AC Mailands Mittelfeldstar Kaka:Der Unersetzliche

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Er senkt den beängstigend hohen Altersschnitt und übernimmt die Regie im Angriff - der brave Kakà ist für den AC Mailand unersetzlich geworden.

Birgit Schönau

In Brasilien sagten sie früher über ihn: ,,Schön anzuschauen, aber nichts für wichtige Spiele.'' Das war 2001, er war gerade 19 Jahre alt. Die Mädchen schwärmten für ihn, sie gründeten ein halbes Dutzend Fanklubs. In der brasilianischen Copa hatte er seinen ersten Einsatz für Sao Paulo gehabt: zwei Tore in zwei Minuten. Nichts, was seine Kritiker damals wirklich überzeugt hätte.

Auf die Nummer 22 des AC Mailand müssen die Bayern besonders aufpassen: Wer es schafft, den Brasilianer Kakà auszuschalten, der hat Milan quasi ausgeknockt. (Foto: Foto: AP)

Aber jetzt spielt er in der vierten Saison beim AC Milan. Und ein wichtiges Spiel ohne ihn wäre vollkommen undenkbar.

Ricardo Izecson dos Santos Leite, genannt Kakà, ist der Mittelpunkt einer Mannschaft, die ziemlich in die Jahre gekommen ist, und deshalb langsam wirkt, kurzatmig und manchmal richtig grau. ,,Sie zeigen nicht gerade eine glänzende Saison'', findet Milans früherer Meistertrainer Arrigo Sacchi, der die mangelnde Offensivkraft ebenso beklagt wie Klubbesitzer Silvio Berlusconi. Das heutige Milan -Team nennt Sacchi nur noch ,,Kakà und Konsorten.''

Ohne den Brasilianer, da sind sich der Guru des Systemfußballs und sein Nachfolger Carlo Ancelotti einig, ginge bei Milan gar nichts. Denn der knapp 25-jährige Kakà senkt nicht nur das beängstigend hohe Durchschnittsalter, er hat auch die Regie der Angriffsarbeit übernommen.

Kakà jagt dem Gegner den Ball ab, versorgt den zumeist einzigen Stürmer - in der Champions League der blasse Alberto Gilardino - mit verlässlich zielgenauen Pässen und unterstützt weiter hinten auch noch den ruppigen, aber nicht gerade einfallsreichen Gennaro Gattuso. Kakà ist mit sechs Treffern aber auch der bislang erfolgreichste Torschütze in der Champions League. Seine Mannschaft ist regelrecht abhängig von ihm. Wer es schafft, Kakà zu bremsen, hat Milan quasi ausgeknockt.

Die neue Nummer 10 in Brasilians Seleçao

Der Brasilianer mit italienischem Pass - die Einbürgerung übernahm am 12. Februar Mailands Polizeichef höchstpersönlich - ist das beste Beispiel dafür, dass auch im italienischen Kollektivfußball nicht jeder ersetzbar ist. Die Lücke, die Stürmer Andrej Schewtschenko bei seinem Weggang zu Chelsea hinterließ, ist bis heute nicht geschlossen. Kakà versucht, ihn gemeinsam mit dem immer blutleerer wirkenden Andrea Pirlo zu ersetzen.

Der AC Mailand ist eine Großbaustelle. Ronaldo ist gekommen, aber von seiner Bestform weit entfernt. Um Ronaldinho wird seit Monaten gefeilscht, doch eine Einigung ist nicht in Sicht. In der Abwehr ist der fast 39-jährige ewige Kapitän Paolo Maldini verletzt ausgefallen, Alessandro Nesta nach vier Monaten Pause gerade zurückgekehrt. Nichts funktioniert, wie es soll. Es liegt an Kakà, dem müden und fragilen Team so etwas wie Inspiration einzuhauchen.

Er kann das, natürlich. Brasiliens Nationaltrainer Carlos Dunga hat ihm kürzlich bei der Tournee der Seleçao in Schweden Ronaldinhos Nummer 10 übergeben. Da gab es Protest - nicht zuletzt, weil Kakà für adidas wirbt, während sich Brasilien bekanntlich Nike verschrieben hat. Die Zehn steht ihm trotzdem nicht schlecht, egal wer's zahlt.

Was über Kakà zu sagen ist, sieht man auf dem Platz. Das neue Gesicht des AC Mailand verfügt über wenig Talent zum Medienstar. Er redet in gutem Italienisch und in fertigen Sätzen. Schüchtern und ein bisschen langweilig. Nie macht er einen Witz, eine spontane Bemerkung, er kennt keine Selbstironie und schon gar keine Kritik an seinen Oberen.

Beide Arme hoch, den Zeigefinder Richtung Wolke

Der konservative Kakà ist noch nicht 25 und schon eine ganze Weile verheiratet. Die Mädchen-Fanklubs lösten sich damals aus Protest auf. Seine Braut war damals 18, die Tochter der brasilianischen Dior-Vertreterin. Kakà ist nebenbei auch Werbe-Ikone für den Mailänder Modeschöpfer Armani. Er stammt aus einer bürgerlichen Familie. Vater Ingenieur, Mutter Lehrerin, der kleine Bruder ist Kakà über den Kopf gewachsen und auch Fußballer geworden. Er kickt für den italienischen Zweitligisten Rimini, ein Kerl wie ein Baum.

Von Kakà wüsste man nicht, dass er jemals über die Stränge geschlagen hätte. Brav trägt er noch immer den Spitznamen seiner Kindheit, die Verballhornung seines Vornamens. Brav ist er, und gottesfürchtig. Bei einem Kopfsprung ins Niedrigwasser eines Schwimmbades brach er sich als 18-Jähriger einen Halswirbel und riskierte eine Lähmung. Seit seiner Genesung dankt er nach jedem Tor dem Himmel. Beide Arme nach oben, den Zeigefinger Richtung Wolke. Kakà gehört einer der vielen neuen brasilianischen Freikirchen an und ließ sich von zwei Fernsehpredigern trauen.

Ein 1,86 Meter großer, frömmelnder Brasilianer also ist die Seele des AC Mailand. Oder das Seelchen im Klub des größten Fernsehpredigers Italiens, könnte man jetzt spotten. Aber wehe, er hebt am Dienstag seine Fingerspitzen in den Himmel. Dann heißt für die anderen: büßen.

© SZ vom 3.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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