Acht Tore in Paderborn:Die Steigerung von verrückt

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Hattrick in Unterzahl: 1860-Stürmer Rubin Okotie trifft gegen Paderborn drei Mal, den finalen Ausgleich erlebt er auf der Bank. (Foto: Eibner/imago)

Geklauter Elfmeter, unberechtigter Platzverweis, Hattrick in Unterzahl, Ausgleich in letzter Minute: In einem extremen Match vergibt 1860 München den Sieg in Paderborn - begeistert aber beim 4:4.

Von Filippo Cataldo, Paderborn/München

506 Spiele hat Benno Möhlmann als Trainer in der zweiten Liga nun erlebt. 507, wenn man das 0:1 der Löwen gegen Duisburg mitzählt, das Möhlmann, 61, nach einer Operation an der Gallenblase im Krankenhaus verfolgte. Der Mann hat alles erlebt, das ist in diesem Fall ausnahmsweise keine Floskel.

Vor dem Spiel der Löwen in Paderborn, dem Duell des Sechzehnten beim Fünfzehnten, antwortete Möhlmann einem Reporter der Neuen Westfälischen auf die Frage nach seinem Tipp: "4:4". Ein Scherz, Möhlmann kennt ja seine minimalistischen Löwen, für die zwei Tore in einem Spiel sonst das höchste aller Glücksgefühle sind.

Dann aber am Samstag in Paderborn, aus Sicht des TSV 1860: 0:1, 0:2, 1:2, 1:3, 2:3, 3:3, 4:3. Und schließlich: 4:4! Dazu noch: ein geklauter Elfmeter, ein unberechtigter Platzverweis, ein Hattrick in Unterzahl, ein Ausgleich in letzter Minute.

"Ich bin stolz auf meine Mannschaft"

"Ein verrücktes Spiel", japste Stefan Effenberg anschließend. Der Trainer Effenberg hat etwas weniger Erfahrung als Möhlmann, er erlebte am Samstag sein sechstes Spiel als Übungsleiter in der zweiten Liga. Aber dieser ersten Analyse hatte auch Möhlmann nicht viel entgegenzusetzen. Das Spiel war wirklich irre gewesen.

Während Effenberg eher enttäuscht war ob des Ergebnisses und direkt nach Abpfiff erst mal in der Kabine verschwand, bekam Möhlmann das Grinsen lange nicht mehr aus seinem Gesicht. "Für mich war das schon ein gebrauchter Tag, aber die Mannschaft hat mich eines Besseren belehrt. Ich bin stolz auf sie", sagte er. Zu recht!

Mal wieder trifft ein Ehemaliger gegen 1860

Die Löwen waren ja nicht nur nach ansprechendem Beginn in Rückstand geraten; den Gegentreffer hatte auch noch Moritz Stoppelkamp erzielt. Den Mittelfeldspieler hatte der ehemalige Sportchef Gerhard Poschner einst von 1860 nach Paderborn ziehen lassen, in der festen Überzeugung, besseren Ersatz zu bekommen. Nun ja. Das war vor Möhlmanns Zeit. Doch zur Gegenwart der Löwen gehörte am Samstag eben auch, dass Stoppelkamp unbedrängt das Tor machen konnte, nachdem Süleyman Koc Löwen-Talent Richard Neudecker foppen, Oliver Kirch zu Srdjan Lakic auflegen und Torwart Vitus Eicher anschießen durfte. Eine ziemlich lange Fehlerkette - der weitere folgten.

Möhlmann reagierte schon vor der Pause, wechselte Flügelstürmer Korbinian Vollmann aus, den die Paderborner Mittelfeldspieler als Schwachstelle ausgemacht und zu vielen Ballverlusten gezwungen hatten. Für Vollmann kam Fejsal Mulic, ein Brechertyp, der in seinen ersten Minuten auf dem Platz ein großes Kämpferherz, aber eben auch seine limitierte Geschwindigkeit und Technik offenbarte, aber später noch wichtig werden sollte.

Es deutete zur Halbzeit wenig bis nichts daraufhin, dass die Löwen hier als Sieger - und sei es nur als moralische - vom Platz gehen würden. Fünf Minuten nach Wiederanpfiff erhöhte auch noch Hauke Wahl zum 2:0 für die Hausherren. Die Partie schien gelaufen zu sein.

Aus fünf kuriosen Minuten werden 36 irre

Doch dann folgten die verrückten fünf Minuten von Paderborn, die sich am Ende sogar zu total irren 36 Minuten ausweiteten. Den Anfang machte Gary Kagelmacher, der eine Ecke von Daniel Adlung in der 57. Minute zum unverhofften 2:1 verwandelte. Dann ging es Schlag auf Schlag.

59. Minute: Neudecker auf dem Weg zum 2:2, Neudecker fällt nach Berührung von Niclas Hoheneder im Strafraum, Neudecker fordert Elfmeter, kassiert stattdessen einen unberechtigten Platzverweis.

60. Minute: Die Löwen an der Seitenlinie reklamieren noch, da schießt Mahir Saglik aus 25 Metern einfach mal drauf. Der Ball rutscht leicht über den Spann, unerreichbar ins Eck. Traumtor, 3:1, 67 Sekunden nach Neudeckers Platzverweis.

62. Minute, Rubin Okotie, zum Ersten: Flanke Adlung, Okotie verlängert per Kopf. Tor.

Die Löwen fassten nach dem Anschlusstreffer in Unterzahl neuen Mut, elf Minuten später stand es tatsächlich 3:3. Zweimetermann Mulic schüttelte, den Ball eng am Fuß, erstaunlich leichtfüßig zwei Verteidiger ab, legte sich den Ball etwas weiter vor, um ihn mit Anlauf ins Tor zu schießen, als Okotie rein preschte und so sicherheitshalber selbst das 3:3 machte. Der verdiente Ausgleich in der 73. Minute eines Spiels, das schon längst ins Surreale gekippt war - und noch fantastischer wurde.

Die Löwen drängten nach dem Ausgleich auf den Siegtreffer, die Paderborner antworteten mit immer wütenderen Gegenangriffen. Und so fielen weitere Tore. Okotie vollendete einen Konter zum lupenreinen Hattrick (88.), was Möhlmann auf die Idee brachte, den Österreicher auszuwechseln, um ihm den Sonderapplaus der Fans zu gönnen. Okotie trabte also vom Feld, klatschte, die Löwenfans jubelten, der Held nahm sich eine Jacke, zog einen Ärmel an, wollte den zweiten anziehen, da machte Nick Proschwitz das 4:4. Und Möhlmann grinste.

© SZ vom 29.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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