dessen Sohn alles richtig gemacht hat. Dabei war vorhergesagt worden, dass es zwischen ihm und seinem neuen Stürmer schnell Reibereien geben würde. Derzeit scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein.

"Er ist diszipliniert und hat sich sehr gut eingebracht", sagt Heynckes und erzählt davon, dass Ailton gleich eine Art Patenschaft in seiner Mannschaft übernommen hat. Sein Zimmer teilt der Stürmer mit dem 17-jährigen Nachwuchsprofi Alexander Baumjohann, und Ailton sagt seinerseits väterlich: "Ich helfe gerne und gebe den jungen Spielern Tipps."

So erscheint der 30-jährige Brasilianer nicht mehr als kapriziöser Profi, der in Bremen seinem Trainer nach Auswechslungen das Trikot vor die Füße pfefferte, sondern als gereifter elder statesman. "Sein Umgang mit den jungen Spielern ist rührend anzuschauen und spricht für ihn", sagt der Trainer.

Noch nicht ins Spiel integriert

Der Kuschelkurs zwischen Heynckes und Ailton ist zugleich Ausdruck des fast atemlosen Stolzes bei Schalke 04, einen der großen Stars der Bundesliga in den eigenen Reihen zu haben. An seinem ersten Arbeitstag in Gelsenkirchen fanden sich morgens gleich 2000 Zuschauer vor der Geschäftsstelle ein, nur um den Brasilianer anzuschauen. Seine Aussagen im Frühjahr, als er seinen neuen Wohnort ferndiagnostisch als Desaster bezeichnete, sind längst vergessen.

Ailton ist zudem an den Ort des vermeintlichen Schreckens gezogen, nur ein paar hundert Meter von der Arena AufSchalke entfernt. Bei jedem Training wird er bestaunt wie ein Mondkalb, und selten wohl ist ein neuer Spieler bei Schalke mit so viel Kredit in eine Saison gestartet. Als er am Dienstag im UI-Cup-Rückspiel gegen Esbjerg seine dritte Torchance vergab, murrten die Fans nicht etwa, sondern feierten ihn mit Sprechchören nur noch entschlossener.

Lediglich zwei der bislang 13 Tore der Schalker auf den Weg ins Finale des UI-Pokals gegen Slovan Liberec hat Ailton erzielt. In der Vorbereitung wurde deutlich, dass er noch nicht annähernd so ins Spiel integriert ist, wie das in Bremen der Fall war, als er Werder zum Titel schoss. Im Moment wirkt das Zusammenspiel von Ailton mit seinen neuen Mannschaftskameraden noch so, als verfüge man über einen Rennwagen und betanke ihn nur mit Normalbenzin. Häufig lauert der Brasilianer auf Pässe in die Tiefe, die nicht kommen, zu spät kommen oder zu unpräzise. Eine Drohung bleibt er zwar jederzeit, aber mit besserer Versorgung könnte sie weitaus größer als bisher sein.

Jupp Heynckes gibt zu, dass die Mannschaft den Brasilianer noch gezielter einsetzen muss. Er sagt aber auch: "Ailton ist der Ailton nicht von Anfang an gewesen". In Bremen musste das Zusammenspiel über sechs Jahre reifen, und erst als Johan Micoud die Regentschaft im Mittelfeld übernahm, wurde die wirkliche Klasse des Brasilianers offensichtlich. "Nicht jede Mannschaft hat einen Micoud", sagt Ailton.

Schalke fehlt ein Spieler mit solchem Format im offensiven Mittelfeld gewiss, der junge Hamit Altintop wächst langsam in die Rolle, Zugang Lincoln mangelt es an Konstanz, weshalb Heynckes die Diskussion über die Besetzung des Mittelfeldes dringend erweitern möchte. "Alle müssen mithelfen, und die meisten Assists für Ailtons Tore hat Klasnic geliefert", sagt er. Doch wie oft mag der vorletzte Pass von Micoud gekommen sein?

Auf anderem Niveau

Der zusätzliche Hinweis des Schalker Trainers, man solle sich "die Historie von Werder" anschauen, soll bedeuten, dass man nicht aus dem Stand Meisterschaften gewinnt. Von daher scheint es so, als würde Schalke die Saison bei jenem Klub eröffnen, dessen Weg als Vorbild dient. Nur konnten die Schalker eine Abkürzung über den Transfermarkt nehmen, indem sie gereifte Spieler wie eben Ailton und den Verteidiger Mladen Krstajic just in Bremen abholten. Deshalb darf Heynckes behaupten: "Schalke spielt in dieser Saison auf einem anderen Niveau." Das konnte man trotz der suboptimalen Einbindung von Ailton in der Vorbereitung deutlich erkennen.

Dabei fehlte Marcelo Bordon, ein weiterer wichtiger Zugang, der erst am Montag von der Copa América zurückkehrte und in Bremen noch fehlen wird, weil "physikalische Gesetze anders sind", wie Heynckes sagt. Für den Saisonauftakt mag er nur "gedämpften Optimismus" verbreiten, weil Schalke bei Werder in den letzten vier Jahren verlor - und das zumeist klar und deutlich.

Insgesamt jedoch weisen die Perspektiven deutlich aus dem Mittelmaß heraus. "Ich hoffe, dass sich die Klasse der neuen Spieler auch in der Tabelle niederschlägt", sagt Manager Rudi Assauer. Im Vorjahr war Schalke Siebter, aber wenn Ailton erst einmal richtig betankt wird, dürfte sich das in der Tabelle überdeutlich niederschlagen.

© Süddeutsche Zeitung vom 6.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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